Brauch Blau. Julia Malik
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Название: Brauch Blau

Автор: Julia Malik

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Debütromane in der FVA

isbn: 9783627022815

isbn:

СКАЧАТЬ vom Glück. Die Unterseite vom Glück ist glitschig, denkt sie, und dann fällt ihr ein Moment aus einem Film ein, von dem Herbert damals beim Mittagessen auf Mallorca erzählt hatte. Weil er eigentlich mit ihr tauchen gehen wollte, das wäre normal im Urlaub, wenn nicht immer die Kinder wären. Da könnten sie sich erholen und zusammen sein. Endlich allein zusammen. In dem Film ging es um eine Gruppe Taucher mitten auf dem Meer, die weit rausfahren, wirklich fern der nächsten Küste, und paarweise ins Wasser springen, um zu tauchen. Als sie aufs Boot zurückkommen, verzählen sie sich aber und vergessen bei der Abfahrt das Paar, das wohl im Honeymoon war, immer mit sich beschäftigt und irgendwie noch unter der Oberfläche. Das Boot fährt ohne sie ab.

      Sie hat sich vorgestellt, wie diese Taucherin während des Tauchgangs ihren Partner ab und zu durch die Maske anzwinkert, sich unbeholfen mit Handzeichen verständigt und dann mit der Sauerstoffflasche in einer Höhle hängen bleibt, wie ihre Luftversorgung unterbrochen wird. Natürlich hilft ihr Mann ihr sofort, sie sind erleichtert, weil sie sich eine Flasche teilen können, aber dann finden sie den Ausgang aus der Höhle nicht, sind zwischen dunklen Algen und wuchernden Korallen gefangen. Komische Wasserpflanzen schlingen sich um ihre Flossen. Hatten die auf dem Boot nicht davor gewarnt, in Höhlen zu tauchen? Es ist so dumm.

      Es wird dunkel. Sie will die Augen schließen und schnell zurück in die Tage, an denen alles einfach war. Wo die Bar an der Ecke nicht die Falle war, die sie von allem trennt. Nach der Geburt ihrer Tochter war sie natürlich oft müde und überanstrengt, sie vergaß aber deswegen nach der Probe nicht, sie abzuholen, sie funktionierte. Damals funktionierte sie noch. Eine Maschine, die richtig eingestellt war. Aufwachen, stillen, Milch für später abpumpen, duschen, Kaffee und Brei machen, Kaffee trinken und Brei füttern gleichzeitig und dann sich selbst und die Kleine anziehen. Die Kleine zur Babysitterin bringen. Auf die Probe düsen, Szenenproben, Klavierproben, Orchesterproben, Kostümproben, Fotos. Künstlerische Umwege? Keine Zeit. Sie konnte ihr Kind nicht ewig bei der Babysitterin lassen, es war noch klein und weinte, wenn die Mama nicht da war, zum Rumstehen war sie nicht angetreten.

      Sie zuckt zusammen. Ihre Nase läuft. Sie drückt die Serviette von unten dagegen, aber zwischen ihren Fingern sind nur noch nasse blaue Schnipsel.

      »Wann sind sie denn heute früh gegangen?«, fragt sie.

      Die Stoppelfrau schaut sie an. Braune Augen, blau geschminkt.

      Die Nase hört nicht auf zu laufen, sie zieht sie hoch, dreht sich schnell weg und sieht an der Rückwand einen Stapel Servietten. Sie geht nach hinten und nimmt sich eine.

      Die Frau antwortet nicht.

      Sie putzt sich mit der Serviette die Nase.

      Sie hatte ewig nichts genommen, natürlich nicht, sie musste sich doch um die Kinder kümmern, und wenn sie Substanzen zu sich nähme, verlöre sie den Überblick.

      Früher, als sie fest an der Oper engagiert war, hatte sie mal viel genommen. So wie alle. Geraucht hatte sie nicht, das griff die Stimme an, Alkohol war deswegen auch tabu. Also nahm man Drogen und Tabletten, die einen auf die verwunschene Insel ohne Termine trugen. Komme, was wolle, der Vorhang musste hoch! Es ging ausschließlich um das, was auf der Bühne passierte. Das hatte sie alle immer wieder auf dieses Floß getrieben. Upper, um zu leuchten, danach Unmengen von Downern. Sie musste was nehmen, um zu schlafen. Und dann was anderes, um wieder in Schwung zu kommen und die Bühne zu betreten.

      Aber auch nachdem die Kinder geboren waren und sie nach dem ununterbrochenen Hin- und Hergehopse zwischen krabbelndem Kleinkind und brüllendem Baby, wenn tatsächlich einmal beide gleichzeitig schliefen, am Abend große Sehnsucht danach gehabt hatte, mit einem eiskalten Bier zu Herkules auf das lauwarme Sofa zu sinken und sich ein paar Stunden vom Geballere seiner Games verwöhnen zu lassen, trank sie nicht.

      Die Stimme war alles, was sie hatte.

      Und der Drogenkonsum war mit der Kinderaufzucht nicht vereinbar.

