Название: Lasst uns Paradiese pflanzen!
Автор: Timm Koch
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783864898150
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»Wenn die Schweine und Hühner hier durch sind, schlägt die Stunde der Bodenbrüter«, erklärt Yonis. »Drei Jahre wird hier Getreide angebaut – und zwar kiebitz- und lerchenkompatibel in lichten Reihen. Die Bäume stehen so locker, dass genug Licht dafür einfällt. Ein paar von ihnen sollen wohl auch gefällt werden. Der junge Graf braucht schnelles Geld und der Markt für Kirschholz ist gerade ausgesprochen gut. Danach drei Jahre Schafweide, dann liegt das ganze fünf Jahre lang brach und darf verbuschen, damit der Baumbestand sich verjüngen kann, und dann bin wieder ich mit meinen Ziegen dran.«
Bei den Schweinen lässt sich mittlerweile das soziale Gefüge erkennen. Die Sauen mit den Ferkeln bilden eine große Herde. Daneben haben sich einige Grüppchen von jungen Ebern abgesondert. Einige haben einen »großen Bruder« dabei, der auf sie aufpasst. Obwohl Yonis als Muslim kein Schweinefleisch isst, kennt er sich mit den Tieren sehr gut aus.
»Sieh mal, die ›großen Brüder‹. Das sind die Zuchteber von morgen. Ihre Schützlinge sind nach der Kirschmast reif für die Grillsaison. Die sind im Winter im Stall geboren und erst mal mit dem ›tropischen Mix‹ gefüttert worden. Seit dem Aus für die großen Soya-Monokulturen exportiert Brasilien jetzt aus seinen Waldgartensystemen Trockenfutter aus Mango, Brotfrucht, Avocado und verschiedenen Palmfrüchten und anderen Obstsorten, die an Bäumen wachsen. Tropischer Mix und danach Kirschmast. Solch gute Zutaten merkt man natürlich im Fleischgeschmack. Anfang des Jahrhunderts wären die Sattelschweine fast ausgestorben, weil sie so gut Fett ansetzen. Das muss man sich mal vorstellen! Wo doch im Fett der meiste Geschmack sitzt!«
»Mir läuft das Wasser im Munde zusammen.«
»In fünf Wochen kommt das mobile Schlachthaus. Die Herde wird geteilt. Was geschlachtet werden soll bleibt da, der Rest zieht weiter. Tiertransporte zwischen den Weidegründen sind ja noch erlaubt, wie du da siehst. Tiertransporte in den Tod hat man geächtet. Die Tiere merken ganz genau, ob die Fahrt zur Kirschmast geht oder zum Schlachter.«
»So wie es jetzt gemacht wird, merken sie wahrscheinlich auch was. Aber ok, der Stress ist auf jeden Fall deutlich reduziert. Das soll man ja auch schmecken können. Aber darum geht es ja eigentlich gar nicht.«
»Hör mal Timm, was anderes. Du kommst doch mit deiner Bienenhaltung billig an Zucker ran.«
»Magst du den Honig nicht? Der ist doch lecker und viel gesünder als dieser weiße Raffinadezucker.«
»Ja. Natürlich hast du recht. Aber weißt du, damals, zu Hause in Somalia, da haben wir den Tee immer mit weißem Zucker getrunken. Bei dem Geschmack muss ich immer an zu Hause denken. Heutzutage ist das Zeug ja unerschwinglich geworden. Das fing mit dem Bidihandel an. Du weißt es ja selbst am besten. War ja auch deine Idee, Timm, dem Ganzen einen einfachen Namen zu geben. Biodiversitätszertifikatehandel kann ja auch kein Mensch aussprechen. Ich habe drei Wochen geübt, bis ich es halbwegs hinbekommen habe. Zucker hat jedenfalls schwer Bidipunkte aufgebrummt bekommen: Monokultur, Flächenfraß, hoher Einsatz von Pestiziden – das war ja schon mal ein guter Batzen. Dazu kam dann noch, dass Zucker, durch seine Sonderstellung im Markt, schädlich für die Imker und für die Produzenten von Fruchtsirupen war. Das gab dann noch mehr Bidipunkte. Als man dann auch noch merkte, wie die Fettleibigkeit abnahm und das Gesundheitssystem ordentlich entlastet wurde, weil Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen deutlich zurückgingen, haben sie die Zuckersteuer noch obendrauf gepackt. Heute ist das Zeug so teuer wie Goldstaub. Also, kannst du mir zwei, drei Kilo bringen? Ich tausche gegen Ziegenkäse.«
»Na gut. Ich werde sehen, was ich machen kann. Du weißt, dass das verboten ist, oder? Also bitteschön absolutes Stillschweigen.«
Wir besiegeln diesen Handel, indem wir beide einen Schluck Tee trinken und die Blicke in die Ferne schweifen lassen.
