Название: Jakob
Автор: Stephan
Издательство: Автор
Жанр: Исторические любовные романы
isbn: 9783957447111
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Seine Klasse bestand aus dreißig Jungen und zwei Mädchen. Da waren Hänseleien und Rangeleien geradezu an der Tagesordnung.
So was passte Jakob gar nicht; das machte ihn oft und gern erst recht zum Ziel der Attacken.
Im Bauhof ging es besonders hart zu. Da ging es um das Praktische, um die Ausbildung an Modelldächern. Wenn Jakob wirklich sehr viel lernen wollte, woran ihm lag, hatte er keine Chance.
Von zweien aus der Brigade Meister Kurz wurde er nur allzu gerne aufgezogen und bald hierhin und bald dahin geschubst. Ohne jeden Grund. Was war Jakob immer heilfroh, wenn er wieder in seine eigene Brigade, zu Biene, zurückkonnte. Hier schätzte man ihn. Nutzte seinen Eifer, sein Bemühen, immer mehr Arbeitsschritte als die gezeigten oder erklärten zu bringen.
Aber die heiklen Situationen sollten sich noch verschlimmern.
Nach einem Jahr stand die Auszeichnungsreise für die besten Lehrlinge des Betriebes an. Man durfte gespannt sein, auf wen würde die Entscheidung fallen? Wer könnte da in Frage kommen? Schließlich galten alle vier Dachdecker inzwischen als die besten, wiesen alle vier gleichermaßen einen Gesamtdurchschnitt von eins Komma zwei in Theorie und Praxis auf und waren kaum zu toppen. So was hatten sie hier noch nie.
Also waren sie alle vier dabei.
Die Reise dauerte sieben Tage und führte sie, und dazu noch einen Maurerlehrling und die zwei Lehrausbilder mit Anhang nach Lenin, ins Brandenburgische. Schön. Und es hätte prima werden können, aber aus Gründen, die sich später als medizinisches Fiasko herausstellten, fiel Jakob dort um.
Er hatte seinen ersten schweren Krampfanfall. Es kam aus heiterem Himmel.
Alles war erschrocken. Aber Jakob war klar bei Verstand und gab instinktiv Anweisungen: „Setzt mich auf den Stuhl da und schiebt mich ans Fenster.“ Sie taten es.
„Hakt meine Hände in den Fensterrahmen und drückt meine Füße gegen die Wand!“
Nun zog Jakob solange am Fensterhaken, bis seine Finger wieder einigermaßen gerade wurden und er auch die Knie wieder durchdrücken konnte. Doch seine Mühen reichten nicht. Kaum war er vom Fenster weg, waren die Krämpfe zurück. Und die anderen mussten den völlig Verkrampften ins Bett tragen. Nichts half. Nicht einmal die Herztropfen, die er sowieso schon seit ein paar Tagen einzunehmen hatte – alles blieb wirkungslos. Es war einfach unmöglich, der Sache Herr zu werden. Der Maurermeister, ein Schrank von einem Mann, musste wirklich um das Leben von Jakob kämpfen.
Das tat er.
Die drei anderen Lehrlinge aber wussten weder sich, noch dem Betroffenen zu helfen. Und Jakob war nicht mehr er selbst vor Schmerzen, war in einer Zwangslage; hätte beinahe die Pranken dieses Schrankes unbewusst gebrochen. Heftig übermannten ihn diese Zustände immer wieder aufs Neue. Kaum eine Unterbrechung.
Fast bewusstlos von all dem, das da von einer Minute zur anderen kam und von ihm Besitz ergriff, standen er und Leben und Tod beieinander.
Jakob war klar, ohne die Hilfe des Maurers hätte er den Kampf glatt verloren.
Der starke Mann aber konnte sich das Geschehen nicht erklären und gab, weil er zuweilen etwas von der Hänselei gehört hatte, den anderen, den Lehrlingen, die Schuld. Nur das war für den Maurer naheliegend.
Dem aber war nicht so.
Zu einem späteren Zeitpunkt dann sollte Jakob erfahren, die Krämpfe hätten ihn immer und überall erfassen können. Keiner trug dafür eine Verantwortung oder gar Schuld. Ebenso, wie sie auch keiner hätte jemals verhindern können.
