Название: Der Ehrenmord
Автор: Jan Eik
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955520021
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«Hat er wieder eine seiner genialen kriminalistischen Eingebungen?» erkundigte sich Dr. Kniehase, der im Hereinkommen Galgenbergs Lob vernommen hatte. «Oder wollen Sie sich etwa als Kriegsfreiwilliger stellen? Beim Portier fragen dauernd Männer an, wo man sich melden muss.»
«Is denn schon Kriech?», fragte Galgenberg scheinheilig. «Ich habe das Tageblatt heute noch nicht gelesen.»
Er warf die Zeitung auf den Tisch. Die Bemühungen zur Lokalisierung des Krieges. .., las Kappe. Das klang nicht sonderlich beunruhigend. Und die Überschriften, die Galgenberg gleich darauf zitierte, auch nicht: Günstigere Auffassung in Petersburg - Prestigepolitik, aber keine besondere Angriffslust. England vollkommen desinteressiert - Appell der französischen Presse an Kaiser Wilhelm.
Ein paar Seiten weiter fand Galgenberg etwas, das Kappe entschieden intensiver lesen würde als das Kriegsgetöse: Der Flug über den Atlantik. Er reichte Kappe das Blatt, der sich sofort in die ausführliche Meldung über den Leutnant Porte vertiefte, der in der nächsten Woche mit seinem Curtiß-Flugboot Amerika von Neufundland aus starten sollte.
Mit einem unerwarteten Ruck öffnete sich die Tür, und von Canow spazierte herein. «Na, meine Herren? Was meldet unsere vaterländische Presse?», erkundigte er sich jovial.
Nun gehörte die Zeitungslektüre nicht unbedingt zu den dienstlichen Obliegenheiten der Kriminalwachtmeister, doch Galgenberg wusste nur zu genau, was von Canow am liebsten hörte, und las wie aus der Pistole geschossen: «Kaiser Wilhelm hat gestern Abend sechseinhalb Uhr Bergen auf dem Kreuzer Rostock ohne vorherige Ankündigung verlassen. Er wird heute Nacht in Kiel erwartet. Die deutsche Flotte erhielt Befehl, sich an einer bestimmten Stelle. ..»
Von Canow hob die Hand. «Unsere stolze Flotte!», sagte er.
«Die wird den Engländer noch das Fürchten lehren!»
Er griff nach dem Tageblatt, das Galgenberg ihm eilfertig reichte. «Steht da gar nichts über die gestrigen Kundgebungen in Berlin?»
Er blätterte um und war beruhigt. «Ah ja, hier: Die Skandalszenen vor der russischen Botschaft. Massenansammlungen und Verkehrsstockungen Unter den Linden und in der Friedrichstraße. Das hätten Sie sich ansehen sollen, meine Herren! Kann sein, dass wir auch noch zur Bereitschaft abkommandiert werden, falls diese Begeisterung anhält. Und davon gehe ich aus. Jeder deutsche Mann kennt eben seinen Platz!»
Und schritt erhobenen Hauptes hinaus.
Keiner der drei sprach es aus, aber Kappe fiel nichts anderes ein als einer von Galgenbergs frechen Sprüchen: Hohle Köpfe trägt man leicht hoch.
DREI
MARTHA JUNGNICKEL, geborene Zeppenfeld, verwitwete Unrauh, war nahe daran, die letzten Nerven zu verlieren. Nur mit einer leichten Kittelschürze bekleidet, fegte sie schwitzend durch Flur und Küche ihrer düsteren Hinterhofwohnung und wusste nicht, wo ihr der Kopf stand. Wie jeden Morgen hatte Otto das Haus am frühen Morgen auf der Suche nach Arbeit verlassen, und auf der Chaiselonge in der einzigen Stube schlief Max grunzend seinen Rausch aus. Jedenfalls vermutete sie das, denn er war erst gegen Morgen hier aufgetaucht.
Im Flur - eigentlich nur ein totes Stück Gang zwischen Küche und Stube - stand Hugo quäkend in seinem Bettverschlag. Sie wusste nicht, womit sie ihn füttern sollte. Das Küchenspind war leer bis auf einen Mehlrest. Da half es nichts, dass sie zum x-ten Mal Tiegel und Tüten beiseite räumte. Sie hatte selber Hunger.
Durch das weit geöffnete Küchenfenster drang aus dem engen Hof nur der faulige Geruch der Müllkästen herein. Kein Hauch bewegte den feuchten Dunst, den die brodelnde Wäsche im Zinkbottich auf der Kochmaschine verbreitete.
