Название: Stein mit Hörnern
Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Жанр: Исторические приключения
isbn: 9783938305645
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»Ich erinnere mich, dass uns die Akten zugänglich gemacht wurden. King und Lee gehörten damals feindlichen Gangs an.«
»Die Unterwelt mordet sich untereinander, aber gegen das Gesetz halten sie zusammen.«
»Wir kommen von der Sache ab, Mr Bighorn. Die Gewaltvergehen in Trunkenheit haben bei uns also nachgelassen.«
»Sehr erfreulich …«
» … und ein Verdienst von Mr King, der uns half, gegen das Schmuggelnest vorzugehen.«
»Ja, das hat er getan.«
Als Sidney dies sagte, arbeiteten seine Lippen. Er wollte Ironie bewerkstelligen und vermochte es doch nicht. Es war die reine, unbewältigte Wut, die in ihm wühlte, sobald er ein Lob für Joe King hören musste. Er verabschiedete sich, denn die Miene von Miss Erika Cramer missfiel ihm in diesem Augenblick aufs äußerste.
Sein erstes Wiederauftreten bei Crazy Eagle war nicht übel, aber letzten Endes doch nicht so wirkungsvoll verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Er wünschte, sich noch bei dem alten Präsidenten des Stammesgerichts sehen zu lassen, erfuhr jedoch, dass dieser sich vor wenigen Tagen aus seinem Amt zurückgezogen habe. Darüber konnte man sich Gedanken verschiedener Art, verbunden mit gefühlsmäßig betonten Erinnerungen an einen alten, autoritativen Mann und seine Kanten und Ecken machen. In Sidney leuchtete nur ein einziger Gedanke auf. Eine Stelle war frei geworden.
Sidney begab sich wieder in den Dienstwagen. Er war von Brown gebeten worden, die Schulranch zu überprüfen. Die Schulranch, ins Leben gerufen, um junge Reservationsangehörige als Züchter und als Cowboys auszubilden, war Joe Kings Lieblingsidee; die Gründung war geradezu seine fixe Idee gewesen. Das schien verständlich. Dieser Mensch musste organisieren, er musste den Anführer spielen, und wenn er keine Bande hatte, so hatte er eben eine Schulranch. Aber jetzt war sein Einfluss unterbrochen.
Sidney Bighorn konnte sich ohne Bedenken und Befürchtungen in die einsame Gegend hineinwagen. Er fuhr mit der üblichen Geschwindigkeit von sechzig Meilen in der Stunde aus der Agentursiedlung hinaus in die Prärie. Die öde Weite, ferne steile Hänge, das erste Grün auf den von der Sonne ausgedörrten, vom Schnee zerdrückten, schon wieder nach Wasser schmachtenden Wiesen beschäftigten Sidney nicht. Er musste sich schlüssig werden, wo er zuerst Station machte.
Er rechnete – Meilen, Zeit, bekannte Gewohnheiten der Schulrätin Mrs Hamilton –, er überschlug seine eigenen Fähigkeiten, einen Wagen auf schlechter Straße schnell zu fahren, und bog an der nächsten Kreuzung aus der zuerst eingeschlagenen Richtung ab, um noch vor einem Besuch der Schulranch, deren Besichtigung ihm aufgetragen worden war, seinen Vater aufzusuchen.
Sidney hatte wie jeder Prärie-Indianer früh lernen müssen, auf unbefestigten, von Fahrrinnen tief durchfurchten Wegen voranzukommen. Er besaß das natürliche Maß allgemeiner Fähigkeiten in dieser Beziehung und kam nach einer halben Stunde zu dem für sich allein gelegenen kleinen Holzhaus des Vaters. Schon im Heranfahren erkannte er zwei seiner neun Geschwister, einen Jungen von fünf und ein Mädchen von vier Jahren, die dem Dienstauto entgegensahen. Schulpflichtige Geschwister konnten jetzt nicht zu Hause sein. Von den bereits schulentlassenen sah er nur einen, seinen Bruder Tom, der arbeitslos herumstand. Sidney selbst musste längst erkannt worden sein.
Aus der Tür des Hauses trat der Vater, unter den Schultern die Krücken. Er war Kriegsinvalide.
Sidney ließ den Wagen ohne Bedenken auf dem Weg stehen. In diese Gegend kam vielleicht alle paar Monate einmal ein Auto und das parkende störte niemanden.