Unter den Gegebenheiten hier nun war es erst der Notarzt gewesen, der mit Spritzen dem Ganzen ein Ende bereiten konnte. Zur Nachkontrolle tags darauf begleiteten Markus und der eine Manuel ihren Mitstreiter zum Arzt, wo er gleich nochmals zwei Spritzen verpasst bekam. ‚Na, danke schön auch!’, maulte Jakob für sich im Stillen.
Im November desselben Jahres hatten alle Jungs der Dachdeckerklasse ins GST-Lager zu fahren. Auch Jakob.
Das war Pflicht und dauerte sechs Wochen.
Und natürlich hatte sich der ungewöhnliche Vorfall damals in Lenin inzwischen unter allen Lehrlingen längst herumgesprochen. Und wie es mit unerklärlichen Besonderheiten oft geht, es gibt immer welche, die Freude daran haben, das noch auf die Spitze zu treiben, es methodisch zu provozieren. So geschah es.
Drei langhaarige Typen vom Bauhof, die mit Jakob in dieselbe Klasse gingen, stürmten ganz plötzlich das Zimmer der Jungen rigoros und schlugen – aus Sensationslust, Langeweile oder vermeintlicher Überlegenheit – wie verrückt auf Jakob ein, der nichts ahnend im oberen Doppelstockbett lag. Es geschah aus heiterem Himmel. Sie hatten es so beschlossen, wollten sich die Krämpfe gerne mal live ansehen. Jakob seinerseits versuchte, so gut es ihm auf der kleinen Fläche da oben gelang, sich zur Wehr zu setzen.
Und wie er zurückschlug …
Doch unter diesen Umständen – einer gegen drei – das war wie Jakob gegen den Rest der Welt. Er konnte machen, was er wollte, zu gewinnen war der Kampf für ihn nicht. Aber es gab noch die Lehrer.
Ach ja, die. Der eine, der das mitbekommen haben musste und auch bemerkt hatte, der schaffte Klärung, durchaus.
Kam aber erst nachträglich hinzu. Später, viel später, nämlich dann, als die drei Angreifer das Zimmer bereits verlassen und sich verkrümelt hatten. Und dieser Lehrer war auch noch Boxer, war das zu fassen; aber Jakob hatte ihn durchschaut. Er dachte noch: ‚Was bist du bloß für eine miese Ratte von Mensch?’, als sich der andere gerade genau vor ihm aufbaute. An Zuspruch war hier nicht zu denken. ‚Der war wohl blind?’ Stattdessen gar schrie der Lehrer Jakob an: „Randalieren Sie hier mal nicht so rum, lassen Sie die anderen gefälligst in Ruhe! Sie richten jetzt Ihr Bett her, räumen das verwüstete Zimmer wieder auf und finden sich auf der Stelle beim Lagerkommandanten ein. Aber ein bisschen plötzlich! In zwei Minuten will ich Sie dort sehen!“
Jakob sprang wie wild aus dem Bett und schrie seinerseits: „Du Holzhirsch, bist total blind auf den Augen! Du Idiot, du kapierst ja überhaupt nicht, worum es geht! Und ein fieser Drecksack bist du obendrein! Wie kannst du dir anmaßen, mich, den Geschädigten, abzumahnen, anstatt die Angreifer?“
Im Büro des Lagerkommandanten traf Jakob erneut auf diesen Holzhirsch, auf noch zwei weitere Männer und, oh Wunder, sogar auf den Schuldirektor der „Querbreite“. Alles stand wartend da. Auf ihn.
In GST-Uniformen mit Dutzenden von Abzeichen an den Jacken.
Kaum hatte Jakob einen Fuß in den Raum gesetzt, ergriff der Lagerkommandant das Wort: „Ich erteile Ihnen hiermit einen Verweis. Einen Verweis, der sich auch in Ihrer Personalakte und im polizeilichen Führungszeugnis niederschlägt.“
‚Unauslöschlich wie ein Brandmal!’, dachte Jakob.
Der Verweis lautete dann: „… wegen Angriffs gegen uniformierte Bürger der DDR und Verbreitens von imperialistischer Hetze.“
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