Название: Memento Mori
Автор: Mark Benecke
Издательство: Автор
Жанр: Медицина
isbn: 9783944180045
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Ewiger Schlummer
Nicht nur Tiere, auch Pflanzen können in Ruhestadien leben oder schlummern. Pflanzen verkapseln jedoch nur ihre Samen, während einfach gebaute Tiere als Ganzes ins Ruhestadium übergehen können (zum Beispiel Amöben als »Zysten« oder Moostierchen als »Tönnchen«). Die Höchstlebensdauer von Pflanzensamen ist dabei nicht minder erstaunlich als die Überlebensleistungen verkapselter Tiere. So können Nachtkerzensamen länger leben als manche Menschen – sie werden bis zu achtzig Jahre alt. Auch Mais, Zwiebeln, Sellerie und Tabak bringen Samen hervor, die immerhin ein halbes menschliches Leben begleiten können. Die bislang bekannten »Bestleistungen« von Pflanzen, die nach überstandenen Samenruhen wieder erblühten:
Wiesenklee | 100 Jahre |
Kartoffel | 200 Jahre |
Indische Lotosblume | 250 Jahre |
Kriechender Hahnenfuß | 600 Jahre |
Feldspark7 | 1700 Jahre |
Nun übertreffen allerdings die lebenden Pflanzen – in krassem Gegensatz zu lebenden Tieren – ihr eigenes Ruhestadium bei weitem. 400 Jahre alte Kirschbäume, 900 Jahre alte Rotbuchen, 1900 Jahre alte Linden und 4600 Jahre alte Borstenkiefern gibt es wirklich. Die Eiche, deutscher Inbegriff für Knorrigkeit und Beständigkeit, bringt es auf 1300 Jahre. Diese Höchstalter sind natürlich die Ausnahme. Eine »normale« Eiche wird nicht viel älter als 200 bis 300 Jahre und eine gewöhnliche Rotbuche nicht älter als 140 Jahre.8
Pflanzen leben also oft länger als ihre Ruhekapseln. Außerdem kann die lebende Pflanze zahlreiche weitere Keimzellen herstellen, das Ruhestadium nicht.
Auch ein Tier, das sich in sein Ruhegehäuse zurückzieht oder sich komplett in ein solches umbildet, bringt in dieser Zeit keine Nachkommen hervor.
Auch vor unserer Zeit gab es Perioden großer Umweltveränderungen, in deren Folge im Schnitt 65 Prozent aller Arten starben. Eine dieser Katastrophen trat kurz vor der »Kambrischen Explosion« ein. Eine unbekannte Ursache hat damals, auf der Grenze vom Präkambrium (vor sechshundert Millionen Jahren) zum Kambrium (vor etwa fünfhundertsechzig Millionen Jahren), fast das gesamte Leben der Erde ausradiert und eine komplette Lebenswelt, die Biophyten, vernichtet. Die Biophyten, vermutlich weder Pilze noch Pflanzen, noch Tiere, kennen wir nur noch aus präkambrischen Gesteinsabdrücken. Wir sehen in den Fossilien dieser fernen Zeit »Seefedern« oder »scheibenförmige Wurmtiere«, wissen aber nichts über die Biologie dieser Lebensformen.
Mit dem Kambrium verbreiteten sich die Vorläufer der heutigen Lebewesen sehr rasch. Daher die Bezeichnung »Kambrische Explosion«. Ob es zuvor eine wirkliche Explosion auf der Erde gab, die das Massensterben bewirkte, wissen wir nicht. Weitere Massensterben gab es beispielsweise im Mesozoikum vor etwa zweihundertsechzig Millionen Jahren, nach dem Trias vor etwa zweihundertacht Millionen Jahren und während des Übergangs von der Kreidezeit zum Tertiär vor etwa fünfundsechzig Millionen Jahren.
David Raup, Professor für Geophysik an der Universität Chicago, vermutet, dass Meteoriteneinschläge der Grund für diese Katastrophen waren. Im Abstand von etwa sechsundzwanzig Millionen Jahren, so glauben Raup und viele andere Forscher, können erdgeschichtliche Massensterben belegt werden. Als der Physiker Luis Alvarez aus Berkeley im Jahre 1980 erstmals die Idee des Massensterbens durch Meteoriteneinschläge veröffentlichte, glaubte ihm niemand. »Es war«, berichtet Raup, »als hätte jemand behauptet, die Dinosaurier seien von kleinen grünen Männchen aus einem Raumschiff erschossen worden.« Der verblüfften Ablehnung folgte aber rasch eine ernsthafte Diskussion. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass riesige, bis zu hundert Kilometer weite Krater genau aus der Zeit dreier der fünf großen erdgeschichtlichen Massensterben stammen. Vielleicht erweisen sie sich eines Tages als Zeugen der vermuteten Meteoriteneinschläge.
