Gegendiagnose II. Группа авторов
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gegendiagnose II - Группа авторов страница 13

Название: Gegendiagnose II

Автор: Группа авторов

Издательство: Автор

Жанр: Социальная психология

Серия:

isbn: 9783960428138

isbn:

СКАЧАТЬ nicht finden. Ich müsse erst beruflich oder lohnarbeitstechnisch Orientierung finden, um glaubwürdig trans* sein zu können. Wo kommt dieser Gedanke her, dass berufliche und geschlechtliche Identität in irgendeiner Form zusammenhängen?

      Die Gewalt der Argumentationsweise wird mir auf dem Nachhauseweg bewusst. Wieder einmal wird meine Geschlechtsidentität angezweifelt. Wieder einmal behauptet eine Person mit Cis-Privilegien und Entscheidungsgewalt besser zu wissen, wer ich bin. Ich stehe neben mir, bin wie weggetreten und merke erst am Ostkreuz, dass ich eigentlich schon eine Station vorher hätte aussteigen wollen.

      Und hier in Berlin ist die Situation relativ gut. Es gibt Listen von trans*freundlichen oder einigermaßen trans*freundlichen Therapeut_innen. Doch die Hürde bleibt groß, vor allem wenn ich immer wieder sehe, wie Freund_innen keine guten Therapeut_innen finden und daran verzweifeln. Andere machen immer und immer wieder Erfahrungen mit Therapeut_innen, die sich mit queeren oder speziell nicht-binären Themen nicht auskennen. Dann stürze ich mich doch lieber in Berge von Arbeit und lenke mich von diesem Thema ab.

      Anfang August breche ich die Therapie ab. Das anfängliche Gefühl von Erleichterung, dass ich nun endlich einen Schlussstrich gezogen und diese kraftzehrende Beziehung beendet habe, ist schnell verflogen. In mir kommt Ohnmacht auf. Ich habe im Moment keine Energie für eine neue Therapeut_innen-Suche. Eine Liste von trans*freundlichen Therapeut_innen arbeitete ich im März bereits ab. Auf einer anderen Liste entdecke ich nur wenige neue Namen. Die Namen auf den Listen verraten mir nicht, ob eine Person für nicht-binäre trans* Personen offen ist oder sich mit diesem Thema überhaupt schon einmal auseinandergesetzt hat. Ich beschließe die Suche erst einmal auf Eis zu legen.

      Im Herbst schaffe ich es zu einer queeren Beratungsstelle und bekomme eine weitere Liste. Mit einem Freund, der gerade ebenfalls auf Therapeut_innenSuche ist, gehen wir gemeinsam die Namen durch und erzählen uns, wen wir schon einmal angeschrieben haben, welche Namen uns schon empfohlen wurden und von welchen Personen uns eher abgeraten wurde. Ich nehme meine Energie zusammen und schreibe eine Handvoll Therapeut_innen an. Daraus ergibt sich ein Vorgespräch, dass ich mit einem ambivalenten ersten Eindruck verlasse. Dieser Therapeut hier kann sich zumindest vorstellen, mich mit nichtbinären Pronomen und ohne binäre Anrede anzusprechen. Trotzdem spüre ich nur ein halbes Ja in mir. Nach meiner letzten Erfahrung bin ich vorsichtig und gebe die Rückmeldung, dass ich noch andere Therapeut_innen kennenlernen möchte.

      Ich entscheide, dass es keiner Person hilft, wenn ich mich allen Regeln dieses trans*feindlichen Systems unterwerfe, und vereinbare einen Termin mit dem Therapeuten. In den zwei Sitzungen mit ihm beantworte ich viele Fragen. Ich sammele Trans*punkte, wenn ich von meinem aktuellen Namen, dem Unwohlsein mit dem Pronomen ›sie‹ und meinem Wunsch nach körperlicher Veränderung erzähle. Ja, ich bin mir sicher, dass ich Testo nehmen möchte. Für mich ist die Vorstellung einen Bart, eine tiefere Stimme und veränderte Gesichtszüge zu haben stimmig. Ich will das jetzt. Und ja, ich habe diesen Wunsch schon länger. Und noch einmal ja, ich nehme auch Stimmungsveränderungen durch Hormone in Kauf. Während ich auf all diese Fragen eingehe, bleibt mein Blick an der Tür hinter dem Therapeuten hängen. Gatekeeping. Egal wie sympathisch mir dieser Therapeut gerade erscheint, er und andere Therapeut_innen haben doch so viel Macht darüber, mir den Zugang zu Testo und anderen geschlechtsangleichenden Maßnahmen zu ermöglichen oder zu verwehren.

