Название: hell/dunkel
Автор: Julia Rothenburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022693
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Jetzt sei nicht so streng, denkt Robert. Der Tag war gut, nun muss man abwarten. Einfach hinnehmen, was kommt, genau, so hat es die Psychotante doch auch gesagt: hinnehmen und schauen, nicht immer alles planen wollen.
Valerie guckt ganz gebannt zur Leinwand, das Blau flimmert über ihr weißes Gesicht, zuckt auf ihren Wangen.
Sie zieht die Lippe dabei zwischen die Zähne. Ist sie geschminkt? Robert weiß es nicht, hier in diesem Licht sehen alle künstlich aus.
Als sie auf die Straße treten, ist die Nacht lau, auch wenn der Asphalt noch glänzt. Valerie hat glasige Augen.
Hat dir der Film gefallen?, fragt Robert.
Nein, sagt sie, verzieht den Mund. Nicht besonders.
Mir auch nicht, sagt Robert.
Er war eigentlich ziemlich scheiße, sagt Valerie. Aber Ali hat er gefallen, wiederholt sie.
Was ist denn das überhaupt für ein Name? Ali. Ist der Türke?
Problem damit?, Valerie zieht die Augenbrauen hoch.
Nein. Enttäuscht?
Haha, sehr witzig, sagt Valerie. Eigentlich heißt er Andreas. Aber alle nennen ihn Ali. Weiß auch nicht, wieso.
Wie albern.
Stimmt, sagt Valerie.
Auf jeden Fall hat er einen scheiß Filmgeschmack, sagt Robert.
Sie überqueren die Kreuzung. Die gelben Strahler, die über dem Südstern wie Monde schweben, passen zu dieser lauen Luft.
Wer weiß, sagt Valerie. Vielleicht war schon was dahinter und wir bloß zu dumm.
So dumm sind wir nicht. Also, du zumindest nicht, sagt Robert, machst doch sogar Abitur.
Valerie lacht auf, es klingt viel zu zynisch für sie.
Mal sehen, sagt sie.
Sie laufen neben der Friedhofsmauer entlang. Das Licht der Straße ist hier fast nur noch eine Erinnerung. Irgendwo klappern ein paar Zweige aneinander, ansonsten ist es ruhig. Valerie schweigt und hält ihre Jacke fest.
Was ist eigentlich bei dir? Mit deiner Ausbildung?, fragt sie. Kannst du da einfach so wegbleiben? Musst du nicht zurück?
Robert zuckt mit den Schultern. Hab abgebrochen.
Er bereut es sofort. Eigentlich wollte er nichts von diesem ganzen Schlamassel erzählen, nicht jetzt zumindest, vielleicht nie. Oder erst, wenn er weiß, was er machen will. Und schon gar keine Lügen.
Aber Valerie überrascht ihn. Er hatte ein Sandra-Gesicht erwartet. So wie sich immer alle Frauen in Sandra verwandeln, genau dann, wenn er es nicht brauchen kann. Stattdessen schaut sie ihn gar nicht an, nur auf die Straße.
Okay, sagt sie dann. Hattest du keine Lust mehr?
Kurz schaut sie zu ihm hin, aber selbst dieser Blick ist nur ein freundliches Vorbeihuschen. Kein Röntgen, nicht so wie bei Sandra, jedes Mal, wenn er log, dass er bei der Arbeit gewesen wäre. Ständig dieser Blick und eines Tages: Glaubst du, ich lass mich verarschen? Ich seh doch, wenn du lügst. Du bist der mieseste Lügner der Welt, Robert. Denkst du, ich bin blöd oder was?
Und danach der Supergau, das große Finale in der Firma, sein totaler Ruin. Nicht Sandras Schuld, das weiß er, aber sie gehört auch in diesen Schuldkomplex mit ihrem Röntgenblick, diesem Rumgebohre.
Valerie schaut noch immer auf den Boden, wischt mit den Füßen matschige Blätter von dem Weg.
Nein, sagt Robert. Ist eine lange Geschichte. Aber nein.
Ich kann’s verstehen, sagt Valerie, und sie sieht aus, als würde sie gleich noch was hinzufügen, mit dem Mund so leicht offen, stattdessen zuckt sie bloß mit den Schultern und fummelt nach ihrem Schlüssel, aber er hat seinen ohnehin schon aus der Tasche gezogen.
Eigentlich wollte ich mir hier überlegen, wie es weitergeht. Aber mit dem Weiterplanen warte ich jetzt. Erst mal sehen, wie sich alles so entwickelt.
Valerie nickt, er hält ihr die Tür auf, aber sie bleibt einfach darin stehen.
Ich finde das gut, weißt du, sagt sie. Ich hasse es, wenn Leute sich zu lange mit Sachen aufhalten, die sie ohnehin nicht wollen.
Sie hat keine Ahnung, wovon sie da redet, denkt er, aber es rührt ihn trotzdem. Wenn sie wüsste, was er all die Jahre getan hat. Wenn sie ihn gesehen hätte, ihn als Wrack auf dem Sofa. Ihn bei der Psychotante – und das war allein Sandras Verdienst gewesen.
Danke, Valle, sagt er. Genauso sehe ich das auch.
Okay, sagt sie, geht durch die Tür und die knirschende Treppe hinauf.
Die Wohnung ist noch warm, beinahe stickig.
Willst du was trinken?, fragt Robert.
Apfelsaft, sagt Valerie. Mit Wasser.
Sie sitzen auf dem Sofa und Valerie saugt gurgelnd ihr Getränk durch einen Strohhalm.
Was machen wir jetzt wegen morgen?, fragt sie.
Beinahe hätte ich es wieder vergessen, sagt Robert.
Sorry, sagt Valerie. Wollte dir nicht den Abend verderben.
Sie lachen beide auf, fast gleichzeitig, und plötzlich legt Valerie ihren Kopf auf seine Schulter. Schwer liegt er da, eine schwere, runde Kugel. Er kann ihr Haar riechen, er kann ihre Haut riechen. Sie riecht ganz anders als Sandra. Darf er so was überhaupt bemerken?
Ich bin müde, sagt sie. Wollen wir morgen ins Krankenhaus fahren?
Nein, sagt Robert, seine Stimme klingt gepresst unter ihrem Gewicht. Wir sollen hier warten, sie rufen dann an.
Also warten wir, sagt Valerie.
Genau, sagt Robert, und seine Hand zuckt.
Aber Valerie steht auf, geht einen Schritt vom Sofa weg, das Gesicht gerötet. Beinahe sieht es aus, als würde sie zittern.
Ich geh schlafen.
Er steht auf, stellt sich ans Fenster, schaut hinaus, wo man fast nichts sehen kann, nur milde Lichtstreifen im Schwarz. Die Dielen knarren unter ihren Schritten, dann wird der Schlüssel vom Badezimmer umgedreht. Früher waren sie immer zusammen auf dem Klo. Er weiß genau, wie Valerie aussieht, wenn sie auf dem Klo sitzt, wie sie dabei nach oben schaut an die Decke und die Hände auf den Knien abstützt, als würde sie warten.
Ob man ihn von der Straße aus hier stehen sehen kann, ob man seinen Gesichtsausdruck erkennt? Ob man sieht, was er alles hinter sich hat im Leben?
Aber auf der Straße ist ohnehin niemand. Und vermutlich sähe man hier oben bloß gelbes Licht, so dunkel ist es ansonsten. Gelbe Bullaugen, die in der Nacht so hell leuchten, dass man ohnehin nicht lange hinsehen kann.
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