      Aber als Herbert ging, nahm er ihre ganze Kraft mit sich. Kurz bevor er verschwand, drehte er ihr Joints vor. Dreißig Sticks in einer Schatulle, die sie damals aus Mexiko mitgebracht hatten. Damit sie nicht durchdrehe, wenn er zur Vigräne ziehe. Damit sie schlafen könne. Und tags nicht dauernd heulend ihren Kopf gegen die Backsteinwand ramme. Er war ganz lieb. Er müsse nun leider zur Vigräne ziehen, das gehe nicht anders. Für ihn sei das ja auch schwer, aber wenn seine Schnullita ihn liebe, dann werde sie ihn lassen. Die Vigräne habe gesagt, sie sei sein Schicksal, sie gehörten zusammen. Und die Vigräne sei sich viel sicherer in ihrer Liebe als sie. Und dass er sie jetzt verlasse, das sei doch auch nur ein Teil ihrer Liebesgeschichte. Sie hätten doch immer gesagt, sie seien auf ewig zusammen, hier und auf der anderen Seite. Den Satz hatten sie in einem Theaterstück gehört. Die andere Seite sei aber nicht der Tod, wie sie immer gedacht hätten, also das Zusammensein über alle irdischen Grenzen hinweg, sondern, wenn sie sich trennten, das geheime Zusammenhalten unterhalb der Oberfläche des Sichtbaren. Sie müsse ihn gehen lassen. Aus Liebe. Wenn sie ihn liebe, müsse sie wollen, dass er zur Vigräne geht und glücklich wird. Er komme dann auch bald wieder und bringe neue Joints. Sie könne ja nicht bauen in ihrem Zustand.

      Nach dem vierten Joint fingen ihre Panikattacken an. Sie rauchte weiter. Die Tränen rannen. Der Joint wurde nass. Sie legte ihn in einen Aschenbecher und zündete sich einen anderen an. Sie hatte gesehen, dass man einen Joint ein bisschen rauchen konnte, wieder ausmachen und am nächsten Tag zu Ende rauchen. Sie legte den Sticky, wie Herbert ihn nannte, seitlich an den Aschenbecher. Stellte den Aschenbecher auf den Balkon. Sie lag im Bett. Eines der Kinder rief nach ihr, sie ging ins Kinderzimmer, schwankte und legte sich dazu. Ihr war schwindelig. Das andere Kind war auch aufgewacht und musste pinkeln. Sie kam nicht mehr hoch. Die Große tapste allein zum Klo. War der Joint wirklich aus? Oder schmorte er weiter? Roch es nicht verbrannt? Steht ihr Kind gleich in Flammen? Sie sprang auf und stolperte gegen den Türrahmen. Hinter den Augen blitzte es grell. Das Kind weinte. Sie schrie: »Raus, sofort raus aus der Wohnung!«

      Vom Balkon beginnend, würde gleich der vordere Teil der Wohnung brennen. Sie schnappte sich das schlafende Kind und zog das heulende, das noch auf dem Klo saß, mit ins Treppenhaus. Wo waren die Flammen? Sie musste die Nachbarn warnen. Sie klingelte an der Wohnung nebenan Sturm, niemand öffnete, das Kind an der Hand schrie, das andere auf ihrem Arm inzwischen auch, sie stolperten eine Treppe tiefer. Die Tür wurde geöffnet. Die Nachbarin schimpfte, was denn da los sei. Ob sie die Polizei rufen solle, das könne sie gern tun.

      »Was ist denn, wo soll hier was brennen?«, fragte ein Mann in Unterhose, der neben der Nachbarin ins Treppenhaus trat.

      »Auf meinem Balkon. Das geht so schnell. Gleich brennt hier alles. Die Kinder müssen erst mal in Sicherheit.« Sie stockte. Überlegte. Sagte schnell: »Ich glaube. Ich habe es nicht gesehen. Das heißt also, vielleicht brennt es. Es gibt diese Möglichkeit. Ich habe geraucht. Ich schaue jetzt nach. Setzt euch kurz hier hin.«

      Der Kleine war gerade wieder eingeschlafen, ein warmer Sack auf ihrem Arm, jetzt schrie er, als sie ihn weckte, um ihn auf die Treppe zu setzen. Sie konnte ihn doch nicht in den Brand mitnehmen. Und zu der Nachbarin auf den Arm, das hatte sie schon mal probiert, wollte er auf keinen Fall, er wollte nie auf einen fremden Arm, da waren schon einige Leute beleidigt gewesen, die ihr helfen wollten.

      »Ich komm mit. Mama! Ich komme mit!« Ihre Tochter krallte ihre Hand. Der Kleine brüllte: »Mit! Mit!« So viel Geschrei, überall. Sie schloss die Augen. Nur Rauch war nicht zu riechen. Langsam ging sie mit den beiden zurück in die Wohnung. Schritt für Schritt. Sie konnten jederzeit wieder umdrehen und wegrennen. Nein. Es brannte nicht. Der Joint im Aschenbecher auf dem Balkon war aus. Sie berührte ihn. Er war kalt.

      Die Panikanfälle wurden schlimmer. Meistens hatte sie Angst vor Feuer. Sie konnte sich nicht mehr ins Bett legen, immer wieder stand sie auf und kontrollierte den Aschenbecher, hielt Ausschau nach СКАЧАТЬ