Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ wohl darauf an“, sagte er, „wie viel du weißt vom Dreck an manchen Stecken. Doch nur als Oberstaatsanwalt und sei’s am Obersten Gericht, glaube ich, bist du nicht wichtig genug. Ich weiß es natürlich nicht.“ Achselzuckend wandte er sich ab und trat zum Fenster, „aber ich sehe das so“, fügte er noch hinzu.

      „Du wartest auf Freunde wie wir auf eine Amnestie“, wandte Totila sich an den einstigen Oberstaatsanwalt, „aber kommen wird beides nicht.“

      „Unsinn“, empörte Lipka sich. „Ich habe Freunde, durchaus einflussreiche Freunde. Und einige sind mir noch was schuldig. Ich warte jedenfalls nicht auf eine Amnestie.“

      Auch er wurde eines Tages aus der Zelle verlegt.

      „Sollen auch andere noch ihren Spaß an dem haben“, kommentierte der Journalist diese Verlegung.

      Als eine positive Besonderheit erwies es sich, dass die Ausscheidungen von nur drei Leuten den Kübel längst nicht mehr so randvoll werden ließen. Dennoch musste die Prozedur: alle schnell noch auf den Kübel früh am Morgen und abends der Reihe nach hintereinander, abgestimmt erfolgen, denn jedes Mal vor der Freistunde und vor dem Einschluss am Abend, krachten immer sehr rasch die Schlösser und Riegel der Türen hintereinander den Gang hinauf: „Dalli dalli!“ Kübel raus, Kübel rein.

      Nach Wochen eines eher gemischten Wetters war es draußen noch einmal richtig heiß geworden, der ewig gleiche Ablauf Tag für Tag … mindestens dreißig Grad schätzten die Gefangenen und das wirkte sich vor allem unter’m Flachdach in der obersten Station, auf das die Sonne brannte, verheerend aus. Die wieder einmal neueste Anordnung lautete: Es sei bei Arreststrafe verboten die Jacken aufzuknöpfen, geschweige denn sich ihrer zu entledigen und die Fensterklappen zu öffnen. Das erwies sich in den überbelegten Zellen, zumal mit den Chlor und Urin ausdünstenden Kübeln in der Ecke als Katastrophe, als eine abgefeimte Art von Folter, meinten die Gefangenen.

      Die Minderheit der Kriminellen gab den Politischen die Schuld an diesen drastischen Auflagen. Die Zelleninsassen drängten sich dann abwechselnd gegen die Türspalten, um vom Gang her die dort vergleichsweise frischere Luft zu atmen.

      Und immer wieder mal klapperte der Deckel des Spions draußen an der Tür.

      Jedem war natürlich klar, dass dort Schließer wieder mal auf der Jagd nach Arrestkandidaten waren. Sinnlos, sich wegen so einer Schikane zwei Wochen in den Arrest bei Wasser und Brot schicken zu lassen. Die machten sich wahrscheinlich auch wieder mal nur einen Spaß daraus, etwa mit Wetten: Wer erwischt die meisten. So ähnlich dachten sicherlich viele der Gefangenen und so blieb eine nennenswerte Jagdstrecke wohl aus. Von den Kalfaktoren jedenfalls war nach dieser spontanen Aktion der Schließer nichts von Arrestierungserfolgen zu hören. Als nach etwa acht Tagen die Temperaturen draußen etwas nachließen, durften Jacken aufgeknöpft und Fensterklappen wieder geöffnet werden.

       Kapitel 10

      So ging der Sommer dahin, die lange Regenperiode war vorübergegangen, auch die darauf folgende späte Hitzewelle hatte nachgelassen, als eines Tages in die Nachmittagsstille hinein Schmerzensschreie durch den Bau hallten. Als die Schreie sich wiederholten klopfte Sebastian mehrmals gegen die Türe, bis endlich der Stationskalfaktor auf dem Gang sich meldete.

      „Überall klopft es“, sagte er, „ich kann mich doch nicht zerteilen. Die Schreie, ja, da braucht dringend einer ein spezielles Medikament … Ich weiß auch nicht welches, aber schon seit Tagen.“

      Die Schreie kamen aus einer der unteren Stationen, denn von dort brach dann auch der lärmende Protest der Gefangenen los, die auf die Betten geklettert waren, mit ihren Blechschüsseln gegen die Gitter schlugen und „Mörder! Mörder!!“, nach draußen schrien, über die Mauern hinweg in die Stadt hinein. Das griff blitzartig auf alle Stationen, auch auf die obersten über, sodass letztlich der ganze Zellenbau dröhnte, da auch noch gegen die eisenblechbeschlagenen Türen gehämmert wurde. Wie später zu erfahren gewesen war, ging es wirklich um irgendein lebenswichtiges Medikament für einen akut erkrankten Gefangenen. Während dieses Höllenlärms liefen alle Schließer über die Gänge, um durch die Spione in den Zellentüren die Protestierer zu ermitteln.

