Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ Totila saß brütend da und drehte den Bleistift zwischen den Fingern. „Wir müssen halt schreiben, dass es uns gut geht …“ „Den Umständen entsprechend“, unterbrach Sebastian.

      „Ja klar“, Totila nickte. „Ist ja einerseits logisch, andererseits stellt sich aber auch die Frage, ob sie das durchgehen lassen.“

      Sebastian schüttelte den Kopf. „Also den Umständen entsprechend“, sagte er.

      „Ich denke, ein langjähriger Zuchthausaufenthalt ist doch wohl ein einleuchtender Umstand. Wir schreiben doch nicht aus einem Genesungsheim.“

      „Du hast ja recht, aber den Umständen entsprechend klingt doch irgendwie kritisierend.“

      „Ach Quatsch, dann sollen die mir den Brief eben wieder zurückgeben. Ich probiers jedenfalls.“ Totila zuckte mit den Schultern. „Versuchs einfach, wenn du meinst … Wichtig ist aber, dass die sich zu Hause nicht zu große Sorgen machen.“

      Sebastian schob die Lippen vor und wiegte den Kopf. „Besonders dick auftragen“, sagte er, „müssen wir deshalb hier aber auch nicht.“

      „Brauchen wir ja nicht“, antwortete Totila.

      „Ja aber, wenn ich schreibe mir geht es gut, dann ist das keine halbe Zeile.“

      Totila schüttelte grinsend den Kopf. „Mann“, sagte er, „lass dir was einfallen, du kennst doch genug Füllwörter und schreibst nicht zum ersten Mal so einen Brief. Frag’ einfach an wie’s den Geschwistern geht oder wohin dein Vater seinen Bienenwagen zur Akazientracht gefahren hat. Ich glaub’ so heißt das doch oder?“, fügte er hinzu und sah Sebastian an.“ Frag auch, was die Oma macht.

      Ein richtiger Briefwechsel wird das hier sowieso nie.“ Sebastian nickte: „Ja, Tracht heißt das bei den Bienen. Also wirklich“, sagte er dann, „unter diesen Bedingungen hier? Ich würde am liebsten gar nicht schreiben.“

      „Du spinnst total! Du hast doch die andern Briefe auch alle geschrieben und die zehn Zeilen an deine Christa …“

      „Richtig. Die wird ja auch denken ich bin so simpel wie ich schreiben muss. Na ja“, gab er nach kurzem Nachdenken schließlich zu, „mir wird schon irgend ein unverdächtiger Unsinn einfallen.“

      „Wenn dir nicht bald was einfällt“, mahnte Totila, „ist die Zeit dafür vorbei. Wir haben höchstens noch ’ne Viertelstunde, dann kommen die nächsten die hier schreiben sollen.“

      Beide brachten dann aber die erlaubten zwanzig Zeilen doch noch aufs Papier.

      Sebastian auch die zehn Zeilen an seine Freundin Christa, die seine Mutter nach Leipzig schicken würde. Wie seine Freundin Christa nun ihrerseits über die ganze Angelegenheit dachte, konnte sie ihm ja auch nicht mitteilen und er nicht, weshalb das alles so gekommen war. Was für ein Briefwechsel! Seine Mutter würde wohl etwas zur Aufklärung beitragen, aber Missverständnisse waren dabei natürlich fast vorprogrammiert.

      „Das wimmelt bei mir nur so von Belanglosigkeiten“, murrte Sebastian schließlich und schnippte den Briefbogen von sich.

      „Ich denke“, sagte Totila, „wir müssen uns auf das alles hier erst noch richtig einstellen.“

      „Soll das heißen, wir müssen gleichgültiger werden?“

      „Vielleicht“, antwortete der Freund.

      Immer wieder dachte Sebastian an den Todeskandidaten und den überheblich zynischen Ton als sie ihn weggebracht hatten: „Da wo Sie jetzt hinkommen, brauchen Sie keine Sachen mehr …“ Im Krieg Jagdflieger, verheiratet und zwei Kinder, die noch zur Schule gingen, so verbreitete es sich auf Station vier. Die MIK 15: Dank dieses Mannes wusste man im Westen nun gut über das Bedrohungspotential dieser sowjetischen Maschine Bescheid. Tropfen für Tropfen sagte Sebastian sich, höhlt mit der Zeit auch den festesten Stein.

      In der Zelle war es still geworden, alle dösten auf ihren Schemeln vor sich hin.

