Название: Turnvater Jahn
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Биографии и Мемуары
isbn: 9783955521721
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»So etwas würde ich nie tun!«, versicherte Pulvermacher.
»Das will ich dir auch geraten haben.« Jahn überlegte. »Wir verschicken eine Flaschenpost.«
Pulvermacher nickte. »Auf den Zettel schreiben wir: Kommt alle am Sonntag in die Kirche, da predigt mein Vater Alexander Friedrich Jahn!«
Wieder holte Jahn aus. »Noch ein Wort … «
Pulvermacher duckte sich unwillkürlich, denn er wusste, dass der Freund sehr jähzornig werden konnte. Das hatte er von seiner Mutter geerbt. »Entschuldige bitte!«
Jahn holte einen Bleistift und ein Stück Papier hervor. Dann schrieb er:
Wier sitzen auf einer einsammen Inßel bei Lenzen fesst. Retet unß!
Nachdem sie die Flaschenpost ins Wasser geworfen hatten, setzten sie sich auf die Uferböschung und hofften, dass bald ein Schiff vorüberkommen würde.
Was aber aus Richtung Schnackenburg angeschwommen kam, war ein Mensch. »Den muss ich rausfischen!«, schrie Jahn.
Wieder konnte Philipp Pulvermacher nicht anders als zu spotten. »Selbstverständlich, du als Menschenfischer! Der ist doch längst tot.«
»Das weißt du doch gar nicht!« Damit sprang Jahn in die Elbe. Das Ufer war meist flach, weshalb er dachte, einen Rettungsversuch wagen zu können Er geriet aber in eine Senkung, welche die Strömung ausgespült hatte, und war im Nu untergegangen. Schwimmen konnte er nicht. Aber er kam noch einmal kurz nach oben. »Hilfe, ich ertrinke!«
»Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. So steht es im Brief des Paulus an die Römer, und deshalb können wir gewiss sein, dass es der Herr selbst war, der uns einst unseren verstorbenen König geschenkt hat.«
Am 17. August 1786, einem Montag, war Friedrich II. von Preußen, auch bekannt als Friedrich der Große oder der Alte Fritz, in Sanssouci verstorben. Selbstverständlich hatte Alexander Friedrich Jahn am darauffolgenden Sonntag in seiner Predigt auf dieses Ereignis einzugehen. Zuerst ließ er die Gemeinde singen, um danach an die erste Zeile des Liedtextes anzuknüpfen.
Nun danket alle Gott
mit Herzen, Mund und Händen,
der große Dinge tut
an uns und allen Enden,
der uns von Mutter Leib
und Kindesbeinen an
unzählig viel zu gut
und noch jetzund getan.
»Nun danket Gott alle für diesen König, der so viel Gutes getan hat in Preußen. Wie hat er unser Land vergrößert! Die Zahl seiner Untertanen hat er verdoppelt, Westpreußen mit Danzig, Elbing und Thorn hat er dazugewonnen, auch Schlesien mit Breslau, der prächtigen Stadt an der Oder, und noch Gebiete in Polen, dem Ermland und in Ostfriesland. Wir brauchen uns nicht länger hinter Frankreich, Österreich und Russland zu verstecken, wir sind jetzt eine der großen Mächte in Europa. Aber nicht nur als Eroberer, auch als Musiker, Philosoph, Schriftsteller und Bauherr ist Friedrich der Große hervorgetreten. Ich zögere nicht, ihn einen Polyhistor zu nennen, ein Universalgenie. Jeder soll nach seiner Façon selig werden, das war seine Maxime. Damit hat er die Urformel der Toleranz geschaffen. Er hat die Folter abgeschafft, seine Untertanen vor Justizwillkür geschützt, auf die Einführung der Schulpflicht gedrängt und mit dem vermehrten Anbau von Kartoffeln dem Hunger ein Ende bereitet. Ja, meine liebe Gemeinde, der Herr hat uns mit Friedrich dem wahrhaft Großen ein unfassbar großes Geschenk gemacht.«
Als man nachher im Dorfkrug beim Frühschoppen beieinandersaß, stimmten die meisten der Predigt zu, es war aber auch vereinzelt Kritik zu hören, insbesondere von Germanus Pulvermacher, Philipps Vater. Der war eigentlich von seiner Familie dazu auserkoren gewesen, Rechtswissenschaften zu studieren, hatte aber das Studium ohne Abschluss beendet und war nach Lanz zurückgekommen, als sein Bruder starb und niemand sonst da war, den väterlichen Hof weiterzuführen. Es gab im Dorf kein Rittergut und keine Pächter, jeder war sein eigener Herr, was er als sehr verlockend empfunden hatte. Mit dem Pfarrer zusammen bildete er die geistige Elite in Lanz, doch in ihren Ansichten lagen sie zumeist weit auseinander, denn während der Hopfenbauer Pulvermacher eher Weltbürger war und eine republikanische Verfassung favorisierte, wie sie zum Beispiel San Marino hatte, war Pfarrer Jahn ein bodenständiger Mensch und konnte sich keine andere Staatsform als die Monarchie vorstellen. »Friedrich II. wird zu Recht Friedrich der Große genannt«, wiederholte Alexander Friedrich Jahn.
