Название: Memento Mori
Автор: Mark Benecke
Издательство: Автор
Жанр: Медицина
isbn: 9783944180045
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Proteine sind Wachstumsfaktoren; jeder dieser Faktoren wirkt nur auf bestimmte Zelltypen, und jede Zellart benötigt eine genau auf sie abgestimmte Zusammensetzung von Wachstumsfaktoren. Der Körper stellt an festgelegten Orten spezielle Wachstumsfaktoren zu bestimmten Zeiten her. Dort liegen Zelltypen, die für eine Sorte von Wachstumsfaktoren empfänglich sind und sich an dieser Stelle vermehren beziehungsweise verändern sollen. Wie gering der Bedarf an Wachstumsfaktoren tatsächlich ist, zeigt das Zuckerdosenbeispiel: Man wirft einen Zuckerwürfel ins Meer und nimmt an, dass sich der gelöste Zucker auf alle Ozeane der Erde verteilt. Man kann dann aus jedem Meer der Welt eine Tasse Wasser schöpfen und findet darin noch zwei Moleküle des Würfelchens. In dieser Größenordnung liegen auch die Mengen von Wachstumsfaktoren, die vom Körper genutzt werden.6
Eines Tages versuchte man, eine junge Nervenzelle in einem Glasschälchen dazu zu bringen, dass sie sich auf ein Röhrchen ausrichtete. In ihre Nähe tropfte man mit diesem Röhrchen eine winzige Menge eines Wachstumsfaktors für Nerven. Nach einiger Zeit bildete die Zelle einen Fortsatz und reckte sich zum Röhrchen. Zog man das Röhrchen etwas beiseite und tropfte wieder ein wenig Wachstumsfaktor hindurch, folgte der Nerv abermals.
Die Wachstumsfaktoren fördern also nicht nur die Fortentwicklung einer Zelle, sondern die Zelle sucht auch aktiv ihren Wachstumsfaktor auf. Sie folgt einem Weg, der durch einen Überlebensstoff gesteckt ist. Zellausläufer, die keinen Wachstumsfaktor vorfinden, verkümmern.
Multiplizierte Wurmleben
Wenn jede Zelle zu einer festgesetzten Zeit stirbt, sollte auch ein ganzer Körper zu einem vorhersagbaren Zeitpunkt sterben. Bei Menschen ist der Tod einzelner Zellen jedoch schwer festzustellen. Außerdem sind menschliche Zellen während des Lebens zu vielen Einflüssen ausgesetzt, die einen genetisch vorprogrammierten Todestermin verändern können. Stress und Rauchen führen beispielsweise zu einem verfrühten Tod, ein geruhsameres Leben kann den Verschleiß des Körpers hinauszögern.
Es gibt jedoch Lebewesen, die der Beobachtung besser zugänglich sind. Sie erblicken nur für wenige Tage das Licht der Welt. Eines dieser Tiere ist der Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Seine Todeszeit ist vorhersagbar.
Die kleinen Würmer kommen auf der ganzen Welt vor. In Blumenerde trifft man sie genauso an wie auf Äckern und Wiesen. Sie sind buchstäblich überall. Da sie nur einen halben Millimeter lang und zudem durchsichtig sind, fallen sie nicht auf. Biologen haben sich die Mühe gemacht, diese Tiere zu züchten und zu ermitteln, wie lange sie leben. Normalerweise sind es einundzwanzig Tage.
Spannend wurde es, als um 1990 C.-elegans-Würmer vollkommen gleichen Aussehens auftauchten, die im Schnitt einen halben Tag länger lebten. Die C.-elegans-Forscher in aller Welt entdeckten weitere Tiere, die nach 33, 25 oder 12,5 Tagen sterben. Der Forscherinstinkt war geweckt, und so suchte man nach der Ursache der veränderten Lebenszeit. Eine noch nicht ausgereifte Erklärungsmöglichkeit besagt, dass eine bestimmte Grundeinheit von Lebenstagen mit einer genetisch festgelegten Zahl, die größer oder kleiner als eins sein kann, multipliziert werden könnte. Woraus die Zellzeitmultiplikatoren bestehen, ist noch ungewiss. Vielleicht liegt das Geheimnis des verlängerten oder verkürzten Lebens in ausgewählten Bereichen der Erbsubstanz, die man »Todesgene« nennen könnte.
Einige Todesgene sind schon bekannt
In Caenorhabditis elegans, aber auch in der Taufliege Drosophila melanogaster konnten Genetiker bereits mehrere Gene finden, die gezielt Zellen des eigenen Körpers umbringen. Besonders berühmt sind zwei Selbstmordgene namens ced-3 und ced-4, die in jeder Körperzelle des Fadenwurms stecken.
