Название: Lasst uns Paradiese pflanzen!
Автор: Timm Koch
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783864898150
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Die Erkenntnis, dass Streuobstwiesen Orte sind, die auf besonders viele Tierarten eine enorm hohe Anziehungskraft ausüben, ist nicht neu. Zum Glück sind sie im Zuge der Industrialisierung unserer Kulturlandschaften nicht vollständig ausgemerzt worden. Das Schöne an ihnen ist, dass wir alle zu ihrem Erhalt und Schutz beitragen können. Es fängt damit an, dass wir als Kunden Bedarf schaffen können, indem wir im Supermarkt nicht zu Cola oder sonstigen Limonaden und auch nicht zum billigen Industrieapfelsaft greifen, sondern das hochwertige und zu Recht auch etwas teurere Produkt wählen, das auf einer Streuobstwiese gewachsen ist. Dieser Saft muss auch gar kein Bio-Label haben. Das kostet den Produzenten extra und ist gar nicht nötig, weil Streuobstwiesen in der Regel sowieso die Pestizidduschen erspart bleiben. Meine Frau Nilufar und ich ernten jedes Jahr im September oder Oktober zwischen einer halben und einer Tonne Äpfel. Oft stammen die von Bäumen, die als ökologische Ausgleichsmaßnahme für irgendwelche Baulandausweisungen entlang einiger Äcker rund um Bruchhausen und Unkel angepflanzt wurden. Das Obst dieser Bäume steht der Öffentlichkeit zur freien Verfügung. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Einer von uns beiden klettert in die Krone des Baumes und schüttelt. Danach sammeln wir gemeinsam die Äpfel in Eimern auf. Manchmal benutzen wir auch lange Stangen aus Haselnussruten und schlagen die Früchte von den Ästen.
Diese Äpfel fahren wir zu der Saftmanufaktur in Bad Hönningen. Dort reihen wir uns mit unserem Anhänger ein in die Reihe aus Lieferwägen, Traktoren und normalen PKWs. Alle haben Äpfel dabei. Manche bringen ganze Kipperladungen, andere nur ein paar Säcke voll. Vom Kleinbauern über den Hobbygärtner,bis zu Streuobstwiesenvereinen ist alles dabei. Wir leeren unsere Äpfel in eine Waage und nehmen im Tausch und gegen eine kleine Bearbeitungsgebühr frisch gepressten Saft vom Vortag mit. Allein durch die Ernte haben wir den Apfelbäumen einen Gefallen getan. Wir haben dem Baum die Fruchtlast genommen und damit die Gefahr des Astbruchs gebannt. Oft haben wir Bäume auch von Brombeeren befreit, um überhaupt an die Äpfel heranzukommen. Nicht selten sind wir dabei an vernachlässigte Bäume geraten, die komplett von Brombeeren zugerankt waren und seit der Ernteaktion wieder freistehen und Licht bekommen, damit sie weiterwachsen können. Wer solche Säfte trinkt, fördert also nicht nur die kleine Saftmanufaktur und die Streuobstwiesen, sondern auch Menschen wie uns, die sich so auf einfache Art und Weise den Überfluss der Natur zunutze machen.
Der nächste Schritt in diese Richtung, den jeder von uns gehen kann, ist, die Patenschaft für ein Stück Streuobstwiese zu übernehmen. Hier hat man vielfältige Möglichkeiten. Man kann beispielsweise ein Zertifikat über den symbolischen Besitz von zehn Quadratmetern Streuobstwiese erwerben oder einem Apfelbaum oder einem Bienenstock. Die Lage der Wiese sollte darin klar gekennzeichnet sein und zugänglich sein. Zuweilen dürfen sich die Paten auch über kleine Abgaben an Honig oder Apfelsaft freuen. Wer gerne selbst mit anpacken will, der kann sich bei Initiativen der Umweltinitiativen BUND oder NABU als freiwilliger Helfer melden.
Das Berliner Start-up Ostmost geht den entscheidenden Schritt weiter und macht Streuobstwiesen zum zentralen Teil seines Geschäftsmodells. Der edle Most wird als Schorle in Flaschen abgefüllt und über Bioläden und Partner in der Gastronomie in ganz Deutschland verkauft. Mit Erfolg: Inzwischen beträgt der Absatz mehr als eine Million Flaschen im Jahr. Parallel hat Ostmost den gemeinnützigen Verein Äpfel und Konsorten e. V. gegründet. Der hat seinen Sitz im brandenburgischen Storkow und verfolgt das Ziel, »Streuobstwiesen zu schützen und die regional typische Obstsortenvielfalt in Berlin und Brandenburg zu fördern«. Die Obstfreunde bespielen das komplette Programm. Sie organisieren den Aufbau von Streuobstwiesen als Ausgleichsflächen, etwa für die Windenergie, kaufen Äcker, die sie in Streuobstwiesen umwandeln genauso wie bestehende Altbestände und organisieren deren Pflege. Mit »Reclaim Streuobstwiese« haben sie einen kämpferischen Slogan geschaffen, der gerade in der Großstadt Berlin gut ankommt. Dennoch ist in Brandenburg der Lebensraum Streuobstwiese nur noch in Restbeständen vorhanden. Das liegt unter anderem daran, dass in der DDR genau wie in Westdeutschland Abholzungsprämien für Streuobstbestände gezahlt wurden. Die wenigen Bäume, die diesem Irrsinn nicht zum Opfer gefallen sind, wurden meist vor dem Zweiten Weltkrieg, einige sogar noch vor dem Ersten, gepflanzt. Ihre Lebensspanne neigt sich inzwischen dem Ende zu.
