Tragödie im Courierzug. Uwe Schimunek
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Название: Tragödie im Courierzug

Автор: Uwe Schimunek

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520373

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СКАЧАТЬ betrieb keiner, um sich nach dem Befinden der Familie zu erkundigen. Dennoch klang von Schnödens Freundlichkeit echt.

      Der Schuldirektor schien sich mit der Antwort nicht zufriedenzugeben und schaute aufmunternd.

      Also fuhr Gontard fort: »Meine Frau und die Tochter hüten das traute Familienheim. Und mit meinem Sohn in der Breslauer Garnison correspondiere ich.«

      Von Schnöden setzte ein verständnisvolles Großvaterlächeln auf und fragte: »Meldet er sich denn regelmäßig? Man hört ja viel über das mangelhafte Verhältnis der jungen Leute zum geschriebenen Wort.«

      »Ich kann nicht klagen, beinahe jede Woche trifft Post von ihm ein.« Gontard fühlte sich ein wenig verschaukelt. Was sollte dieses Geplauder?

      »Das freut mich.« Von Schnöden strich sich durch seinen eisgrauen Schnurrbart, als müsse er das Lächeln wegwischen. »Dennoch ist es wohl an der Zeit, dass Sie Ihren Filius wieder einmal persönlich beehren, lieber Herr Oberst-Lieutenant.«

      Gontard merkte, wie die Spannkraft aus seinen Gesichtsmuskeln zu entschwinden drohte. Gerade so konnte er verhindern, dass ihm die Kinnlade herunterklappte.

      »Ich sehe schon, Sie fragen sich, was es mit meiner Bemerkung auf sich hat.«

      Gontard fand keine Worte. Immerhin gelang es ihm, die Augenbrauen zu heben. So hatte er wenigstens das Gefühl, nicht wie ein Narr auszusehen.

      Das großväterliche Lächeln im Gesicht des Schuldirektors wurde immer breiter. »Am besten, Sie nehmen gleich heute Nacht den Schnellzug.«

      »Heute Nacht?« Gontard merkte, dass er die Worte geradezu gerufen hatte, eine Spur zu laut.

      »Ja.« Von Schnöden wurde mit einem Schlag ernst.

      Gontard kannte die Angewohnheit des Schuldirektors, in Rätseln zu sprechen. Er ließ auch nicht mit sich diskutieren, wenn er eine Order von oben hatte – und genau darauf deutete das geheimnisvolle Verhalten von Schnödens hin.

      »Sie müssten sich das Wochenende freihalten, mein lieber Oberst-Lieutenant. Es geht um einen Auftrag, zu dessen Erledigung ich eine Person brauche, der ich restlos vertrauen können muss.« Das klang wie ein Kompliment. Das Antlitz des Schuldirektors wirkte plötzlich so wichtig wie seine Uniform.

      Gontard schwieg.

      »Ich kann Ihnen keine Details nennen«, fuhr von Schöden fort und zog ein Couvert aus seinem Waffenrock. »Dieses Schreiben muss auf Geheiß von ganz oben Generalmajor von Frohwitz übergeben werden. Ungeöffnet und persönlich. Daher möchte ich jemanden schicken, auf dessen Loyalität ich mich blind verlassen kann.«

      Wohl eher jemanden, der keine Fragen stellt, dachte Gontard. Er sagte: »Ganz oben heißt …« Von Schnöden nickte und schwieg.

      Bei Seiner Majestät oder der königlichen Familie wollte Gontard nicht zwischen irgendwelche Fronten geraten, da stand man zu schnell auf der falschen Seite. Daher murrte er: »Nun, mein Bursche ist krank, und eigentlich wollte ich am Wochenende …«

      »Ach, hören Sie auf, mein lieber Herr von Gontard«, unterbrach ihn der Schuldirektor. »Wenn Sie jemanden brauchen, der Ihre Bagage trägt, dann verpflichten Sie doch einen Ihrer Lieutenants. Sie kennen mich lange genug und sollten wissen, dass ich mit so einem Anliegen nur an Sie herantrete, wenn eine außerordentliche Dringlichkeit vorliegt.«

      »Also gut.« Gontard streckte die Hand nach dem Schreiben aus. Von Schnöden ließ ohnehin nicht mit sich reden. Deshalb beschloss Gontard, das Positive an der Sache zu sehen: Er würde Ferdinand auf Kosten Seiner Majestät besuchen.

      Von Schnöden übergab Gontard das Couvert und sagte: »Hierüber verlieren Sie kein Wort! Sie fahren aus privaten Gründen zu Ihrem Sohn in die Garnison. Verstanden?«

      Ferdinand von Gontard schritt den Exerzierplatz entlang. Ein Zug Rekruten übte unter den Befehlen eines Gefreiten den Marsch im Stechschritt. Ansonsten herrschte Ruhe – endlich. Quappe saß beim Feldscher und jammerte dem bestimmt die Ohren voll. Nach der ersten Einschätzung des Militärarztes hatte der Knecht sich das Bein nicht gebrochen, sondern nur verstaucht. In ein paar Tagen sollten die Schmerzen nachlassen. Vermutlich würde Quappe dennoch den ganzen Winter hindurch auf seine Verletzung verweisen, um seine Dienstpflichten so weit wie möglich zu umgehen.