Das Massensterben ist aber nicht nur eine Katastrophe, sondern es hat auch einen biologischen Nutzen. So verficht David Raup in seinem Buch Extinction. Bad Genes or Bad Luck (1991) die Idee, dass die treibende Kraft der Evolution durch stufenweise Anpassung neuer Arten an die Umwelt (adaptive Radiation) nur deswegen möglich war und ist, weil nach Massensterben regelmäßig Platz für die neuen, besser angepassten Arten entsteht. Ohne Massensterben, ist sich Raup sicher, wäre die enorme Artenvielfalt auf der Erde nicht zu verstehen.
Für manche Lebewesen sind extreme Umweltveränderungen also Krisen oder Katastrophen, für andere gerade das Gegenteil. Besonders stark betroffen von katastrophalen Umweltveränderungen sind aber immer die von uns so genannten unsterblichen Tierarten, weil sie vollkommen gleichartige, nicht angepasste Nachkommen haben. Andere Lebewesen überleben Umweltveränderungen, weil sie ein Leben mit Sex führen.
Sex wird erfunden
Die geschlechtliche Fortpflanzung ist nicht nur wegen der damit verbundenen sinnlichen Erfahrungen von Vorteil. Eigentlich sind diese auch nur ein biologischer Trick, um Lebewesen dazu zu bringen, sich der biologisch vorteilhaften Arterhaltungsmethode zu bedienen.
Der eigentliche Witz der sexuellen Fortpflanzung besteht darin, dass die durch sie entstehenden Nachkommen nicht mit einem Elternteil identisch sind, sondern sich sowohl untereinander als auch von den Eltern unterscheiden. Bei Menschen ist das äußerlich gut zu erkennen. Bei anderen Lebewesen, deren Aussehen uns nicht vertraut ist, fällt es oft nicht auf. Wenn wir solche Tiere, zum Beispiel Fische, einem Test unterziehen, können wir deren Unterschiede aber trotzdem feststellen, zum Beispiel mit einem »genetischen Fingerabdruck«.
Betrachten wir eine einbrechende Eiszeit: Sinkt die Wassertemperatur eines Meeres dabei zum Beispiel um zehn Grad Celsius, so droht den meisten darin lebenden Fischen der Erfrierungstod. Einige Fische jedoch überleben den andauernden Kälteeinfluss. Sie tragen eine Eigenschaft in sich, die mit bloßem Auge nicht sichtbar ist: die Fähigkeit, ein Gefrierschutzmittel herzustellen. Die Frostschutzflüssigkeit ist anders zusammengesetzt als die Mittel, die im Winter dem Kühlwasser von Autos zugesetzt werden. Solche technischen Flüssigkeiten enthalten Verbindungen, die Alkohol ähneln, während der tierische Frostschutz durch ein Eiweiß (Protein) funktioniert. Man nennt es einfach Frostschutzprotein, abgekürzt FSP. Die Natur hat tatsächlich gefriergeschützte Fische hervorgebracht. Sie leben in den Eismeeren der Welt und zeugen Nachkommen, die sich immer noch voneinander unterscheiden. Es findet aber eine begünstigende Auswahl der Gefrierschutzeigenschaft statt. Kältefeste Fischeltern vererben das Gen für das Gefrierschutzmittel (meist) an ihre Kinder. Die Kinder sind deshalb besonders kältefest.
Gelegentlich besitzen aber einige Abkömmlinge der »Frostschutzeltern« keinen oder einen anders zusammengesetzten Frostschutz. Wäre es in diesem Moment nicht praktisch, wenn alle Nachkommen völlig gleich wären, so wie die Nachkommen der unsterblichen Räder- und Kugeltiere? So würde doch sichergestellt, dass der erwünschte Schutz nicht verloren ginge.
Nein, es wäre nicht praktisch. Eine Zeit lang könnten sich die gefriergeschützten Tiere auf diese Art zwar schnell vermehren. Aber die nächste Umweltveränderung kommt bestimmt, und an sie könnten sich die identischen Tiere ohne Sex nicht mehr anpassen. Deshalb ist es wichtig, dass stets einige Nachkommen genetisch ein wenig abgewandelt sind. Nur so können Erbeigenschaften auf Probe entstehen, die vielleicht – irgendwann einmal nützlich sein werden. Das gilt auch für Menschen.
Als Erste erkannten Charles Darwin СКАЧАТЬ