2017 gelang dem Verein der Coup, die Landesumweltminister aus ganz Deutschland auf einer ihrer Streuobstwiesen zu versammeln, wo sie die Politiker mit blauen Plastiktüten ums edle Schuhwerk den »Ministersortengarten« einbuddeln ließen. Es kamen zwar längst nicht alle Minister, und auch die Bundesumweltministerin Svenja Schulze ließ sich durch eine Staatssekretärin vertreten. Dennoch war die Aktion ein guter PR-Erfolg und am Ende standen 19 neue Apfel- und Birnbäume auf der Wiese. Jedes der 16 Bundesländer bekam einen Baum von landestypischer Lokalsorte zugesprochen. Zusätzlich wurde ein »Gravensteiner« als Europasorte und »Edelborsdorfer« als Bundesapfelsorte gepflanzt.
Ich will mehr wissen und spreche mit Jakob Schuckall und Lukas Küttner von Ostmost.
Wie kam es dazu, dass Ostmost gegründet wurde, was treibt euch an?
Lukas Küttner: Der Gründer Bernd Schock war für ein Projekt zum Schutz des Goliathfrosches im Regenwald in Kamerun aktiv. Dort ist er mit gerodeten Flächen des Regenwaldes in Berührung gekommen und hat erlebt, welches Ausmaß und welchen Schaden der Verlust von Lebensraum und Artenvielfalt annehmen kann.
Zurück in Deutschland ist er in Brandenburg auf eine Streuobstwiese gestoßen und hat vom hiesigen Landwirt erfahren, dass diese Wiesen einen enormen Sorten- und Artenreichtum aufweisen, sie sozusagen die kleinen Geschwister des Regenwaldes sind, und, dass es diesen Flächen nicht besser geht als dem Regenwald auf der anderen Seite der Welt. Sie werden vernachlässigt und abgeholzt, die Vielfalt geht verloren.
Daraufhin wurde die Idee geboren, über ein Produkt die Wertschätzung und -schöpfung dieser Wiesen und ihrer Früchte wieder herzustellen, damit sie auch für künftige Generationen erhalten bleiben.
Selbst die Giganten der Industrie haben ja ganz klein angefangen. Wie seht ihr die Chancen, dass Start-ups wie Ostmost eines Tages die großen Marken wie Coca-Cola vom Markt drängen können?
Lukas Küttner: Schon jetzt gibt es eine klare Entwicklung in Trend-Bezirken, also Gegenden, wo junge aufgeschlossene Leute zusammenkommen, in denen Marken wie Coca-Cola, Pepsi und Co. einen schweren Stand haben, weil junge Marken ihnen die Plätze streitig machen. Ein großer Treiber sind hier Gastronom*innen, die ein diverses Angebot schaffen wollen, weg vom Mainstream und der generelle Trend hin zu bewusstem Konsum und mehr Nachhaltigkeit – beides Punkte, bei denen große Konzerne in der Regel schlecht abschneiden.
Dennoch zeigt das nur einen Teil des Marktes, der überwiegende Part wird noch immer von Lebensmittelkonzernen dominiert, denn oft spielen Marktmacht und (niedrige) Preise eine große Rolle im Handel oder bei Gastro-Filialisten. Auch aufseiten der Endkonsument*innen gibt es immer noch eine große Mehrheit, denen Convenience – also ein niedriger Preis und Beibehaltung der alten Gewohnheiten – wichtiger ist, als die Nachhaltigkeit von Produkten. Auf lange Sicht werden sich Konzerne anpassen und so am Markt bleiben, das tun sie ja schon. Coca-Cola hat zum Beispiel Vio und Vio Bio oder die Coke Life ins Leben gerufen und zielt damit ganz klar auf eine neue bewusste Käuferschaft. Ich denke, dass Start-ups die großen Marken somit niemals komplett verdrängen können, sofern diese nicht stur an ihrem Programm festhalten, wohl aber vor sich hertreiben können und sie so Stück für Stück zu einem besseren – klimafreundlichen und sozialverträglichen Verhalten – drängen können.
Welchen Einfluss wird Ursula von der Leyens »European New Green Deal« auf Unternehmungen wie Ostmost/Äpfel und Konsorten e. V. haben?
Lukas Küttner: Grundsätzlich erhoffen wir uns, dass im Zuge des Green Deals klimapositives Verhalten durch viele Projekte immer mehr zum Standard in der Gesellschaft wird. Wenn ein breites Bewusstsein dafür entsteht, dass Konsum immer auch klimapolitische Effekte hat und somit СКАЧАТЬ