      Sebastian bewegte das Schicksal dieses Fluglehrers, wenn er dabei noch an die Empfindungen seines eigenen Traums dachte. Der einsame Gang zum Fallbeil, umgeben von Kälte und Tod: Für ihn nur ein Alptraum, doch der andere, der Fluglehrer, war ihn wirklich gegangen, diesen Weg …

      Langsam lief Sebastian im schmalen Spalt zwischen den Betten auf und ab: Vier Schritte zum Fenster, kehrt, vier Schritte zurück, kehrt, vier Schritte zum Fenster … hin und her, ganz gleichmäßig wie ein großes Pendel in einem Uhrwerk und dazu das regelmäßige Knarren eines Dielenbretts. Sebastian bemerkte, dass er kurz davor stand in etwas wie Trance zu verfallen. Dresden, sagte er sich … Dresden, Hitler und die Guillotine. Tod und Verderben … Wie mochte dem Fluglehrer dort zumute gewesen sein … Alles Streben, Wollen, Können, alles Lieben, alle Schönheit, würde für ihn dort zu Ende gehen. Und die fanatische Blödheit der Menschen um ihn her, die ihn zum Tode bringen würden, kalt und selbstgerecht. Ein kurzer Aufschub noch, eine kahle Zelle und das Warten … Sebastians Schritte eins, zwei, drei, vier, und kehrt. Eins, zwei, drei, vier, und kehrt … dazu das im immer gleichen Rhythmus knarrende Dielenbrett schränkten seine Sinne ein. Er empfand eine weite Leere, alles verlor an Bedeutung, wurde klein und x-beliebig … er selbst, die Zelle, die Mitgefangenen, der Zellenbau, seine Verurteilung, seine Taten, seine Überzeugungen … Gab es denn diese Welt um ihn her überhaupt? Doch immer wieder kam er dann doch zurück in die Welt, die sich real nannte. Schließlich bemerkte er, dass sich in ihm angesichts der erlebten Welt, so etwas wie ein Schock zu lösen begann, an den er erst nicht hatte glauben wollen. Es wurmte ihn nun um so mehr, dass er sich ahnungslos und naiv auf diesen Freund aus fernen Kindertagen hatte einlassen können. Im Nachhinein fielen ihm Kleinigkeiten ein, Kleinigkeiten mit tiefen Wurzeln, die ihm schon früher hätten auffallen müssen. Da war etwa die Sache mit dem heimlich besorgten Kleinkalibergewehr. Bei Schießübungen im Keller hatte er die Ladungen aus Mangel an Originalmunition immer ein wenig mehr mit Plättchenpulver aus einer alten Karabinerpatrone erhöht, um mehr Durchschlagskraft zu erzielen. Vor jedem Abschuß einer Ladung war sein Freund eilig aus dem Keller bis auf den Hof geflüchtet, um nach dem Schuß vorsichtig durch die spaltoffene Kellertür nach ihm Ausschau zu halten. Sebastian hatte damals darüber gelacht.

      Ein anderes Geschehen hatte ihn dann aber doch wieder kurz nachdenklich werden lassen, nämlich wie abfällig der Freund sich in seiner Gegenwart über die eigenen Eltern ausgelassen hatte, um das dann aber auch rasch wieder zu verdrängen, vielleicht weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte? Auch hatte er das alles stets in ein komisches Licht gerückt, um sich die Wahrheit nicht eingestehen zu müssen.

      Es hatte noch viele Warnzeichen gegeben, die er bewusst missachtet hatte. Er ahnte damals schon, dass das an diesem Freund Charakterscharten waren, die nicht auf sich allein beruhten. Doch hätte Sebastian darauf angesprochen, dies sicher von sich gewiesen..

      So verging die Zeit im Gleichmaß des Zellenalltags: Der Gefangene wechselte hin und wieder von Hocker zu Hocker, man konnte ja nicht immer nur auf ein und derselben Stelle sitzen in den Stunden des Wartens auf die regelmäßige Nahrungszuteilung oder des Raustretens zur Freistunde. Ebenso war es möglich einige Schritte zwischen den Betten auf und ab zu laufen, wenn die andern saßen. Auch eine Weile durch die Fensterklappe nach draußen zu blicken in ein sonnenbeschienenes Land oder in dunstiggraue Regenschwaden, galt als Abwechslung. Gegebenenfalls an grauen Tagen dicht unterm Fenster ein Buch zu lesen und sei es ein sowjetischer Heldenroman, konnte eine ebenso willkommene Ablenkung bedeuten.

      Hin und wieder erzählte ein Zellengenosse aus seinem Leben, etwa aus der Kriegsgefangenschaft in Russland, berichtete von Holzfällerarbeiten in riesigen Wäldern hinterm Ural СКАЧАТЬ