Vor einigen Jahren war ich auf Barbados, um Gemeindeleiter und -mitglieder zum Thema geistliche Elternschaft zu schulen. Am Tag meines Rückflugs in die USA, ehe ich zum Flughafen aufbrechen musste, lud mich der Missionar Bill Landis, der Regionalverantwortliche von „Jugend mit einer Mission“ für die Karibik, zu sich nach Hause ein. Bill, seine Familie und ein Leiterteam waren dabei, einheimische Christen zu geistlichen Leitern zuzurüsten. Als ich bei ihm zu Besuch war, erzählte Bill mir ein paar interessante geschichtliche Tatsachen über dieses winzige Inselvolk.
Er erklärte, dass viele Einwohner von Barbados einst als westafrikanische Sklaven auf die Insel gelangt waren. Zu ihren Herkunftsländern gehörte auch Gambia. Inzwischen waren Bill und seine Mitarbeiter dabei, Christen aus Barbados als Missionare zu schulen, damit sie nach Gambia, das Land ihrer Vorfahren, zurückkehren und dort Muslime zu Jesus führen konnten. Für solch ein Vorhaben gibt es nichts Besseres als ein gemeinsames Erbe.
Dann sagte Bill etwas, das mich tief bewegte: „Larry, ist dir klar, dass die Menschen, die in Gambia erreicht werden, ein Teil deines geistlichen Erbes sind? Du warst einer meiner geistlichen Väter, deshalb hast du einen Anteil an dem Vermächtnis, das dort weitergereicht wird.“
Im Flugzeug auf dem Rückweg in die USA erkannte ich verblüfft, was Bills Worte bedeuteten. Vor vielen Jahren, lange vor meiner Zeit als Pastor, Buchautor oder Gemeindeleiter, war ich ein junger Hühnerzüchter aus Lancaster County, Pennsylvanien, der einen Jugendbibelkreis leitete. Damals war ich für Bill ein geistlicher Vater.
Bill war nun ein geistlicher Vater für die Menschen, die er auf Barbados in Jüngerschaft unterwiesen hatte. Die Leute von dort, die jetzt nach Gambia gingen, um dort Einheimische zu Christus zu führen, waren quasi meine geistlichen Enkel, und die geistlichen Kinder, die sie in Gambia gebären und heranziehen würden, würden meine geistlichen Urenkel sein. Generationen, die erst noch geboren werden sollten, würden die Verheißungen Gottes empfangen, weil vor dreißig Jahren ein Hühnerzüchter dem Ruf Gottes gehorcht hatte, einen Haufen wilder Teenager in Jüngerschaft zu unterweisen. Jawohl, dies war ein Teil meines geistlichen Vermächtnisses. Während ich über diese Tatsache nachdachte, wurde ich tief bewegt. Ich wurde mit einem großen Erbe gesegnet, das sich über meine kühnsten Träume hinaus vermehrt hatte!
Erntezeit
Wir leben in aufregenden Zeiten, was die Geschichte der Kirche angeht. Ich glaube, dass wir uns am Vorabend einer großen endzeitlichen Ernte befinden (vgl. Offb 7,9). Statistiken sagen uns, dass sich heute weitaus mehr Menschen bekehren als vor zwanzig Jahren. Keine Frage, der Wind des Heiligen Geistes durchweht unsere Welt wie nie zuvor! In den nächsten Jahren kommen wir dem letzten Kapitel der Weltgeschichte rasend schnell näher, und wir müssen uns darauf vorbereiten, dass in unseren Städten und Dörfern Hunderttausende Menschen ins Reich Gottes kommen werden.
Jesus sagt, wir sollen beständig wachsam und bereit sein: „Sagt ihr nicht: Es sind noch vier Monate, und die Ernte kommt? Siehe, ich sage euch: Hebt eure Augen auf und schaut die Felder an! Denn sie sind schon weiß zur Ernte“ (Joh 4,35). Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ich weiß, dass verschiedene Früchte zu verschiedenen Zeiten des Jahres geerntet werden. Wir mussten immer wachsam sein, unsere Scheunen und Maschinen in Bereitschaft halten, damit wir eine Ernte immer genau dann einholen konnten, wenn die beste Zeit dafür gekommen war.
