Название: Miss Sara Sampson
Автор: Gotthold Ephraim Lessing
Издательство: Bookwire
Жанр: Учебная литература
Серия: Reclam XL – Text und Kontext
isbn: 9783159617367
isbn:
NORTON.
Sie sollen tun, was sie verlangen wird.
MELLEFONT.
So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit Unrecht tadelt sie die Verzögerung einer Zeremonie, die itzt ohne unser äußerstes Verderben in dem Königreiche nicht vollzogen werden kann.
NORTON.
So machen Sie denn, dass Sie es verlassen. Warum zaudern wir? Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern? Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft sein. Vielleicht, dass ihr der Kummer nicht ganz über das Meer folgt; dass sie einen Teil desselben zurücklässt, und in einem andern Lande – –
MELLEFONT.
Alles das hoffe ich selbst – Still, sie kömmt. Wie schlägt mir das Herz – –
[12]Sechster Auftritt
Sara. Mellefont. Norton.
MELLEFONT
(indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht gehabt, liebste Miss – –
SARA.
Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht wäre – –
MELLEFONT
(zum Bedienten). Verlass uns!
NORTON
(im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt würde.
Siebenter Auftritt
Sara. Mellefont.
MELLEFONT.
Sie sind schwach, liebste Miss. Sie müssen sich setzen.
SARA
(sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr früh; und werden Sie mir es vergeben, dass ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange?
MELLEFONT.
Teuerste Miss, Sie wollen sagen, dass Sie mir es nicht vergeben können, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne dass ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe.
SARA.
Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte Woche fängt heut an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer auf eben dem Fuße, als den ersten Tag.
MELLEFONT.
So zweifeln Sie an meiner Liebe?
SARA.
Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fühle mein Unglück zu sehr, zu sehr, als dass ich mir selbst diese letzte einzige Versüßung desselben rauben sollte.
MELLEFONT.
Wie kann also meine Miss über die Verschiebung einer Zeremonie unruhig sein?
[13]SARA.
Ach, Mellefont, warum muss ich einen andern Begriff von dieser Zeremonie haben? – Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart etwas nach. Ich stelle mir vor, dass eine nähere Einwilligung des Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es, nur wieder erst den gestrigen langen Abend, versucht, Ihre Begriffe anzunehmen, und die Zweifel aus meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das erste Mal, für Früchte meines Misstrauens angesehen haben. Ich stritt mit mir selbst; ich war sinnreich genug, meinen Verstand zu betäuben; aber mein Herz und ein inneres Gefühl warfen auf einmal das mühsame Gebäude von Schlüssen übern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten mich strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu quälen, verband. Was für Bilder, was für schreckliche Bilder schwärmten um mich herum! Ich wollte sie gern für Träume halten – –
MELLEFONT.
Wie? meine vernünftige Sara sollte sie für etwas mehr halten? Träume, liebste Miss, Träume! – Wie unglücklich ist der Mensch! Fand sein Schöpfer in dem Reiche der Wirklichkeiten nicht Qualen für ihn genug? Musste er, sie zu vermehren, auch ein noch weiteres Reich von Einbildungen in ihm schaffen?
SARA.
Klagen Sie den Himmel nicht an! Er hat die Einbildungen in unserer Gewalt gelassen. Sie richten sich nach unsern Taten, und wenn diese unsern Pflichten und der Tugend gemäß sind, so dienen die sie begleitenden Einbildungen zur Vermehrung unserer Ruhe und unseres Vergnügens. Eine einzige Handlung, Mellefont, ein einziger Segen, der von einem Friedensboten im Namen der ewigen Güte auf uns gelegt wird, kann meine zerrüttete Phantasie wieder heilen. Stehen Sie noch an, mir zuliebe dasjenige einige Tage eher zu tun, was Sie doch einmal tun werden? Erbarmen Sie sich meiner, und überlegen Sie, dass wenn Sie mich auch dadurch nur von Qualen der Einbildung befreien, diese eingebildete [14]Qualen doch Qualen, und für die, die sie empfindet, wirkliche Qualen sind. – Ach, könnte ich Ihnen nur halb so lebhaft die Schrecken meiner vorigen Nacht erzählen, als ich sie gefühlt habe! – Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschäftigungen, ermüdet, sank ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurück. Die Natur wollte sich einen Augenblick erholen, neue Tränen zu sammeln. Aber noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sahe. Sie gingen vor mir her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden ängstlichen Schritten, die dann und wann ein Blick stärkte, welchen Sie auf mich zurückwarfen. Schnell hörte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir still zu stehen befahl. Es war der Ton meines Vaters – Ich Elende! kann ich denn nichts von ihm vergessen? Ach! wo ihm sein Gedächtnis ebenso grausame Dienste leistet; wo er auch mich nicht vergessen kann! – Doch er hat mich vergessen. Trost! grausamer Trost für seine Sara! – Hören Sie nur, Mellefont; indem ich mich nach dieser bekannten Stimme umsehen wollte, gleitete mein Fuß; ich wankte und sollte eben in den Abgrund herabstürzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer mir ähnlichen Person zurückgehalten fühlte. Schon wollte ich ihr den feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der bewaffneten Hand aus – und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend fühlte ich noch alles, was ein tödlicher Stich Schmerzhaftes haben kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben muss: das Ende der Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu dürfen.
MELLEFONT.
Ach! liebste Sara, ich verspreche Ihnen das Ende Ihrer Pein, ohne das Ende Ihres Lebens, welches gewiss auch das Ende des meinigen sein würde. Vergessen Sie das schreckliche Gewebe eines sinnlosen Traumes.
[15]SARA.
Die Kraft es vergessen zu können, erwarte ich von Ihnen. Es sei Liebe oder Verführung, es sei Glück oder Unglück, das mich Ihnen in die Arme geworfen hat; ich bin in meinem Herzen die Ihrige, und werde es ewig sein. Aber noch bin ich es nicht vor den Augen jenes Richters, der die geringsten Übertretungen seiner Ordnung zu strafen gedrohet hat – –
MELLEFONT.
So falle denn alle Strafe СКАЧАТЬ