Verzweifelt sank Martha auf den Küchenschemel. Was sollte nur werden? Sie hatte der Pankratzen in der Britzer Straße für heute die kleine Wäsche versprochen, konnte dort aber unmöglich mit dem quäkenden Gör anrücken. Die ehrpusselige Pankratzen wusste nicht einmal, dass Lina ein Kind hatte.
Dabei brauchte sie das Geld von der knickrigen alten Kuh.
Wenigstens ein paar lumpige Groschen! Max darum anzugehen war hoffnungslos. Wenn der erst am frühen Morgen in die mütterliche Wohnung fand, dann war das ein Zeichen dafür, dass er abgebrannt war bis auf den letzten Pfennig. Sonst nächtigte er lieber bei seinen Weibern oder wer weiß wo.
Max, den sie mit knapp siebzehn geboren hatte, war immer ihr Sorgenkind gewesen und geblieben, und auch jetzt, wo sie ihn am dringendsten gebraucht hätte, war wenig von ihm zu erwarten. Bei der Hitze verkaufte der Heringsbändiger, bei dem er gelegentlich aushalf, bestimmt keine Fische. Außerdem hätte Max dann längst mit dem in der Markthalle sein müssen.
Als Hugos Blöken die Schmerzgrenze ihrer Ohren überschritt, fuhr sie auf und hastete in den Flur. Halt’s Maul, hätte sie ihn am liebsten angeschrien und derb durchgeschüttelt, aber als das greinende Kind die dünnen Arme nach ihr ausstreckte und ein klägliches «Mam - mam» hören ließ, nahm sie den Jungen wortlos, wenn auch nicht gerade zärtlich, auf den Arm und ließ ihn an ihrem Finger saugen.
«Ja, brüll nur Mam-mam!», sagte sie. «Die hat dich längst vergessen, deine Mam-mam. Die sehen wir vorläufig nicht wieder.»
Ganz wohl war ihr bei diesen Worten nicht. Immerhin hatte sie selber die Tochter dazu gebracht, im Zorn die Wohnung zu verlassen. Nicht zum ersten Mal. Aber zum ersten Mal war sie drei Nächte lang nicht nach Hause zurückgekehrt.
Mit Hugo auf dem Arm betrat sie das Berliner Zimmer, in dem trotz der Größe des Raums die stickige Luft stand wie eine Wand. Sie schlängelte sich zum einzigen Fenster und riss es auf. Kaum drei Meter entfernt kramte Rataizik herum. Lauernd sah er zu ihr auf und grüßte spöttisch: «Morjen, Frau Jungnickel. Wolln Se Ihren Nachwuchs belüften?»
Der unverschämte Kerl hatte ihr gerade noch gefehlt. Ewig lungerte er vor ihrem Fenster herum mit seinen Glubschaugen. Und Lina hatte er schon ein paar Mal angefasst, wenn sie die Treppe saubermachte.
Wortlos wandte Martha sich ab und trat an Max’ Schlafstelle.
«Wach uff, du verlotterter Kerl!», fuhr sie ihn an. «Du jehst jetzt los und suchst Linan, hörste?»
Max hörte nicht oder tat wenigstens so. Dafür erschien für einen Augenblick Rataiziks Rundschädel unterhalb des Fensterbretts. Martha legte Hugo auf dem Fußboden ab, hastete zum Fenster und beugte sich weit hinaus. «Kümmern Sie sich man um Ihren eigenen Dreck, Herr!», fuhr sie den Mann an, der gebückt zwischen den rostroten Müllkästen unter dem Fenster stand, als suche er etwas. «Sonst fällt mir am Ende noch versehentlich der Inhalt von mein’ Nachtjeschirr aus’t Fenster!»
Rataizik richtete sich auf und grinste ihr frech ins Gesicht.
«Denn passen Se mal uff, dass Ihn’ nich noch wat andret aus’m Fensta fällt, junge Frau!», antwortete er mit einem anzüglichen Blick auf den Ausschnitt ihrer Schürze. Unwillkürlich raffte Martha den dünnen Stoff über dem üppigen Busen zusammen und knallte mit der anderen Hand das Fenster zu. Sein scheinheiliges «Was is denn man mit Ihre Lina los?» hörte sie gar nicht mehr.
Das hatte man davon, wenn man Parterre wohnte. Hochparterre nannte sich das hier, weil im Hausflur vier Stufen nach oben führten und unter den Fenstern deswegen noch Platz für die Müllkästen blieb.
«Du stehst jetzt uff!», brüllte sie den Sohn an und versetzte ihm eine derbe Kopfnuss. «Ick hab et СКАЧАТЬ