      Wann müssen sich Cis-Personen eigentlich einmal für ihre Geschlechtsidentität erklären? Warum wird nur bei trans* Personen angenommen, dass die Entscheidung Testosteron oder Östrogene zu nehmen durch eine ›Expert_in‹ abgesegnet werden muss? Warum dieses große Aufheben um die sogenannten ›Geschlechtshormone‹? Als ich vor Jahren Schilddrüsenhormone verschrieben bekam, war es doch auch keine große Sache.

      Ich bestehe den Trans*test. Meine Antworten haben den Therapeuten so weit zufriedengestellt, dass er mir das gewünschte Schreiben ausstellt: „Bei dem Patienten kann von einer ausreichenden stabilen Stimmigkeit und Konstanz seines männlichen Identitätserlebens ausgegangen werden.“ Von Nicht-Binarität ist schon lange keine Rede mehr.

      Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Was ich mir gewünscht hätte, ist nicht mehr und nicht weniger als Respekt für meine Identität. Ob ich trans* bin oder nicht, ob ich nicht-binär bin oder nicht, kann ich am besten selbst sagen. Und trotzdem war ich in der Auseinandersetzung mit Therapeut_innen damit konfrontiert, dass eine andere Person, die meine Erfahrung nicht teilen kann, zugestanden wird, das besser beurteilen zu können als ich selbst. Für mich gibt es keine akzeptable, nicht-trans*feindliche Begründung, um dieses Misstrauen an meiner Selbstverortung zu rechtfertigen.

      Ich hätte mir gewünscht, dass mein Pronomen und meine Präferenz für eine nicht-gegenderte Anrede akzeptiert wird. Im Alltag ist es für mich anstrengend genug, immer wieder mit dem binären Geschlechtersystem konfrontiert zu sein, wenn mir Personen ein Geschlecht zuschreiben und mich dann auf eine unerwünschte Weise ansprechen. Therapie konnte mir nicht einmal so viel Abstand von der Zweigeschlechtlichkeit bieten, dass zumindest mein Pronomen und meine Identität respektiert wurde. Das empfinde ich als besonders bitter, weil ich mir gerade dort einen Raum wünschte, um den Schmerz über mangelnden Respekt für meine Identität, meinen Namen und mein Pronomen zu thematisieren.

      Nachdem ich mich vorübergehend vom therapeutischen System verabschiedet hatte, verlegte ich mich auf das Träumen von einer anderen, nicht allzu fernen Welt. Alle Personen hätten selbstbestimmt und pathologisierungsfrei Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Auch könnten Personen, egal wie nah sie binären Vorstellungen wären, durch einen simplen, bürokratischen Verwaltungsakt den Namen und Personenstand ändern. Trans* Personen und Personen jenseits der binären Geschlechterkategorien bekämen in der Therapie endlich die Unterstützung, die sie sich zur Bewältigung ihres (cis- und heteronormativen) Alltags wünschten. Und auch Personen, die mehrdimensional von Diskriminierung betroffen wären, könnten Therapie als einen geschützten Raum erleben, weil es grundsätzlich mehr Vielfalt unter Therapeut_innen gäbe und eine queere Person of color, eine nicht-binäre Jüd_in oder eine Schwarze, trans* Person mit Behinderung eine_r Therapeut_in gegenüber säße, die ihre Positionierung teilt.

      Ich möchte mich in den nächsten Jahren dafür einsetzen, dass diese Wünsche nicht nur in Träumen erfüllt werden, sondern diese nicht allzu ferne Welt mit jedem Tag ein bisschen näherrückt.

      Die Euphorie am 8.11.2017 in meiner WG ist übergroß, als eine Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht aus dem Oktober veröffentlicht wird. Das Gericht gab Vanja Recht. Bis Ende 2018 muss es eine Änderung im Personenstandsrecht geben und damit eine dritte positive Geschlechtsoption in offiziellen Dokumenten geschaffen werden. Es besteht auch die Möglichkeit, dass das Personenstandsrecht so verändert wird, dass der Geschlechtseintrag komplett gestrichen wird.

      »Den Geschlechtseintrag komplett streichen?! Wow!«

      Lange hatte ich nicht mehr einen so schönen Tag. Ich grinse die ganze Zeit nur noch vor mich hin. Endlich wurden die Forderung von einer nicht-binären inter* Person nach einer dritten Geschlechtsoption gehört.

      Was bedeutete das Urteil für nicht-binäre trans* Personen? Was hieß es für mich? Könnte ich bald СКАЧАТЬ