Der Ehrenmord. Jan Eik
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Название: Der Ehrenmord

Автор: Jan Eik

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

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isbn: 9783955520021

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СКАЧАТЬ verdankte er es dem Sport, dem er sich mit Leib und Seele verschrieben hatte, dem Boxen nämlich. Fast jeden Abend verbrachte er in dem heruntergekommenen Tanzsaal der Sportklause in der Alexandrinenstraße, in der auch die «Scharfen Jungs» vom Moritzplatz verkehrten, die ihn durchaus respektvoll zu den ihren zählten. Er trank ein, zwei Bier, trainierte mit Sprungseil und Sandsack, guckte den anderen im Ring zu und diente in letzter Zeit häufiger mal dem einen oder anderen für ein paar Sechser als Sparringspartner. Geld brauchte er immer, und mit Arbeit sah es mau aus. Mit Boxkämpfen übrigens auch. Nur hin und wieder gelang es ihm, seine gefürchtete Linke einzusetzen. In der Riege galt er nur als Vertretung. Außer einer ausgeleierten Turnhose besaß er ja nicht mal vernünftige Sportkleidung.

      Fragte man ihn nach seinem Beruf, so bezeichnete er sich als Stubenmaler - eine Profession, die auch sein Vater ausgeübt hatte, bevor ihn die Lungenschwindsucht mit knapp 33 Jahren dahingerafft hatte. Das käme von dem giftigen Blei in den Farben, hatte in der Schule ein Lehrer erklärt. Otto hatte da seine Zweifel. Man aß die Farbe schließlich nicht.

      Es war inzwischen zwei Monate her, dass er die letzte Stube gemalert und tapeziert hatte. Den meisten Leuten in der Gegend ging es wie ihm: Sie hatten kein Geld. Die goldenen Jahre der prächtigen Neubauten schienen endgültig vorbei zu sein.

      Otto scheute keine Arbeit. Im Urbanhafen kannte man ihn und wusste, dass man bedenkenlos die schwersten Säcke auf seine breiten Schultern laden konnte. Aber im Augenblick gab es wenig zu laden. «Is sich wie abjeschnitten», murrte der Schieber achselzuckend in seinem breiten Ostpreußisch. «Wird Zeit, dass der Kriech anfangt.» Und irgendwann, als Otto am späten Nachmittag noch einmal nachfragte, schob er eine beiläufige Bemerkung nach, die Otto wie ein Tiefschlag in die Magengrube traf: «Hast jeheert? Heut morjen ham se ne Marjell ausn Luisenstädtschen jezoren. Mit janz langes blondes Haar. ..»

      Im Nu stand Otto vor dem Riesenkerl, der ihn um einen halben Kopf überragte. «Sag das noch mal!», forderte er. Der Mann, der seit Jahren den Kolonnenschieber für den Lademeister spielte und sich seiner Macht über die Hilfskräfte bewusst war, guckte ihn verständnislos an. «Was is denn mit dich, du Lorbass? Wird ja wohl nicht deine Braut jewesen sein, oder?»

      «Hast du sie gesehen? Ich meine die. ..» Er suchte nach einem anderen Wort als Leiche. «.. . das Mädchen?»

      «Äich nich. Hat mir ejner von die Schiffers erzählt, die da mit ihre Kähne im Kanal liejen. ..» Er wies hinüber zur Kanaleinfahrt am anderen Ufer.

      Um welchen Schiffer es sich handelte, wusste er angeblich nicht. Um einen von den Oberschlesiern, mit einem gewissen Antek als Bootsmann. Mehr war von ihm nicht zu erfahren.

      Otto, von bangen Ahnungen überwältigt, stürzte los. Im Laufschritt überquerte er die Admiralbrücke und war schon drauf und dran, nach links zum Kanal abzubiegen, als ihm zum Bewusstsein kam, dass seine Sorge vielleicht unbegründet sein könnte. War es nicht besser, vorher in der Adalbertstraße vorbeizugehen? Möglicherweise war Lina im Laufe des Tages aufgetaucht.

      Zu Hause im Hinterhof jedoch traf er nur seinen Bruder Max an, der sich gerade ausgehfertig machte. «Musste dir noch jedulden, Bruderherz», sagte der mit milder Nachsicht, «bevor de det Aas verdientermaßen eens uffs Maul haust.»

      Nie wieder, hatte Otto längst beschlossen, würde er sich von seiner Wut überwältigen lassen und die Schwester schlagen. Immer hatte er sie verehrt und beschützt, sein blondes Engelchen, auch vor Max, gegen den er manchen bösen Verdacht hegte. Aber als sie dann so mir nichts, dir nichts schwanger wurde und statt einer vernünftigen Auskunft über den Vater oder Vergewaltiger - oder wie immer man einen Kerl nennen wollte, der sich heimtückisch über ein fünfzehnjähriges Kind hermachte - nur schnippische, um nicht zu sagen rotzfreche Antworten lieferte, war ihm ein paar Mal die Hand ausgerutscht. «Ich hasse euch alle», hatte Lina gekreischt, «dich mit deinem Glauben an die Jungfrau Maria und Maxe, das olle Schwein, sowieso!»