Während der junge Fadenwurm heranwächst, sterben in ihm bestimmte Zellen zu vorhersagbaren Zeitpunkten ab. Das ist wenig dramatisch – derselbe Vorgang findet statt, wenn sich Menschenfinger bilden: Ohne programmierten Zelltod würden sich zwischen unseren Fingern Schwimmhäute spannen.
Wenn man zwei der Selbstmordgene im Wurm ausschaltet (das ist problemlos möglich), dann überleben sämtliche Zellen, darunter auch solche, die bei der Normalentwicklung sterben, um Raum für neu entstehende Organe zu schaffen. Thomas Johnson gelang es schon Anfang der Neunzigerjahre an der Universität Colorado, ein Todesgen des Fadenwurms auszuschalten und die Lebenszeit der Tiere dadurch zu verdoppeln. Ganz ähnliche Gene gibt es in den Zellkernen der Säugetiere. Besonders erwähnenswert sind auch so genannte Überlebensgene wie das Gen p53. Sie verhindern den programmierten Zelltod, ohne dass Todesgene ausgeschaltet werden müssten.
Einige US-amerikanische Entwicklungsgenetiker denken schon heute laut darüber nach, Medikamente für Menschen zu entwickeln, die Todesgene beeinflussen. Dieser Vision sind zumindest Taufliegen- und Fadenwurmforscher schon recht nahe.
In der Taufliege wurde beispielsweise ein Gen namens reaper (Sensenmann) entdeckt. Es leitet den kontrollierten Zelltod ein, sobald eine bestimmte Menge von Todessignalen in die Zelle gelangt. Schaltet man das Sensenmanngen aus, können selbst beschädigte oder kranke Zellen weiterleben. Medizinisch (das heißt beim Menschen) wäre so etwas nicht von Nutzen, denn beschädigte Zellen müssen unbedingt aufgelöst werden.
Bessere Kandidaten im Hinblick auf eine medizinische Altersvorbeugung könnten andere Todesgene wie der DNA-Abschnitt apo E sein. Man hat das Gen zwar noch nicht ausgeschaltet, aber an der Universität Harvard fand Thomas Perls Arbeitsgruppe heraus, dass sehr alte Menschen, denen das apo-Gen E4 von Natur aus fehlt, besonders gesund und lebensfroh sind. Natürlich kann man sich nicht ganz sicher sein, dass das Fehlen von apo E4 und das Altersglück wirklich zusammengehören. Wenn man aber die Ergebnisse psychologischer Tests, die das Wohlbefinden prüfen, mit molekularen Tests für das Fehlen von apo E4 vergleicht, gibt es Übereinstimmungen: Menschen ohne apo E4 geht es oft besser.
Sicher ist jedenfalls, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem Altern, das streng genommen ab dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr beginnt, und dem Programm unserer Gene gibt, die das Altern fest vorschreiben.
Selbstmord der Zelle
Die Zeiger der Lebensuhr bestehen aus DNA. Wie aber funktioniert das von Genen gesteuerte Altern in der einzelnen Zelle?
Am Altern sind viele Zellvorgänge beteiligt. Einer der bekannteren ist das »Kappentragen«. Auf beiden Enden der DNA-Moleküle der einzelnen Chromosomen sitzt jeweils eine Art Kappe aus Wiederholungen der Basen folge TTAGGG, welche die DNA vor zersetzenden Stoffen schützt. Die Kappe ähnelt in ihrer Wirkung einem Ritterhelm, der Schwerthiebe abwehrt. Jedes Mal, wenn sich eine Zelle teilt und vermehrt, wird die Kappe vorübergehend abgenommen und nach vollendeter Teilung rasch wieder aufgesetzt. In alternden Zellen beobachtet man manchmal, dass die Schutzkappe von Teilung zu Teilung weniger haltbar zu werden scheint. In sehr alten Zellen ist sie bereits ziemlich brüchig oder verkürzt. Vielleicht wird sie von der Zelle absichtlich beschädigt. Das hat zur Folge, dass DNA-zerstörende Substanzen zuletzt ihren tödlichen Streich gegen die ungeschützte Erbsubstanz führen können.
So könnte sich auch erklären, warum sich alte Zellen nur noch schlecht züchten lassen und nach einer genau festgelegten Anzahl von Teilungen aufhören, sich zu vermehren: Die Schutzkappe der DNA ist zerstört. Selbst Sauerstoff und Wachstumsfaktoren nützen dann nichts mehr.
Doch warum weihen sich Zellen selbst dem Tod? Dafür gibt es drei Gründe. Der erste wurde bereits angesprochen. Beim Heranwachsen einer menschlichen Hand sind Selbstmordopfer notwendig, um die Finger herauszumodellieren. Es ist das gleiche Verfahren, mit dem auch ein Bildhauer aus einem Steinbrocken eine Figur entstehen СКАЧАТЬ