Der siebenstufige Berg. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Der siebenstufige Berg

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Исторические приключения

Серия:

isbn: 9783938305669

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СКАЧАТЬ Abitur‹ erst mit zwanzig Jahren abgelegt?«

      »Er wurde von den Eltern zwei Jahre zu spät zur Schule geschickt.«

      »Eine widersetzliche Traditionalistenfamilie, dazu eine Nachlässigkeit der Verwaltung. Er kam dann in das Internat?«

      »Außerhalb der Reservation. Drei Jahre keine Erlaubnis des Elternbesuchs, dann war der Vater verstorben, und die Mutter kam nicht. Sie ist unbeholfen. Hugh Mahan ist ganz und gar unser Zögling geworden.«

      »Erst mit zweiundzwanzig Jahren hat er das Studium begonnen. Wo ist er in der Zwischenzeit gewesen?« Carr blätterte.

      »Er hat in Chicago am Indian Center als Sekretär gearbeitet. Das Zeugnis liegt bei.«

      »Das Zeugnis ist zu gut, Miss Bilkins. Das Center in Chicago arbeitet nicht in unserem Sinne. Die militanten United Natives haben dort getagt.«

      »Sie wissen natürlich mehr als ich, Mr Carr.«

      »Das ist meine Aufgabe. Seine Collegezeit hat dieser Hugh Mahan mit vorzüglichen Leistungen beendet, nachdem er mit sehr schlechten angefangen hatte. Derselbe Vorgang wie in der Schule. Elf Jahre ein schlechter Schüler, dann das gute Abitur. Sie werden auch nicht glauben, Miss Bilkins, dass ein Schüler elf Jahre lang faul sein und dann im zwölften ein ausgezeichnetes Abitur machen kann. Er hat schon als Junge im Verborgenen gelernt. Er ist ehrgeizig und heimtückisch.«

      »Mr Carr – Mahan erscheint eher gehemmt. Er ist ein Spätentwickler.«

      »Hm. Vielleicht würde er in unserem Büro neun Jahre lang nichts leisten, um uns im zehnten – wer weiß womit! – zu überraschen. Nein, Miss Bilkins, das ist nicht der Typ, den wir für die Superintendentur brauchen.«

      Miss Bilkins schwieg beschämt.

      Carr war befriedigt.

      »Sie sehen ein, dass ich recht habe. Lesen Sie die Papiere dieses Mahan noch einmal genau durch und schreiben Sie eine andere Beurteilung – ich gebe Ihnen die vorliegende zurück, bitte.«

      Miss Bilkins nahm die Blätter mit merkbarem Widerstreben wieder an sich.

      »Ich werde Ihnen aber den Gefallen tun, mir den merkwürdigen jungen Mann anzusehen. Wann können Sie ihn herbeischaffen?«

      »Er wartet.«

      »Aha.«

      Carr gab seiner Sekretärin telefonisch Bescheid.

      Der fünfundzwanzigjährige Indianer trat ein. In einem rohlederfarbenen Hemd, dunklen Jeans, mokassingleichen Halbschuhen stand er vor dem Superintendenten. Er hatte den in der Gegend üblichen Cowboyhut abgenommen. Von seiner Erscheinung ging etwas wie ein Luftzug aus einer fremden Atmosphäre aus. Seine Haut war braun, das Haar schwarz.

      Carr musterte ihn länger, als er einen weißen und freien Stellungssuchenden gemustert hätte, denn der vor ihm stand, war ein Farbiger und ein Reservationsindianer, durch Gesetz unter Vormundschaft gestellt wie alle seine Stammesgenossen. Der junge Mann war groß gewachsen, schmalhüftig, nicht eben breitschultrig, ein Langschädel. Seine Hände waren schlank. Er stand da, ohne sich zu regen. Das gab Carr einen Gedanken ein.

      »Haben Sie gedient?«

      »Nein!« Die Stimme war dunkel und sehr gedämpft.