      Und Max hatte seinem Ruf alle Ehre gemacht, ölig gegrient und gesagt: «Nu sei wenichstens jetz uff Draht, und schnapp dir die Kerle. Et jibt jenuch, die machens jerne mit ’ner Schwangeren.»

      Das alles ging Otto durch den Kopf, während er Max beobachtete, der vor dem Spiegel stand und sich Pomade ins Haar klatschte. «Was würdest du denn sagen, wenn sie tot wäre?»

      «Na herzlichen Jlückwunsch!» Max drehte sich um und lachte unbekümmert. «Denn kannst du dir ja künftig um det Balg kümmern, Onkelchen.»

      Er blieb vor Otto stehen. Die Zeiten, wo er dem Jüngeren mal ganz auf die Schnelle seine körperliche Überlegenheit bewiesen hatte, waren vorbei.

      «Wo ist Hugo überhaupt?», fragte Otto.

      «Mutta wirdn wohl mitjenomm’ ham bei de Wäsche.»

      Max ging zur Tür, die aus dem Berliner Zimmer direkt ins Treppenhaus führte. «Wie kommsten überhaupt dadruff, det se nich mehr leben tut?»

      «Sie haben heute morgen ’ne Wasserleiche aus dem Kanal gezogen. Eine mit langen blonden Haaren. ..»

      «Ach du jrüne Neune!» entfuhr es Max. Das war sein einziger Kommentar.

      ES WAR EIN BÖSES ERWACHEN für Anton Gomolla, als die mollige Emmi plötzlich in panischer Hast ins herrschaftliche Schlafzimmer stürmte und ihn anschrie: «Du musst sofort verschwinden! Ab in die Küche und weg durch die Hintertür!»

      «Was ist passiert?», erkundigte er sich und fuhr dabei vorsichtshalber schon in seine Hosen. So aufgeregt kannte er die eher phlegmatische Emmi gar nicht. Es musste einen triftigen Grund geben, ihn aus dem Paradies zu vertreiben, in dem er sich gerade wohl zu fühlen begann. Vor gut einer Woche hatte er das späte Mädchen kennengelernt, und vor drei Tagen war er endgültig bei ihr in der Achtzimmerwohnung geblieben, Beletage am Luisenufer mit Blick auf den Kanal. Wenn er sich aus dem Fenster lehnte, konnte er die Wanda an der Ufermauer erkennen. Aber er lehnte sich nicht aus dem Fenster. Niemand durfte merken, dass er sich hier bei Emmi eingenistet hatte, bis die Herrschaft aus der Sommerfrische in Heringsdorf zurückkehren würde.

      «Die schicken vorher ein Telegramm», hatte Emmi ihn und sich selber beruhigt, und da das schmale Lager in ihrer niedrigen Dienstbotenkammer für zwei wirklich nicht ausreichte, waren sie der Bequemlichkeit wegen umgezogen ins eheliche Schlafzimmer des Herrn Professor und seiner Frau Gemahlin.

      Die jedoch, beunruhigt von den sich täglich mehrenden Tartarenmeldungen über den bevorstehenden Krieg, beschlossen plötzlich und unerwartet und ohne es telegrafisch anzukündigen, die Heimreise anzutreten. Nun standen sie nebst ihrer gelangweilt den Sonnenschirm drehenden Tochter Mechthild, in wortreiche Verhandlungen mit dem Droschkenkutscher verwickelt, unten vor der Haustür. Der Mann verlangte für das Hinauftragen des umfangreichen Gepäcks glücklicherweise mehr, als der knickrige Herr Professor Nothnagel zu zahlen bereit war, sodass Emmi genügend Zeit blieb, den zeitweiligen Liebsten eilig durch Korridor, Küche und Hinterausgang zu bugsieren und im Schlafzimmer Laken und Kissen abzuziehen, als wäre sie beim Bettenbeziehen überrascht worden.

      Die professoralen Verhandlungen waren zu keinem Ende gelangt, als Anton Gomolla über die gewendelte Hintertreppe und durch den Dienstbotenausgang im Hof das Haus verließ und sich aufrechten Ganges und mit einem höflichen Lüpfen seiner nicht ganz neuen Schiffermütze an dem Gepäckgebirge vor Haustür und Vorgarten vorbeischlängelte.

      «Halt, junger Mann!», fuhr ihm die sonore Stimme des Professors ins Genick, gerade als er glaubte, der Gefahr endgültig entronnen zu sein. Einen Augenblick dachte er an Flucht, dann siegte seine angeborene Unerschrockenheit. Was wollte der ihm denn?

      Herr СКАЧАТЬ