Название: Gegendiagnose II
Автор: Группа авторов
Издательство: Автор
Жанр: Социальная психология
isbn: 9783960428138
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Reflexionsfragen (viele davon sind in dem Aufruf Bonnie Burstows Starting the New Year with a Bang zu finden) (vgl. Burstow 2016: o.S.): Wie ist meine Positionierung im Diskurs? Welche Meinung vertrete ich nach außen in Bezug auf biologisch-medizinische Erklärungsansätze? Wodurch legitimiert sich meine Rolle als Unterstützer_In? Muss ich mein theoretisches Wissen über psychiatriekritik noch verfeinern? Sehe ich die aktivistische Notwendigkeit einer psychiatriekritischen Bewegung? Sehe ich Überschneidungspunkte zwischen anderen emanzipatorischen Strömungen und einer psychiatriekritischen Bewegung? Nehme ich Erfahrungsberichte von Betroffenen ernst, oder relativiere ich sie auf Grund ihrer Diagnose?
Ziel dieser Einführung sollte es sein, eine Perspektive und einen kleinen Überblick zum Thema Psychiatriekritik zu geben. Hierbei lag der Schwerpunkt vorrangig auf einer akademischen, westlichen und weißen Analyse. Viele wichtige Positionen kommen in diesem Artikel somit zu kurz oder bleiben außen vor (vgl. u.a. Mader 2015: 76 ff.).13 Gerade in den letzten Jahren wurden die kritischen Analysen des psychiatrischen Diskurses deutlich erweitert. Dies beinhaltete auch die Erkenntnisse der Mad Studies (vgl. u.a. Burstow, LeFrancois & Diamond 2014; Russo & Sweeney 2016), welche Psychiatriekritik aus betroffener Perspektive äußert, und der disability Studies mit dem Neurodiversitätsansatz (vgl. u.a. Graby 2015), welche für eine Akzeptanz von neurologischen Unterschieden des menschlichen Organismus kämpft.
Wir als linke Bewegung müssen dahinkommen, dass das Verhalten einzelner auch Symptom einer kaputten Gesellschaft darstellt. Wir müssen einen anderen Umgang mit Krisensituationen, von außen nicht nachvollziehbarem Verhalten und persönlicher Überforderung finden, als die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft es vorsieht. Statt mit der Absprache von Selbstbestimmung, naturalistischen Ideologien oder mechanischen Tipps wie Therapie oder Medikamentation zu reagieren, sollten wir uns in einer solidarischen Form von direkter und diskursiver Unterstützung üben. Das ist natürlich anstrengender und komplexer, als auf existierende psychiatrische Strukturen und Denkmuster zurückzugreifen, ermöglicht aber langfristig den Weg für eine tatsächlich solidarische Unterstützung.
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