Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ leisten.“

      „So was mögen die in der Schule aber nicht.“

      „Ja natürlich, weil er noch immer die falschen Eltern hat. Etwas hat sich’s ja schon geändert … aber das würde jetzt hier zu weit führen“, sagte er, als er sah, dass der Zensor am Tisch bereits die Ohren spitzte.

      „Übrigens“, fuhr die Mutter fort, „der Langenbach ist nach Altdöbern versetzt worden und jetzt dort Rektor am Lehrerbildungsinstitut.“

      Langenbach, erinnerte Sebastian sich, Langenbach, der als Lehrer vor allen Schülern erklärt hatte, er, Sebastian Sebaldt, gehöre einer untergehenden Klasse an und der dann mit allen Mitteln versucht habe, schon seine Grundschulkarriere zu ruinieren. Langenbach, dieser einstige HJ-Fähnleinführer, Afrika-Korps-Kämpfer und spätere SED-Parteisekretär der Schule, den alle Kollegen fürchteten, war dann derjenige gewesen, der ihn mit seinem Hass endgültig politisch geweckt hatte: Heiligtümer des Stalinismus … Er hatte sich in sie vertieft und nur Ausgrenzung, Unterdrückung und Vernichtung gefunden, schlecht verpackt in sprachlichem Kitsch aus Wolkenkuckusckheim wie er das nannte. Wenn etwas untergeht, hatte er sich gesagt, dann dieser unbegrenzte Machtanspruch, an dem auch Hitler schon zu Recht gescheitert war.

      Doch jetzt saß er an diesem Tisch und seine Mutter litt darunter, ihn so sehen zu müssen in dieser gezeichneten Kluft. Seine Schwestern, erzählte sie noch, hätten beide nach der 8.Klasse eine Lehre als Schaufensterdekorateure begonnen.

      „So etwas ähnliches hatte ich mir schon gedacht“, sagte Sebastian.

      Und irgendwie war dann diese halbe Stunde auch verflogen. „Die Zeit ist um!“, verkündete der Zensor und erhob sich auffordernd. „Verabschieden Sie sich.“

      In den Augen seiner Mutter erblickte Sebastian Tränen und sie tat ihm sehr leid.

      „Mach dir keine Sorgen“, versuchte er zu trösten, „ich stehe das hier schon durch.“ Aber das waren eben auch nur Worte und er ahnte in seiner angespannten Lage den Schmerz der Mutter nicht wirklich. Er sah seine Situation wie unter einem Blitzlichtstrahl ohne Zeit, alles gleichermaßen vor Augen: Die stark beengten äußerst primitiven Verhältnisse, in denen er wohl Jahre würde verbringen müssen, wovon die Mutter zum Glück nichts wusste, wie etwa das mit dem Kübel für die Notdurft in den überbelegten Zellen, der für jeweils vier Menschen ausreichen musste und dass das nur möglich sein konnte, wenn alle diesen Kübel zu bestimmten Zeiten der Reihe nach hintereinander benutzten. Sonst ginge da nichts, denn geleert wurde dieser stets randvoll erst wieder am Abend.

      An heißen Sommertagen etwa war die schweiß- chlor- und uringesättigte Luft in den Zellen förmlich zu schneiden. Doch von all dem konnte seine Mutter nichts wissen, die ihren Sohn in einer „Löwengrube“, betrauerte, wie immer sie diese sich auch vorstellen mochte.

      Sagen konnte er ihr dazu nichts. Aber es sei schon gut, dachte er, dass die Familie draußen von den Verhältnissen hier drinnen nichts wusste; doch die Genossen Volksrichter und Staatsanwälte wussten recht gut Bescheid, über die mittelalterlichen Zustände in ihrem humanen Strafvollzug. Dann verließ Sebastian den ‚Sprecherraum‘, drehte sich an der Tür noch einmal um, sah seine Mutter mit Tränen in den Augen am Tisch sitzen und winkte ihr zu. „Grüß alle von mir“, sagte er, und versuchte es aufmunternd klingen zu lassen. Schon war er draußen, die wenigen Stufen hinab auf den Hof. Dort nahm ihn ein Wachtmeister aus dem Zellenbau in Empfang. „Gehen Sie!“, und er lief vor ihm her quer über den Hof und in den Zellenbau zurück. Dort tauschte er seine Besucheruniform wieder gegen seine abgewetzten Klamotten. Die Vorstellung ist vorüber, sagte er sich. Irgendwie empfand er das auch als Erleichterung. Diese von Zensoren streng belauerten Vorführungen begriff er als entwürdigend. Seine Mutter würde das vielleicht nicht so sehen.

