Название: Ketzer
Автор: Gerd Ludemann
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783866744783
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»Auch einige seiner Schüler ziehen wie er durch die Gegend und haben schon viele Frauenzimmer betrogen und verdorben. Sie ernennen sich selbst zu Vollkommenen, als ob niemand sie an Größe der Erkenntnis erreichen könnte, wen du auch nennst. Kein Paulus, kein Petrus, kein anderer Apostel. Sie wollen mehr als alle wissen und haben die Größe der Erkenntnis der unsagbaren Kraft getrunken. Sie sind in der Höhe noch über aller Kraft. Deswegen haben sie auch die Freiheit, alles zu tun, ohne irgendwelche Angst wegen irgendetwas haben zu müssen … Mit solchen Reden und Praktiken haben sie auch hierzulande bei uns im Rhonegebiet viele Frauen getäuscht. Mit verbranntem Gewissen (vgl. 1Tim 4,2) tun die einen öffentlich Buße, die anderen genieren sich deshalb, ziehen sich still zurück und haben die Hoffnung auf das Leben bei Gott (vgl. Eph 4,18) aufgegeben, wobei manche nun ganz abgefallen sind, andere aber noch schwanken und erlebt haben, was das Sprichwort sagt, dass sie nämlich weder draußen noch drinnen sind.«. (Haer I 13,6 f.)
Als die Angegriffenen das und andere Ausführungen zu liturgischen Riten und Formeln der Erlösung (vgl. Haer I 21) lasen, haben sie heftig protestiert, wie Hippolyt ca. 20 Jahre später berichtet12:
»Der selige Presbyter Irenäus hat sich mit großem Freimut an ihre Widerlegung gemacht und hat diese Waschungen und Erlösungen (sc. ihres Lehrers Markus, wie z. B. die pneumatische Hochzeit und die Salbung der Sterbenden mit Olivenöl) auseinandergesetzt, indem er ihr Tun ausführlich schilderte. Da nun einige von ihnen das lasen, leugneten sie, derartige Lehren überkommen zu haben. Sie werden ja immer angeleitet zu leugnen.«. (Ref VI 42)13
Wesentlich ist die Erkenntnis, dass Irenäus und seine Nachfolger Polemiker größten Stils sind und ihre Gegner ungerecht behandeln. Irenäus’ Werk ist das typische »Beispiel einer unübersichtlichen und ermüdenden Ketzerbestreitung, die aus Mangel an geistiger Überlegenheit nach jedem Argument greift, mit dem sich die Gegner verunglimpfen, verdächtigen und karikieren lassen.«14
Für Irenäus ist »die fälschlich so genannte Gnosis« ein Sammelname einer Reihe untereinander geradezu entgegengesetzter Gruppen.15 So schreibt er in der Vorrede zu Haer II: In Buch I habe er zunächst die Erfindungen der Valentinianer (und hier besonders der Ptolemäer) als Lügenrede erwiesen. Die anderen Ketzer seien praktisch deren Vorfahren, und alle gingen auf Simon, den Magier, zurück. Indem Irenäus die Valentinianer angreift, meint er, zugleich die anderen zu treffen. Man vgl. ferner Haer II 31,1: »Nachdem also die Valentinianer widerlegt worden sind, ist auch die gesamte Menge der Ketzer zu Fall gebracht.«
In seinem ersten Buch hatte er offenbar ein älteres antiketzerisches Werk verarbeitet, das alle Häretiker von Simon Magus ableitet (vgl. Haer I 23,1: Simon, »von dem alle Ketzereien abstammen«). In dem von Irenäus benutzten Werk eines Vorgängers folgen auf Simon sein Schüler Menander, dann Saturnin, Basilides, Karpokrates, Kerinth, Ebioniten, Nikolaiten, Kerdon, Markion. Da der Apologet Justin um 150 n. Chr. in I Apol 26 auf ein nicht erhaltenes antiketzerisches Werk verweist und dort die Reihenfolge Simon – Menander – Markion erscheint, wird vielfach Justins verlorene Schrift für die Vorlage von Irenäus, Haer I 23 ff gehalten. Doch ist sogleich einschränkend zu bemerken, dass in keinem Fall die Ebioniten Teil einer antihäretischen Schrift Justins gewesen sein können, da die meisten von ihnen in den Augen des aus Palästina (Neapolis) gebürtigen Apologeten Justin noch keine Ketzer waren (Dial 46 f. – zu diesem Text s. unten S. 86 – 90). Außerdem dürften die Nikolaiten, von denen wir Apk 2,14 – 15 hören – sie aßen Götzenopferfleich und »trieben Unzucht« –, hinzugewachsen sein, da sie entgegen der »Überschrift« des vorirenäischen Ketzerwerkes nicht von Simon, sondern von Nikolaos abgeleitet werden: »Die Nikolaiten haben Nikolaos als ihren Lehrer (also nicht Simon, Vf.), einen von den Sieben, die von den Aposteln als die ersten Diakone eingesetzt wurden.«. (Haer I 26,3)
Der antiketzerische Abschnitt bei Irenäus, Haer I 23 – 28 ist so aufgebaut, dass die meisten Ketzer zumindest eine Einzelheit von dem vertreten, was Simon bereits gelehrt hat.16 Besonders auffällig sind die Übereinstimmungen zwischen Simon Magus (I 23,1 – 4) und den Basilidianern (I 24,3 – 7) sowie den Karpokratianern (I 25,1 – 6)17:
1 Schöpfung der Welt durch rebellische Engel (I 23,5; 24,1 f.; 25,3);
2 Fehlen eines einzelnen Schöpfers;
3 Unkenntnis des Urwesens durch die feindlichen Mächte (vgl. zusätzlich I 26,1);
4 Seelenwanderung;
5 Kriegsmotiv;
6 Scheinkreuzigung (vgl. zusätzlich I 26,1);
7 Propheten als Gesandte der Engel;
8 paulinisch-kyrenäische Gesetzeslehre;
