Название: hell/dunkel
Автор: Julia Rothenburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022693
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Nathalie rutscht erschrocken ein Stück zurück.
Aber dann lasst uns wenigstens was anderes machen und nicht blöd hier drin rumsitzen.
Vielleicht rempelt sie Robert absichtlich ein wenig an.
Mein Stichwort, sagt Robert, ich muss dann mal. Bis später, Valerie. Und bis bald, er schaut zu Ivana. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.
Würde mich freuen. Ivana klickt mit den Fingernägeln ganz komisch auf dem Küchentisch.
Valerie wendet sich zum Fenster und verdreht die Augen, der Baum auf der anderen Seite der Straße winkt mit kahlen Zweigen zurück.
Will jemand einen Kaffee?, fragt sie dann, weil sie nicht wirken will wie ein bockiges Kind.
Aufatmen kann sie trotzdem erst, als die Tür zufällt. Robert ist weg. Nathalie schaut sie an wie eine Seekuh und Ivana lächelt mit gespitzten Lippen.
Echt süß, dein Bruder, sagt sie. Kaffee, mit Milchschaum, wenn du hast.
6
Von der Straße aus wirkt das Haus dunkel, wie Insektenaugen glitzern die Fenster. Fast hat Robert Angst, dass Valerie nicht da ist, aber die Tür ist nicht abgeschlossen.
Valerie, ruft er. Beim Gehen stößt er gegen die Deckenlampe, das Licht schwankt wie besoffen über die Wände. Es regt sich nichts, auch als er noch mal ruft. Aber dieses Gespräch will er ja ohnehin lieber hinauszögern. Erst mal runterkommen, genau.
Im Bad hört man leise Musik aus ihrem Zimmer, irgendwas mit Beat, dazu das Plätschern seiner Pisse.
Also gut, denkt Robert, du schaffst das.
Neben seinen Füßen zischt ein Silberfischchen unter der Badematte hindurch. Erst jetzt fällt ihm auf, wie lange er schon kein Silberfischchen mehr gesehen hat. In der Wohnung in Marburg gibt es die irgendwie nicht. Aber Sandra putzt ja auch andauernd. So schmutzig ist es hier allerdings auch nicht. Nur etwas unordentlich. Über dem Wannenrand hängt ein rosafarbener BH, muss Valeries sein, die Mutter besitzt so etwas bestimmt nicht. Mit Spitze am Schälchen. Robert schaut schnell wieder weg. Hinten in der Ecke liegt eine leere Klopapierrolle, daneben etwas Staub, ansonsten ist es sauber.
Vielleicht hat das ja auch nichts miteinander zu tun. Vielleicht kommen Silberfischchen einfach aus Berlin und haben Marburg nicht besiedelt, so wie vieles in Marburg noch nicht angekommen ist.
Woher wissen Silberfischchen eigentlich, wann Nacht ist und wann Tag?, fragt sich Robert. Wieso kommen sie nur in der Nacht heraus, obwohl es hier doch kein Fenster gibt, obwohl es hier in unregelmäßigen Abständen stockdunkel ist, tiefschwarz beinahe, und dann grell, direkt angeschienen wird der Boden, da muss so ein nachtaktives Silberfischchen doch fast blind werden. Und denken die Fischchen dann, es wäre wieder Tag?
Das reicht, denkt Robert, du verhakst dich schon wieder. So geht es immer los, er hakt sich an einem Detail fest und kommt dann nicht mehr los, muss alle Ketten, die sich daran anschließen, weiterdenken, muss jeden Gedankenweg gehen, der sich von der einen Idee abzweigt. Tausend Fragen hat er jetzt im Kopf.
Wieso denkt er über so etwas Bescheuertes nach? Als hätte er nicht Wichtigeres zu bedenken. Das ist so typisch für ihn. Aber man muss damit leben, hat die Psychotante gesagt. Jeder Mensch hat seine Stärken und seine Schwächen. Es kommt darauf an, das zu akzeptieren.
Robert drückt die Spülung und schaut nach den Silberfischchen, aber keins ist mehr zu sehen, nicht einmal unter der Matte. Nur der leise Beat aus Valeries Zimmer ist noch da, dazu irgendeine jammernde Frauenstimme. Also los.