      Aber dann hatte ihn bereits seine Zelle wieder. Als er in seinen alten Klamotten durch die geöffnete Türe trat, stand ihm das gewohnte Geruchsgemisch wie eine Wand entgegen.

      Wenige Tage später hieß es für den Abteilungsleiter aus dem Berliner Ministerium für Verkehr: „Sachen packen!“ Ungewissheit durchzog die Zelle. Ganz gleich wen es traf, diese Unsicherheit ergriff mehr oder weniger jeden und sie konnte ja jeden von ihnen auch jeden Tag treffen. Das blieb allen stets bewusst.

       Kapitel 9

      Nach einigen Tagen zu dritt in der Zelle, krachten eines Nachmittags wieder mal Schloss und Riegel und durch die aufgesperrte Türe trat mit seinem Bündel, das er an sich gepresst hielt, ein Neuzugang: Ein relativ großer, blasser, dicklicher Mann in mittleren Jahren, der mit einer weiten Stirnglatze und leichten Hängebacken älter aussah, als er es möglicherweise wirklich war. Er schwitzte, sein rundes Gesicht glänzte feucht und er wuchtete sein Bündel scheppernd auf das obere freie Bett und wandte sich dann den anderen in der Zelle zu: „Lipka“, sagte er, „Franz Lipka“, und hielt den dreien nacheinander seine leicht schweißige Hand hin, eine kleine, weiße leicht fettgepolsterte Hand.

      Eine Frauenhand, dachte Sebastian als er sie in seiner Hand fühlte und seinen Namen dazu nannte.

      Dann sah der Neue, Franz Lipka, sich um, wischte sich mit dem weißen Handrücken über eine weite, feuchte, leicht gerötete Stirn und beäugte misstrauisch den Kübel im rostigen Gestell in der Ecke neben der Tür.

      „Was haste denn mitgebracht?“, ließ schließlich der West-Berliner Journalist sich hören. Alle drei standen noch in der Nähe des Fensters und Lipka vor der Tür, neben Kübel und Heizungskörper.

      „Was denn mitgebracht?“, fragte er, guckte dazu unsicher und zwinkerte etwas.

      „Na was sie dir aufgebrummt haben, wie viele Jahre?“

      „Zwölf“, sagte er nach kurzem Zögern und das klang ein wenig abweisend.

      „Na ja, das geht ja schon“, erklärte der Journalist aus West-Berlin.

      Dann konnte Lipka erst mal in Ruhe sein Bett machen, das hieß lediglich die schmierige Decke am Fußende auf dem bucklig gestopften Strohsack zusammen zu legen. Laken und Kopfkissen gab es ja nicht. Dann galt es noch Schüssel, Becher, Löffel, Zahnbürste und Seife ins Regalfach zu räumen.

      Schließlich wurde ihm gesagt, er möge seine Botten ausziehen, das poltere sonst auf dem Dielenboden zu sehr.

      Als sie am nächsten Tag von der Freistunde zurück kamen, winkte der Stationskalfaktor den Journalisten und Sebastian, bevor sie eingeschlossen wurden, eilig beiseite.

      „Euer Neuzugang“, sagte er dann und wies mit einer Kopfbewegung auf den großen dicklichen Mann, der mit hängenden Armen wartend vor der Zellentür stand, „war Oberstaatsanwalt am Obersten Gericht der DDR in Berlin. 12 Jahre wegen Vergehens am Volkseigentum oder so ähnlich. Kein Politischer. Hat sich nach einer Wohnungsdurchsuchung ’ne beschlagnahmte wertvolle Briefmarkensammlung unter ’n Nagel gerissen und das fanden seine Genossen wohl gar nicht so schön.“

      „Und uns hat er gestern auf Nachfrage gesagt, er sei Magistratsangestellter gewesen. Was wirklich dahinter steckt …?“ Sebastian hob die Schultern.

      „Na das kann ja noch spannend bei euch werden“, sagte der Kalfaktor und huschte davon, als der Schließer sich auch ihrer Zelle näherte.

      Das ist ja ’n Ding, überlegte Sebastian, betrat seine Zelle zusammen mit diesem Lipka, dem vorgeblichen Berliner Magistratsangestellten СКАЧАТЬ