      »Warum nicht?«

      »Tuberkulose.«

      »Noch virulent?«

      »Ausgeheilt – nach dem letzten Kliniktest.«

      »Was Ihre Suche nach einem Job anbetrifft, Mahan, nun, wir haben nicht für jeden jungen Mann den gewünschten Kuchen bereit. Hier im Büro ist überhaupt keine Stelle für Sie frei.«

      Der junge Indianer sagte dazu nichts. Carr versuchte, in dem mageren Gesicht zu lesen, aber es wirkte wie eine ausdrucksleere Maske, und die Augen konnte Carr nicht in seinen Blick bekommen. Der Mann war ihm unangenehm. Unzugängliche Leute blieben immer verdächtig, und die Situation auf den Reservationen war gespannt. Carr beschloss, diesen Bewerber nicht aus der Kontrolle gleiten zu lassen, unter der er sich in Internat und College befunden hatte. Er wollte gleichzeitig Miss Bilkins durch praktische Erfahrungen, die sie in ihrem eigenen Ressort zu machen haben würde, belehren.

      Der Superintendent blätterte in Akten und fand, was er gesucht hatte.

      »Miss Bilkins, in der 3. Tagesschule ist eine Stelle als Erzieher für die Vorschulklasse frei. Der Bewerber hier spricht Englisch. Meinen Sie nicht auch, dass er es den Vorschulpflichtigen beibringen kann? Das denken Sie auch, nicht wahr? Nehmen Sie an, Mahan?«

      Der Indianer wartete die Länge eines Atemzuges, dann sagte er zu dem überraschenden Vorschlag sehr leise, aber verständlich: »Ja.«

      »Vielleicht noch den Sport dazu – nachmittags – Sie sind unverheiratet? – Also den Nachmittagssport an dem Internat, das mit der Tagesschule verbunden ist – sind Sie Sportsmann?«

      »Nein.«

      »Bei Ihrer Figur hätten Sie professioneller Sprinter, Langstreckenläufer oder Basketballer werden können, meinetwegen auch Rodeoreiter; dabei wären Sie eher gesund geblieben in Chicago. Nun, Sie sind ein Spätentwickler. Machen Sie mit fünfzig Jahren Ihre Goldmedaillen und Ihren Sieg im großen Rodeo von Calgary. Wie ein Cowboy sind Sie heute schon angezogen. In der Schule werden Sie aber in Zivil erscheinen. Der Friseur für Indianer hier hat seinen Laden linker Hand um die Ecke. Im Internat werden Sie Gelegenheit haben, sich die Haare regelmäßig schneiden zu lassen.«

      Der Indianer sagte nichts.

      »War es in Ihrem College gestattet, die Haare lang zu tragen?«

      »Ja.«

      »An unseren Schulen hier unterbleibt das.«

      »Ja, Sir.«

      Chester Carr hatte durchaus nicht gelächelt. Alle seine Bemerkungen waren keine Witze, sondern Tadel gewesen. Er nahm das »Ja, Sir« hin, obgleich er fühlte, dass ihn der Indianer damit ironisierte. Carr schloss die Unterredung ab, legte die Papiere zusammen und beiseite und bedeutete dem Indianer stillschweigend und unfreundlich, dass er zu gehen und draußen zu warten habe. Er selbst wollte noch einmal mit seiner Dezernentin sprechen.

      »Der Bursche gefällt mir immer weniger, Miss Bilkins. Besorgen Sie sich Informanten, die ihn laufend beobachten und Ihnen berichten.«

      Als die blonde Dezernentin für das Schulwesen nach dieser Anweisung das Amtszimmer des Superintendenten verließ, fand sie Hugh Mahan im Vorraum. Er hatte also den Wink des Superintendenten verstanden und auf sie gewartet.

      »Ich verständige den Rektor der 3. Tagesschule«, sagte sie, eine Nuance freundlicher, als für Amtssprache üblich. »Suchen Sie übermorgen das Rektoratssekretariat auf, um 7 Uhr 30; man wird Sie einweisen. Sie wohnen vorläufig im Internat, die Lehrerhäuser sind alle belegt.«

      »Ja.«

      Der Indianer setzte den Cowboyhut wieder auf und schickte sich an, das Dienstgebäude zu verlassen. Er machte mit dem Fuß eine kleine Bewegung, als ob er etwas austrete, vielleicht den letzten Funken einer Zigarette, die ein alter zahnloser Indianer СКАЧАТЬ