Valerie kommt erst beim dritten Rufen aus ihrem Zimmer, die Haare zerzaust. Einen Moment lang fragt sich Robert, ob sie sich schon wieder mit diesem Typen getroffen hat, wer auch immer das ist. Am liebsten möchte er sie schütteln.
Sie blinzelt, ihre Augen sind ganz klein. Sie ist nicht mehr geschminkt. Andere sehen dann jünger aus, verletzlicher. Bei Valerie ist es genau andersherum, erst jetzt sieht man wirklich, dass ihr Gesicht eine Härte hat, nicht mehr diese viel zu helle Haut, diese Puppenaugen.
Hallo, sagt sie, sie spricht leiser als sonst. Bin eingeschlafen.
Wie sie auf den Boden schaut und dann zum Regal, hat sie nun doch etwas Junges.
Ich hab uns Essen mitgebracht, sagt Robert.
Warst du bei Mama?
Valeries Blick bleibt noch immer nicht bei ihm stehen, sondern klebt jetzt am Porzellanengel auf dem Regal. Der Engel glotzt in Roberts Richtung. Nichts erinnert Robert mehr an seine Mutter als dieser Engel. Er ist furchtbar kitschig und passt eigentlich nicht zu ihr, aber irgendwie hat es auch etwas Beruhigendes, dass er nach wie vor dort steht. Ein Beweis dafür, dass es ein ganz frühes Früher wirklich gibt, gegeben hat, dass er sich das nicht einbildet.
Ja, war ich.
Gibt’s was Neues?
Die Schläfrigkeit klebt noch an jedem Wort. Man merkt, dass sie die Frage nur im Halbdämmern stellt. Sie erwartet keine Nachrichten.
Lass uns später darüber reden, sagt Robert. Erst mal was essen, du siehst ziemlich fertig aus.
Valerie folgt ihm ohne Widerspruch, nimmt die Chinabox, die er ihr hinstellt. Danke, sagt sie.
Nach den ersten Bissen ist sie schon wieder munterer.
War anstrengend mit Ivana und Nathalie, sagt sie, schaut ihn ganz lauernd an dabei.
Hast du dich noch an Ivana erinnert?
Robert zuckt mit den Schultern. Klar, die kann man schwer vergessen, sagt er. Dass Valerie und Ivana zu Hause Talkshows nachspielten, war kurz bevor das bei ihm anfing, irgendwie bergab zu gehen. Sie spielten immer im Wohnzimmer, das nervte, und jedes Mal quengelten sie so lange herum, bis Robert sich bereit erklärte, in der Talkshow als Gast aufzutreten. Oft musste er auch den Freund spielen. Ivanas Freund, natürlich. Wenn Valerie nicht hinschaute, streifte Ivana ihn am Arsch, lehnte sich an ihn, drückte ihm ihre Hüfte in die Seite. Ganz aus Versehen, ganz unschuldig. Damals hatte sie noch eine Zahnspange und strähnige Haare. Trotzdem hatte er davon manchmal einen Steifen bekommen, ganz automatisch. Einmal, als sie bei Valerie übernachtet hatte, hatte er im Bad auf ihr T-Shirt gewichst. Es hatte ewig gedauert, den Fleck herauszuwaschen. Am nächsten Morgen hatte sie das T-Shirt wieder an, man sah nichts mehr, und Robert fragte sich, ob er das Ganze nur geträumt hatte, er im Bad, mitten in der Nacht, sein Keuchen an den Fliesen, das Reiben seiner Hand, während man es durch die Wand leise giggeln hörte. Er hatte sich schäbig gefühlt und erregt zugleich, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass man das nun mal so machte, dass das alles ganz genauso gehörte. Und am nächsten Morgen war nichts mehr davon übrig gewesen.
Das war eine komische Zeit, denkt Robert. Er schämt sich, dass er jetzt überhaupt daran denken muss.
Wo war die Mutter eigentlich bei alldem gewesen? Wie kann es sein, dass Robert lauter Bilder von ihr im Kopf hat, aus der Kindheit, auch zu dritt, irgendwo im Sandkasten, Spielplatz, selbst im Zoo, beim Eis essen, Tausende, und dann plötzlich, seit er klar denken kann, seit Valerie andauernd Besuch von Freundinnen hatte und er im Bad onanieren konnte: nichts.
Also, sagt Robert und schaut auf das Essen. Wie schmeckt’s?
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