      Danach waren alle Arrestzellen im Keller belegt: Verächtlichmachung des Staates, Boykotthetze wegen der Mörder-Mörder-Rufe und Anstiftung zum Aufruhr.

      Einigen mit Spitzeln auf der Zelle konnten solche Rufe zum Verhängnis werden.

      Da war leicht ein Nachschlag von ein, zwei Jahren möglich, je nach Bedeutung ihrer Vorstrafe.

      Auch Sebastian und Totila hatten mit dem West-Berliner Journalisten umgehend nach ihren Aluminiumschüsseln gegriffen, um damit den schrillen Lärm an den Gittern zu unterstützen. Natürlich hatten sie aus ihrem Zellenfenster auch die Mörderrufe nach Kräften wiederholt und so den Chor mit verstärkt. Nur mussten sie dazu nicht auf ein Bett klettern wie in den unteren Stationen und wurden deshalb auch nicht erwischt, weder mit den Schüsseln am Gitter, noch bei ihren Rufen. Auch wussten nun alle in der Zelle genau, dass unter ihnen kein Spitzel sein Unwesen trieb, weil niemand in den Arrest oder gar vor Gericht musste. In Hinsicht auf die Zuverlässigkeit einer Zellenbelegung konnte es sich aber immer nur um eine Momentaufnahme handeln, die sich bei jeder Verlegung und jedem Zugang ändern würde.

      Später war über den Kalfaktor zu hören gewesen, dass der erkrankte Gefangene, der den Aufruhr ausgelöst hatte, das zuerst verweigerte Medikament dann doch noch erhalten hatte.

      Seit Wochen gab es jeden Mittag statt einer wässrigen Weißkohl- oder Spinatsuppe dick zusammengekochte Bruchnudelpampe mit brauner Mehlsoße. Jeden Tag, wenn die großen aus Armeebeständen ausgemusterten Thermoskübel auf den Treppenabsatz krachten, um dann auf diesem kleinen Karren zum Austeilen der Nahrung von Tür zu Tür den Gang entlang transportiert zu werden, hofften die Gefangenen auf eine Abwechslung, wohl wissend, dass es eine müßige Hoffnung war.

      Kartoffeln, hatten Totila und Sebastian gehört, habe es schon seit Anfang März nicht mehr gegeben. Sebastian dachte dabei an zu Hause. Auch dort waren die zugeteilten Einkellerungskartoffeln für die ganze Familie immer schon im April, spätestens im Mai, zu Ende gegangen.

      Wenn es auch Tag für Tag die immer gleiche klebrige Bruchnudelpampe gab, zuvor zusammengefegt in einer Cottbuser Nudelfabrik, galt die Nahrungsausgabe allen Gefangenen auch als Zeitmesser, als Uhr … Wer jeden Tag im wesentlichen auf einem Hocker sitzend zu verbringen hatte und das wochen-, monate- und jahrelang, unter extrem beengten und hygienisch mehr als nur fragwürdigen Verhältnissen, für den war das Austeilen der Nahrung eine Zäsur, deren Bedeutung über die pure Ernährung hinausging.

      Die Zuteilung eines monatlichen Briefes von zwanzig Zeilen an Angehörige auf einem vorgedruckten DIN A5-Bogen war keine Selbstverständlichkeit, sondern galt als eine an Auflagen geknüpfte Gewährung. Das war auch Sebastian und Totila schon vor ihrem ersten Brief von Kommandoleiter Wollny klar gemacht worden. Jeder Brief durchlief eine Zensur, wurde also in der Strafvollzugsverwaltung gelesen. So durfte etwa über Krankheiten in der Anstalt, vor allem aber auch über eigene Erkrankungen, im Brief nichts erwähnt werden. So was galt als Anstaltsangelegenheit wie auch die Verpflegung, die Unterbringung, die Behandlung, die ganzen Alltäglichkeiten …Wer das in seinem Brief nicht strikt beachtete, durfte ihn, aber dann auch nur ausnahmsweise, noch einmal schreiben. Bei erneuten Beanstandungen, und solche waren leicht zu finden, gab es keinen Brief mehr.

      Wieder einmal hockten Sebastian und Totila vor den Zellen an einem Tischchen auf einer der drei Brücken über dem Lichtschacht, um ihren Zwanzig-Zeilen-Brief an die Angehörigen zu verfassen. Auf der Zelle zu schreiben war, aus welchen Gründen auch immer, СКАЧАТЬ