Название: Ich finde Gott in den Dingen, die mich wütend machen
Автор: Nadia Bolz-Weber
Издательство: Автор
Жанр: Биографии и Мемуары
isbn: 9783865068033
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Ich stand auf und verließ den Raum. Die Bibel war die bevorzugte Waffe im geistlichen Gladiatorenzirkus meiner Jugend gewesen. Ich wusste, dass die Bibel, wenn man sie gezielt und präzise schwingt, tiefe Wunden schlagen kann, während derjenige, der sie in der Hand hält, ungestraft behaupten kann, dies komme „von Gott“. Wann immer ein Bibelvers gebraucht wird, um einen anderen Menschen auszuschließen, zu beschämen, zu schädigen oder zu verletzen, dann geschieht das anscheinend, da Gott ja die Bibel geschrieben hat (ein grotesker Gedanke), nicht nur in seinem Namen, sondern auch aus Liebe und Fürsorge für diesen anderen. Und diese Person war ich mehrere Male gewesen und hatte geistlich blutend am Boden gelegen, während die netten, wohlmeinenden und fürsorglichen Christen herablassend lächelnd über mir standen und höchst zufrieden mit sich waren, weil sie ja „die Wahrheit in Liebe ausgesprochen“ hatten.
Das Buch, das Gott „geschrieben“ hatte, war benutzt worden, um mir und anderen wehzutun. Als nun in diesem Zwölf-Schritte-Treffen einer der Teilnehmer darauf zu sprechen kam, war das das Einzige, woran ich denken konnte. Und wenn ich einen „Gott“ finden musste, „mit dem ich verhandeln konnte“, wie Margery es ausdrückte, dann würde das bestimmt keiner sein, der so ein Buch wie die Bibel geschrieben hatte. Wer konnte damals schon ahnen, dass ich später einmal die Bibel lieben lernen würde, nachdem ich erst einmal all die großartigen Teile darin entdeckt hatte, von denen nie die Rede gewesen war, als ich heranwuchs.
Aber die Verbindung – die tiefe, beständige und persönliche Verbindung, die Leute wie Margery zu Gott hatten, zu einer Macht, die größer war als ihr Trinker-Ich – basierte keineswegs auf Frömmigkeit oder Gerechtigkeit. Sie basierte einzig und allein auf etwas, womit ich entschieden mehr anfangen konnte: auf Verzweiflung.
Im Rückblick erscheint mir das alles heute wie eine Unterbrechung. Es war, als würde Gott mich abrupt, ja geradezu grob, in meinem Leben unterbrechen. Mir war es doch prima gegangen mit meinem Streben nach einem frühen Rock’n’Roll-Tod. Ich fand es zum Brüllen komisch, wenn ich mit Schrunden im Gesicht zu meinem Kellnerinnenjob erschien, weil ich wieder einmal in einer Pfütze meines eigenen erbrochenen Wodkas eingeschlafen war. Immer, wenn ich gesagt hatte, ich müsste wirklich versuchen, mit dem Saufen aufzuhören, drückte ich damit in Wirklichkeit aus: Schaut doch mal, wie gut ich als Säuferin bin. Oder anders gesagt: Bin ich nicht eine niedliche gescheiterte Existenz?
Als ich dann also mit dem Trinken aufhörte, als ich meine Abende nicht mehr in Bars, sondern in Gemeindehauskellern verbrachte, hatte ich nicht das Gefühl, als sei das eine Willenssache. Im Gegenteil, es geschah gegen meinen Willen, und ich war stinkwütend deswegen. Ich kochte vor Wut darüber, dass mir der Fusel genommen wurde, wo der doch das Einzige war, was verlässlich die von der Angst und dem Druck des Menschseins verkrampften Muskeln in meiner Brust wenigstens ein bisschen zu lockern vermochte.
Aber ich blieb dran. Ich blieb dabei, nicht zu trinken und Frauen wie Margery zuzuhören, denn in diesen Räumen hörte ich, wie Wahrheit ausgesprochen wurde. Obwohl mein Wunsch eigentlich nur war, wie eine Dame trinken zu lernen, blieb ich dabei, um von diesen Leuten zu lernen, wie Leute wie wir es schaffen können, nüchtern zu bleiben. Ich hatte so oft die vertraute Wahrheit über mein eigenes Alkoholproblem aus dem Mund von alten Männern und Straßenpunks und Anwälten und alten Damen wie Margery gehört, dass ich mehr Willenskraft gebraucht hätte, um es zu verleugnen, als um mich einfach zu ergeben.
Mich erinnert das an den großartigen französischen Film La Femme Nikita (und das spätere grottenschlechte amerikanische Remake Codename: Nina) aus den frühen 1990ern. Nikita ist ein drogensüchtiges junges Mädchen und die einzige Überlebende einer Schießerei zwischen der Polizei und der Diebesbande, zu der sie gehörte. Die Behörden täuschen ihren Tod vor, stecken sie ins Gefängnis und stellen sie dann vor die Wahl, sich entweder tatsächlich in ihr angebliches Grab zu legen oder mit ihnen zusammenzuarbeiten. Quid pro quo.
Trocken zu werden fühlte sich für mich nie so an, als hätte ich mich am eigenen geistlichen Schlafittchen aus dem Sumpf gezogen. Es fühlte sich eher so an, als wäre ich zielstrebig auf dem Weg zur Selbstzerstörung, und Gott hätte mich am Kragen geschnappt und hochgehoben, während ich hoffnungslos um mich trat und strampelte und sagte: „Hau ab. Ich nehme lieber die Selbstzerstörung.“ Worauf Gott mich kleines Würmchen mit meinem wutroten Gesicht anschaute und sagte: „Wie niedlich“, um mich dann schwungvoll auf einen ganz anderen Weg zu setzen. Ich bin so etwas wie eine lutherische Nikita. Ich bekam die Erlaubnis, nicht zu sterben und als Gegenleistung für Gott zu arbeiten. Ich bekam ein Leben zurück, ein reiches Leben, das ich mir nie aus dem Katalog ausgesucht hätte – ein Leben, in dem ich einen netten Mann heiraten, aufs College gehen, zwei Babys bekommen, Theologie studieren, als lutherische Pastorin ordiniert werden und eine Gemeinde gründen würde. Ich sollte mein Leben zurückbekommen, aber dafür würde ich für Gott arbeiten müssen. Ich würde Gottes Zicke werden müssen.
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