In allen Zeitaltern hat der Herr kontinuierlich Menschen zu sich gezogen – es waren viele, die in sein Reich hinein geerntet wurden. Doch zuweilen ging ein großer Teil der Ernte verloren, weil es Christen gab, die nicht wachsam und bereit waren. Mir scheint, eine solche Riesenernte, auf die die Kirche nicht vorbereitet war, fiel in die Zeit zwischen den späten sechziger und den mittleren 1970er-Jahren: die Jesus-People-Bewegung. Diese Ernte setzte ein, als einige Christusgläubige zu den Kommunen der Hippie-Aussteiger gingen und diesen Menschen das Evangelium von Jesus Christus brachten, woraufhin sich große Zahlen von jungen Leuten aus dieser Subkultur zum Christentum bekehrten. Anfang 1971 gab es in jedem Bundesstaat bzw. jeder Provinz der Vereinigten Staaten und Kanadas Kaffeehäuser, Kommunen und verschiedenste Unternehmungen der Jesus People.
Aber weite Teile der Kirchen waren auf diesen neuen, radikalen Schlag von Christen nicht eingestellt. Die Spannungen zwischen den Jesus People und den etablierten Kirchen waren eine Quelle von Irritationen sowohl für die Jesus People, die die Kirchen als träge und in Traditionen und Gesetzlichkeit erstarrt ansahen, als auch für die Mitglieder der institutionellen Kirchen, die jene jungen Leute mit ihren langen Haaren und „Jesus-Latschen“ allzu oft überhaupt nicht verstehen konnten. Auch wenn einige Kirchen und Gemeinschaften diese Neubekehrten mit offenen Armen aufnahmen und in Jüngerschaft unterwiesen, fiel doch eine Menge neuer Gläubiger hinten runter und wurde desillusioniert – so lange, bis diese Menschen für den Leib Jesu verloren waren.
Wäre die Kirche vorbereitet gewesen und hätte sie während dieser gewaltigen Erweckung mehr Verständnis und Mitgefühl für jene jungen Leute aufgebracht, dann, so glaube ich, hätte die Ernte weitaus größer ausfallen können. Meiner Meinung nach gab es schlicht und einfach nicht genug geistliche Väter und Mütter, die willens gewesen wären, ihre Arme um diese „Jesus-Freaks“ zu legen und sie als Neugeborene in Christus so lange zu erziehen, bis sie auf eigenen Beinen hätten stehen können – ein Fehler, der uns auf keinen Fall in dieser Generation noch einmal passieren darf!
Der Herr hält Ausschau nach Tausenden geistlichen Vätern und Müttern, um jetzt die kommende Ernte vorzubereiten. Ich glaube, Mentoring ist eine von Gott gewollte Entwicklung, die unmittelbar mit dem Missionsauftrag des Herrn zu tun hat und die wir aufgreifen müssen, um das ganze Potential der großen Ernte zu realisieren. Ich glaube, Mentoring ist ein wichtiger Teil der Strategie Jesu zur Verwirklichung von Jüngerschaft; und wenn wir uns in andere investieren, wird das große Dividenden abwerfen, und zwar in Form eines multiplizierten geistlichen Erbes.
Denken Sie darüber nach: Als jemand, der „Jünger macht“, können Sie zahllose Menschen beeinflussen und durch eine anhaltend wachsende Investition die Welt verändern. Wenn Sie sich nur für einen einzigen Menschen als Mentor zur Verfügung stellen, dieser Mensch wiederum einen anderen in Jüngerschaft unterweist, der Dritte wieder einen anderen, und so jeder, der in Jüngerschaft unterwiesen wird, seinerseits einen weiteren Menschen als Mentor begleitet, ergeben sich verblüffende Multiplikationseffekte!
Sind Sie dazu bereit, Ihre Ressourcen in den Aufbau der geistlichen Kraft anderer Menschen zu investieren? Es handelt sich dabei um eine Investition, die wahrscheinlich ohne Dank bleibt und auch keine sofortigen Erträge bringt. Gott aber verspricht: Wo Sie investieren, werden Menschenleben verändert. Sie haben die Chance, so in das Leben anderer Menschen zu investieren, dass es nicht nur eine große Auswirkung auf die Welt hat, sondern ewig bleibt!
1 Jimmy Stewart, Called to Worship: The Man Behind Michael, Charisma Magazine 4/2000, S. 54 f.
Kapitel 3: Berufen, Familie zu sein
Mentoring erfordert familienartige Beziehungen СКАЧАТЬ