»Vielleicht sollten wir erst einmal darüber sinnieren, welche Persönlichkeit sich hinter diesem Friedrich eigentlich verbarg«, meinte Germanus Pulvermacher. »Er war ein innerlich zerrissener Mensch, Schöngeist auf der einen und Feldherr auf der anderen Seite. Und furchtbar ruhmsüchtig war er auch. Durch seine Kriege haben viele zehntausend Menschen ihr Leben verloren. Was hat er seinen Soldaten zugerufen, als sie nicht kämpfen wollten? ›Hunde, wollt ihr ewig leben?‹ Nicht sein Genie hat Preußen im Siebenjährigen Krieg gerettet, sondern das sogenannte Mirakel des Hauses Brandenburg. Es kam auch wirklich einem Wunder gleich, dass der Nachfolger der Zarin Elisabeth Frieden mit Preußen geschlossen hat.«
»Es war kein Wunder, sondern der Wille des Herrn!«, entgegnete Alexander Friedrich Jahn empört und begann, die Anwesenden mit einigen Randverfügungen des Königs zu unterhalten, die seit einiger Zeit in Preußen kursierten. »Ein Amtskollege von mir bat Friedrich um einen Zuschuss zum Unterhalt seines Pferdes. Der König notierte am Rand des Bittbriefes folgende Begründung für seine Ablehnung: Es heißt nicht: reitet in alle Welt, sondern gehet in alle Welt und predigt allen Völkern. Ein Beamter beschwerte sich schriftlich, dass er bei einer Beförderung übergangen worden sei, und Friedrich schrieb an den Rand: (…) ich habe einen haufen alte Maulesels im Stal die lange dienst machen aber nicht das Sie Stalmeisters werden. Ein Schäfer hatte in religiösem Wahn seinen Sohn umgebracht. Friedrich gab auf dem Todesurteil folgende Anweisung: Galgen und Rad bessern solche Narren nicht. Bringt den Kerl ins Tollhaus und laßt ihn dort menschlich und vernünftig behandeln.«
Friedrich Ludwig Jahn und Philipp Pulvermacher, die Söhne, hatten sich an das Fenster des Gasthauses geschlichen, um zu hören, was drinnen gesprochen wurde. Der junge Jahn war hin und her gerissen. Einerseits vergötterte er Friedrich II., andererseits nahm er ihm übel, dass er die französische Sprache über alles geliebt hatte und sie auch viel besser beherrschte als die deutsche.
Philipp Pulvermacher lachte, als Jahn im seine Gedanken mitteilte. »Hätte er etwa preußisch sprechen sollen?«
Jahn stutzte. Soweit er wusste, gab es viele Dutzend Dialekte in Deutschland, zum Beispiel Sächsisch, Bayerisch oder Schwäbisch – aber kein Preußisch, höchstens Ostpreußisch. Doch wie sich das anhörte! »Mamsall, nimm dem Kodder und jeh auf dem Lucht! Der Schmand ist ieberjeschwaddert.« Sein Vater konnte das gut nachmachen. Aber das gefiel ihm nicht. »Alle müssen richtig deutsch sprechen, so, dass man sie auch verstehen kann«, entschied er.
»Deutschland gibt es doch gar nicht wirklich«, stellte Pulvermacher fest. »Es gibt nur das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.«
»Deutschland СКАЧАТЬ