»Der Regen hat den Boden komplett aufgeweicht, weder Tritt- noch Schleifspuren waren auszumachen. Wir haben Zigarettenkippen eingesammelt und mehrere Verpackungen einer Sorte Schokoriegel. Mehmet war gestern noch einmal vor Ort und hat nichts Nennenswertes mehr entdeckt. Und auf den eingesammelten Fundstücken haben wir keine verwertbaren Spuren gefunden. Ist sowieso die Frage, ob sie überhaupt vom Täter stammen, da weder Kleidung noch sonstige persönliche Gegenstände in der Umgebung auszumachen waren. Der Mehmet hatte bei unserer ersten Inaugenscheinnahme nur so einen Verschluss entdeckt, wahrscheinlich von einem Kanister …«
Das Foto eines runden schwarzen Plastikverschlusses erschien an der Wand.
»Genau. Der könnte was mit der Tat zu tun haben, wie gesagt, könnte. Schon mal, weil es darauf gar keine Fingerabdrücke gibt. Ich habe ihn zum Brandsachverständigenteam zum LKA nach Kiel geschickt. Wenn überhaupt, dann können die ermitteln, ob und wenn ja, welcher Brandbeschleuniger sich in dem zugehörigen Kanister befunden hat.«
»Danke, Mehmet«, nickte der Kommissar, »die Obduktion hat ergeben, dass es sich bei dem Opfer um eine Frau handelt, 20, 21 Jahre alt, schlank, einen Meter 75 groß. Die Todesursache sind mehrere heftige Schläge mit einem harten, kantigen Gegenstand gegen den Hinterkopf.«
Mehmet untermauerte Angermüllers Ausführungen mit entsprechenden Aufnahmen der grausigen Details. Die Kollegen, auch Anja-Lena, die Jüngste im Team und einzige Frau, nahmen sie mit professionell unbewegten Mienen zur Kenntnis. Wie es dahinter aussah, ging keinen was an. Sie alle hatten im Job schon viele brutale Dinge ertragen müssen und jeder auf seine Art trainiert, damit umzugehen.
»Bis auf die Zeugen des Brandes hat niemand etwas von den Vorgängen am See bemerkt«, fuhr Angermüller fort.
»Anja-Lena und Thomas, ihr hattet euch die Datei der Vermissten und unbekannten Toten vorgenommen. Was gefunden?«
Niemann, der penible Aktenführer mit seinem phänomenalen Gedächtnis, schüttelte bedauernd den Kopf, genau wie Anja-Lena, die in diesem Fall mit ihm zusammenarbeitete.
»Wir haben wirklich gründlich geforscht, aber es haperte dann immer wieder an bestimmten Details, sodass sich kein einziges Match von unserem Opfer mit einer der vermissten Personen ergab, tut mir leid.«
»Dann hoffen wir mal auf unsere letzte Chance für eine schnelle Identifizierung. Das Opfer trug nämlich Brustimplantate.«
Ein Bild des verkohlten Brustkorbs mit den angeschmolzenen Kunststoffteilen erschien an der Wand.
»Auf dem einen Exemplar war die Seriennummer noch gut sichtbar.«
Ein leiser Pfiff ertönte aus der hinteren Stuhlreihe. Angermüller unterbrach sich und warf einen genervten Blick zu Ameise, der lüstern grienend mit seinen Händen zwei riesige Brüste vor seinem Oberkörper formte. Die Kollegen schüttelten unwillig die Köpfe, keiner lachte.
»Ich glaube, du bist irgendwie in der Pubertät stecken geblieben, Andreas, wenn dich nur die Erwähnung von Brustimplantaten dermaßen in Erregung versetzt«, kommentierte Angermüller ärgerlich, was bei Ameise nur ein Schulterzucken hervorrief.
»Staatsanwalt Lüthge hat schon vorgestern alles in die Wege geleitet, um möglichst schnell eine richterliche Anordnung für die Herausgabe der Daten durch die operierende Klinik zu erhalten. Damit können wir das Opfer sofort identifizieren.«
Mit besorgter Miene erhob sich der Behördenchef.