»Die Kirschernte«, fährt Yonis fort, »ist in vollem Gange. Wenn du von hier aus weiter in Richtung ›Auge Gottes‹ fährst, gelangst du in die großen Obstwälder. Wo früher die Fichtenmonokulturen standen, wachsen jetzt Äpfel, Birnen, Pflaumen, Walnüsse, Kastanien, Ebereschen und natürlich auch Kirschen. Der Witz dabei: Es sind alles Ertragssorten, die fette Früchte liefern. Diese neuen Wälder geben uns nicht nur absolut hochwertiges Holz, sie nähren auch uns und unser Vieh. Die Ernteroboter, die auf den Ertragssorten zum Einsatz kommen, sind viel ausgeklügelter, als die Dinger, die der Schweinehirt gerade an die Wildkirschen hängt. Im Ertrags-Obstwald sind die mit Ultraschall ausgestattet, um zu sehen, ob die Früchte Würmer haben. Falls ja, fallen sie runter für die Schweine und die Hühner. Falls nein, landen sie im Erntekorb auf dem Rücken der Maschine. Wenn die voll ist, klettert sie den Baum wieder runter und wartet auf den Arbeiter mit seinem Esel, der den Korb leert.«
»Ist schon irre, wie schnell die Roboter Pestizide überflüssig gemacht haben.«
»Naja. Im Prinzip könnten sie auch den Esel mitsamt Treiber überflüssig machen. Der Abtransport würde auch vollautomatisch funktionieren. Man hat Modelle entwickelt, die so leicht sind, dass ihre Waldbodenschädigung mit der von Eselshufen zu vergleichen wäre. Aber die Dinger bekommen so viele Bidipunkte aufgebrummt, dass sich ihr Einsatz nicht lohnt. – Wegen Eselsverhinderung.«
»Eselssalami ist ja auch was sehr Feines.«
»Ja, und bei Eselskäse kostet das Kilo über tausend Euro. Die Reichen lieben das Zeug. Diese Biodiversitätskonzepte sind schon sehr schlau. Durch die vielen Nist- und Versteckmöglichkeiten und das reichhaltige Nahrungsangebot für Vögel, Kleinsäuger, Reptilien und Insekten kommt ein sogenannter »Schadorganismus« wie die Kirschfruchtfliege, die für die Würmer in den Kirschen verantwortlich ist, gar nicht so häufig vor, dass er Probleme machen kann. Am Ende machen die Insektenlarven noch ein kleines Proteinplus aus, das den Schweinen anscheinend ganz gut bekommt.«
»Ja klar. Zur Not setzen die Obstkooperativen Pheromonfallen ein. Kirschen aus heimischen Obstwäldern sind ja ein wichtiges Wirtschaftsgut.«
Ich trinke meinen Tee aus, verabschiede mich und schwinge die alten Knochen wieder auf das H2-Rad, um meiner alten Leidenschaft zu frönen: der Vogelbeobachtung. Den 8X50-Feldstecher führe ich griffbereit in meiner Satteltasche aus Rindsleder mit. Auf meiner Rundfahrt begegne ich Rebhühnern und Wachteln, die sich in den offenen Obstwäldern pudelwohl fühlen. Ich höre den Kuckuck rufen und die Wachtel schlagen und Spechte an Baumstämme hämmern. Die Welt ist schön und bunt und voller Nahrung. Sie ist Lebensraum für Mensch und Tier gleichermaßen.
Faktencheck 2021
Dass mein somalischer Kumpel Yonis und ich in 17 Jahren tatsächlich ein platonisches Gespräch solchen Inhalts werden führen können, sei dahingestellt. Fakt jedenfalls ist, dass die Welt zu Beginn der zwanziger Jahre des neuen Jahrtausends inmitten von Weltuntergangsängsten steckt. Zur Corona-Epidemie und den Folgen der Erderwärmung gesellen sich Kriege, Flüchtlingsströme, Plastikverseuchung, Korallensterben, Waldbrände und eine noch nie dagewesene Konzentration von Reichtum auf die berüchtigten 0,1 Prozent der Erdbevölkerung. Die größte Katastrophe jedoch ist die rasant fortschreitende Vernichtung der Artenvielfalt und der Kollaps unserer Ökosysteme.
Während im dritten Jahr der Dürre im heimischen Siebengebirge der Harvester die abgestorbenen Fichtenmonokulturen zu riesigen, geradezu obszönen Haufen aufpoltert und im Zuge dessen unermüdlich immense Flächen ratzekahl abrasiert hat, wird von vielen die Wirkung von Corona auf die Welt wie eine Katharsis wahrgenommen, eine innere Reinigung durch Schmerz. Beim Weltwirtschaftsforum 2020 wird dafür die Bezeichnung »Great Reset« ins Spiel gebracht. Gleichzeitig klagen von der Trockenheit betroffene Bauern über gigantische Ernteausfälle, die sie anschließend vom Steuerzahler kompensiert bekommen. Einige warten schon mit der Idee auf, ihre gigantischen Getreidefelder mit Grundwasser am Leben zu halten. СКАЧАТЬ