9 Libertinismus (vgl. zusätzlich I 26,3; 27,3 [?]; 28,2 – ferner I 6,3; 13,6 f; 31,2);
10 Magie und Idolatrie (vgl. außerdem I 13,5);
11 Gleichgestalt der Anhänger mit dem Meister.
Damit wird förmlich historisch »bewiesen«, dass sie wirklich von Simon abstammen. Trifft das zu, dann sind die fraglichen Lehren schon daraus als Ketzereien ersichtlich, dass eben jener Simon eine Abfuhr durch Petrus erhalten hat. Dies zeige unzweifelhaft der Bericht der kanonischen Apg (Kap. 8), den Irenäus selbst vor dem Ketzerkatalog ausschreibt (Haer I 23,1), freilich ohne die Bitte Simons an die Apostel zu erwähnen, sie mögen für ihn beten, Apg 8,24: »Bittet ihr den Herrn für mich, dass nichts von dem über mich komme, was ihr gesagt habt!«
Der Vf. der Apg war also gegenüber dem Erzhäretiker Simon noch milder als 100 Jahre später Irenäus. Der Grund dafür liegt vor allem in der verschiedenen kirchenhistorischen Lage. Irenäus setzt strikt die Trennung von Orthodoxie und Ketzerei voraus, beim Vf. der Apg ist die Lage noch nicht so verfestigt. Er führt einen begrenzten Dialog mit konkurrierenden synkretistischen Gruppen. Dies zeigt sich nicht nur an der Simon-Perikope (Apg 8), sondern auch an der relativ offenen Gestaltung der Abschnitte über Elymas (Apg 13,6 – 12) und die Söhne des Skeuas (Apg 19,13 – 17). Elymas’ Blindheit ist nur begrenzt (13,11), und die Söhne des Skeuas flohen nackt (19,16). Der Autor »vermag … die Kritik des Synkretismus durchzuführen, ohne dessen Repräsentanten schon prinzipiell preiszugeben.«18
Irenäus beschreibt mit einer technisch zu nennenden Terminologie die Abhängigkeit der verschiedenen Häretiker untereinander. Simon hat in Menander einen Nachfolger, Markion ist der Nachfolger des Kerdon. Alle referierten Gnostiker, die auch Simonianer genannt werden (Haer I 29,1), sind Schüler und Nachfolger Simons (Haer I 27,4). Im Vorwort zu Buch II heißt es: »Wir haben die Lehre ihres Stifters Simon und aller jener, die ihm nachfolgten, aufgezeigt.«
Norbert Brox hat aus dem Vorkommen dieser technischen Terminologie geschlossen, dass es bei den Gnostikern »eine feste Vorstellung … von Lehrtradition«19 gebe. Demgegenüber wird man umgekehrt damit rechnen müssen, dass diese Ausdrucksweise aus dem Kampf des Irenäus bzw. seiner Vorgänger gegen »die fälschlich so genannte Gnosis« zu begreifen ist. Man übertrug das eigene Traditionsprinzip auf die Gegner und führte ebenso wie die eigenen kirchlichen Lehren auch alle gnostischen Phänomene auf Personen in der apostolischen Zeit zurück. So fand man den Ursprung der gegnerischen Lehren in der Verkündigung des Apg 8 bezeugten Simon Magus, und der zeitgenössische Konflikt konnte in der normativen Zeit der Apostel als schon längst entschieden gelten, hatte doch der Apostelfürst Petrus jenen Simon abgewiesen.
Zur Theologie des Irenäus
Irenäus’ Theologie, die stark von seinem Kampf gegen Irrlehrer geprägt ist, lässt sich in folgenden Punkten zusammenfassen:
Erstens sind der Schöpfer der Welt und der Vater Jesu Christi ein und derselbe.
Zweitens СКАЧАТЬ