Der Vater beantwortete Sidneys Gruß, ohne Überraschung, Freude oder Respekt angesichts des Dienstwagens zu zeigen, und ging mit dem Sohn in das Haus. In dem ersten kahlen Raum standen ein Tisch und wenige abgenutzte Sitzgelegenheiten. Der Vater setzte sich, und so nahm auch Sidney Platz.
»Ja, nun bist du also wieder einmal hier.«
Es hätte sich für Sidney nicht geziemt, nach dieser Feststellung des Vaters gleich in neugierige Fragen auszubrechen. Er war es aber seiner amtlichen Eigenschaft schuldig, die Gründe seines Auftauchens zu erklären, und er bat den Vater daher um die Erlaubnis zu sprechen.
Patrick Bighorn erteilte sie.
»Es war nicht meine Absicht, Vater, euch zu besuchen, denn ich bin von der Distriktverwaltung beauftragt, Ökonomie und Kriminalität auf der Reservation zu überprüfen. Da ich auf dem Weg zur Schulranch zufällig hier vorbeikomme«– Sidney senkte bei dieser Unwahrheit die Augen –»und dich antreffe, ist meine Freude groß.«
»So auch meine Freude, Sohn, dich als Beamten zu sehen.«
Die Mutter kam herein und brachte etwas zu essen. Es war noch nicht Mittagszeit, und sie brachte Essen nur für Vater und Sohn. Es hätte sich für sie nicht gehört, sich dazuzusetzen.
Während des kleinen Imbisses sprachen Vater und Sohn nicht miteinander. Erst als die Mutter wieder abgeräumt hatte, berichtete der Vater dem Sohn, was diesem das Wichtigste zu sein schien. »Die Schulranch, sagst du, Sohn, die Schulranch. Es wird wohl alles drunter und drüber gehen, da Joe King nicht wiederkommt.«
Sidney richtete sich innerlich auf wie ein Halm, wenn der Sturzregen, der ihn gebeugt hat, plötzlich aufhört und nur noch die erquickende Feuchtigkeit übrigbleibt.
»Was sagst du da, Vater? Überhaupt nicht wiederkommt?«
»Nein, Sohn, er ist ein Krüppel geworden und liegt noch immer in der Klinik. King kommt nicht wieder, und die Schulranch muss weg. King ist ein Kojote und der Sohn eines Kojoten; er hat dich, meinen Sohn Sidney, verleumdet. Er hat unseren Häuptling Jimmy White Horse einen Säufer genannt. Er kommt nicht wieder. So steht es. Er ist ein Krüppel, aber nicht vom Krieg wie ich.«
»Wie ist er zum Krüppel geworden, Vater?«
»Hast du schon je gewusst, was mit Joe King geschehen ist? Er geht in die Nacht hinein, und aus der Dunkelheit kommt er wieder, und niemand weiß, was geschehen ist. Aber seine Pistolen sind immer geladen.«
Sidney dachte nach und kombinierte.
»Was wird aus der Schulranch, Vater?«
»Sohn, ist es nicht eine Schande, dass sie Jungen und Mädchen auf die fruchtbaren feuchten Wiesen setzen, und ich, ein Kriegsinvalide, mit meinen zehn Kindern und der Frau, ich sitze auf dürrem Land und kann mir nicht Vieh halten, um alle satt zu machen? Joe King und Mary Booth, seine Hure, haben auch dafür gesorgt, dass der Stammesrat die Pachtgelder der weißen Rancher nicht mehr verteilt. Sie stecken sie in die Schulranch, damit dein alter Vater, Sidney, und deine Mutter und deine Brüder und Schwestern noch mehr hungern müssen. So steht es.«
»Es ist eine Schande, Vater.«
»Ja, das ist es.«
Sidney verabschiedete sich und fuhr eilends den schlechten Weg zurück bis zu der nächsten Straße, hieß den bescheidenen Dienstwagen sich anstrengen und kam am frühen Nachmittag in das Tal der weißen Felsen, in dem die King-Ranch, die Booth-Ranch und die Schulranch zu finden waren.
Er trachtete, zuerst Mary Booth aufzusuchen, doch fand er sie nicht zu Hause. Ein kleiner Junge, der zwischen den Pferden gespielt hatte, musterte Sidney Bighorn feindselig und gab kurz die Auskunft, dass Mary zum Stammesrat in die Agentursiedlung gefahren sei. Mit dem letzten Wort lief er auch schon weg. Im Hause schrie ein Säugling. Vielleicht musste der kleine Junge das Kindermädchen spielen. Er verschwand СКАЧАТЬ