»Dann hoffen wir mal, dass wir bald Kontakt zu der Klinik bekommen, damit wir zügig an die Aufklärung gehen können.«
Wieder nett formuliert, dachte Angermüller, der wusste, wie seine Leute diesen Spruch hassten, denn der Einzige im Raum, der wenig bis gar nichts zur Aufklärung beitrug, war Harald Appels.
»Hat die Presse schon Wind von dem Fall bekommen?«, erkundigte der sich noch.
»Nicht, dass ich wüsste«, gab Angermüller Auskunft, »und ich hoffe, das bleibt auch noch eine Weile so.«
Nicht zuletzt wegen seines Chefs hoffte er das. Sobald ein spektakulärer Fall in den Medien landete, wollte Appels der Presse Erfolgsmeldungen liefern. In der Folge setzte er seine Leute ständig unter Druck, was sich eher negativ auswirkte, und manchmal musste man ihn sogar energisch daran hindern, mit seinen geschwätzigen Pressekonferenzen die Ermittlungsarbeit der ganzen Truppe zu torpedieren.
»Okay, Angermüller, du hältst mich auf dem Laufenden. Also, erfolgreichen Tag allerseits, ich muss weiter, Telefonkonferenz …«
Geschäftig eilte der Kriminaldirektor davon.
»Jaja, ist alles total wichtig, was der macht.«
Jansen schnitt eine Grimasse.
»Das war’s fürs Erste. Sobald wir die Personendaten des Opfers aus der Klinik haben, können wir hoffentlich richtig loslegen«, löste Angermüller das Treffen auf.
»Hier, aus der Heimat, wollte ich dir eigentlich schon gestern geben.«
Mehmet Grempel überreichte dem Kommissar eine kleine Papiertragetasche. Angermüller schaute neugierig hinein und beförderte zwei Päckchen in Plastikfolie eingeschweißte Coburger Bratwürste nach draußen.
»Hey, vielen Dank, das ist ja nett von dir. Hab ich seit dem letzten Sommer nicht mehr gegessen.«
»Wusste doch, dass du bestimmt schon Entzugserscheinungen hast«, grinste Mehmet. »Dann wünsch ich dir guten Hunger. Tschüs.«
Diese Bratwürste gab es nur in seiner oberfränkischen Heimat. Dort waberten weithin sichtbar die Duftwolken über den Marktplatz, wo die Spezialität in einer kleinen Bude über offenem Feuer auf Kiefernzapfen zubereitet wurde. Sie hatte einen ganz eigenen, köstlichen Geschmack, und Angermüller freute sich schon darauf. Allerdings drängten sich ihm beim Anblick der schlanken, auf dem Rost gebratenen Würste mit den schwarzen Bratspuren plötzlich ganz andere Bilder auf. Schnell schob er die Päckchen zurück in die Papiertüte und hoffte, die heimatliche Köstlichkeit irgendwann ohne makabres Kopfkino genießen zu können.
»So, ich muss dann los, was besorgen. Soll ich dir was zum Mittagessen mitbringen?«, fragte Angermüller seinen Kollegen, als sie wieder in ihren Büros saßen.
»Nee danke, ich wollte heute mal wieder einen Selbstversuch in der Kantine starten.«
»Du bist ja mutig! Dann wünsch ich gutes Überleben. Und wenn die Klinik sich wegen der Implantationsdaten melden sollte, ruf mich an.«
»Du bist mal wieder ein unverbesserlicher Optimist. Ich glaub nicht, dass wir da heute noch was erfahren.«
»Positiv denken, Claus! Spätestens am frühen Nachmittag bin ich zurück, ciao.«
Von seiner Dienststelle in der Possehlstraße bis zu der kleinen Straße hinterm Burgfeld benötigte Georg mit dem Fahrrad eine gute Viertelstunde. Dabei konnte er über sein Vorhaben nachdenken, seine privaten Dinge endlich wieder geradezurücken. Seit mehr als einer Woche hatten Derya und er sich nicht gesehen und kaum miteinander telefoniert.
Ihr Catering Service schien zurzeit wirklich zu brummen, sodass sie nicht zum Luftholen kam. Und die wenigen Male, die sie sich verabredet hatten, war ihm beruflich etwas dazwischengekommen СКАЧАТЬ