      Das Bündel mit den Fundstücken drückte immer mehr auf Ferdinands Schultern. Der Stoff taute offenbar auf, und die abgestandene Nässe kroch in Ferdinands Waffenrock. Das Zeug roch nach vermoderten Pilzen. Diesen Geruch sollte seine Uniform nicht annehmen. Also lief Ferdinand schneller, ließ die Befehle und Stechschritte hinter sich.

      Auf dem Kasernenhof schlitterte er über ein vereistes Stück des freigeschaufelten Weges. Er ruderte mit den Armen, das Bündel fiel zu Boden, doch er selbst konnte sich aufrecht halten. Dabei kam er sich vor, als balanciere er über Murmeln. Er rutschte immer schneller. Gerade noch schaffte es Ferdinand, mit einem Satz zur Seite zu springen. Im Schnee fand er schließlich Halt. Die Knie zitterten noch, aber die Gefahr war gebannt. Glück gehabt! Verletzt wäre er kein guter Ermittler gewesen. Auch wenn er nicht so ein Theater wie Quappe veranstalten würde. Nicht einmal, wenn eines seiner Beine beim Feldscher geblieben wäre. Obwohl, dann vielleicht schon … Ferdinand schob den Gedanken beiseite, befreite sich aus dem Schnee und hob das Bündel auf, um durch den Tiefschnee neben dem Pfad zur Unterbringung für niedere Offiziere zu stapfen.

      Auf der Treppe zu seiner Stube hinterließ jeder seiner Schritte eine Pfütze. Zum Glück musste er nur bis ins erste Obergeschoss. Ferdinand nahm je zwei Stufen mit einem Schritt, bog in den Gang ein und riss die Tür zum Zimmer auf. Obwohl der Ofen nicht befeuert war, überwältigte ihn die Wärme. Es fühlte sich nicht wie Frühling an, auch nicht wie Sommer – ein Zuhause war so etwas wie eine Jahreszeit für sich, dachte Ferdinand. Selbst wenn es sich nur um eine Bude in der Kaserne handelte.

      Gewöhnlich teilte Ferdinand sich das Zimmer mit einem anderen Lieutenant. Der, ein schweigsamer und nicht besonders heller junger Mann namens Alfons von Zwiewitz, hatte gerade Sonderurlaub und weilte in seiner oberschlesischen Heimat, da sein Vater im Sterben lag. So hatte Ferdinand die Bude für sich allein und konnte sich ausbreiten. Er legte das Bündel auf den Tisch und breitete das Textil aus. Einzelne Stofffetzen brachen sogleich aus dem Überzieher. Ferdinand legte die Pickelhaube, welche die Witterung gut überstanden hatte, zur Seite und wandte sich den Resten des Waffenrocks zu. Die Platte reichte für den modrigen Stoff kaum aus, also stapelte er die Stücke, die zu zerfallen drohten, am Rand. Doch auch beim Rest waren Farbe und Form kaum auszumachen. Nicht einmal die Waffengattung konnte er anhand der Schulterklappen identifizieren. Wie sollte er da Rückschlüsse auf den ehemaligen Träger des Kleidungsstücks ziehen?

      Ferdinand zog den Schemel herbei und setzte sich. Der Stoff auf dem Tisch sah aus wie direkt aus dem Komposthaufen gezogen. Genauso roch es inzwischen in der gesamten Stube. Abgesehen von dem Helm und dem zerfallenden Waffenrock, hatte Ferdinand keinerlei Hinweise darauf, wessen Leichnam in der Hecke an der Oderaue lag und vor sich hin verweste. Offenbar handelte es sich um einen Soldaten Seiner Majestät. Doch davon gab es allein in Breslau Tausende. Möglicherweise hatte der Mann auch gar nicht in Breslau gewohnt, sondern war zu Besuch in der Stadt gewesen. Wo sollte Ferdinand unter diesen Umständen mit seinen Nachforschungen anfangen? Vielleicht führten diese Gedanken aber auch zu weit, und es war am besten, er suchte die Lösung weiterhin vor sich auf dem Tisch, auch wenn sie in einem Haufen Kleidung steckte, der seinerseits einen ziemlich aufgelösten Eindruck machte. Ferdinand musste bei dem Gedanken schmunzeln, dass sich die Lösung gerade vor seinen Augen auflöste. Doch vielleicht wies das Wortspiel durch die innere Logik, die Grotesken so häufig innewohnte СКАЧАТЬ