Название: Brauch Blau
Автор: Julia Malik
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Debütromane in der FVA
isbn: 9783627022815
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Mich ständig im Schlaf treten lassen. Im Wachen anbrüllen lassen.
Immer etwas zu trinken dabeihaben.
Ununterbrochen die Gefühle der Kinder aushalten.
Wutanfälle, Trauer, Schmerzen.
Immer, also wirklich immer, ein Ohr bei den Kindern haben.
Ständig aufpassen.
Bei Kälte Jacken und Mützen gegen den Willen der Kinder anziehen.
Sonnencreme gegen ihren Willen auftragen oder zwei Stunden diskutieren.
Entscheiden, wann im Streit der Kinder der Punkt ist, wo man eingreifen muss.
Alles, was die Kinder sammeln, mitschleppen.
Überhaupt schleppen, alles gleichzeitig:
Einkäufe,
weinende Kinder,
vor Wut brüllende und tretende Kinder,
Laufräder,
Schlitten,
Kinderrucksäcke.
Dann muss ich:
Wäsche waschen,
Wäsche falten,
Kinderzimmer aufräumen,
alle Zimmer aufräumen,
staubsaugen,
Töpfe abspülen,
kochen und noch mal kochen.
Gut gelaunt sein.
Nicht zu oft vor den Kindern weinen.
Singen oder auch nicht singen, je nach Laune der Kinder.
Geschichten erzählen, Geschichten vorlesen.
Zuhören, was die Kinder erzählen, obwohl man etwas anderes denken und etwas anderes tun muss.
Zuhören und so tun, als ob man es versteht.
Sich dafür schämen.
Unendlich geduldig sein.
Alles erklären.
Verkatert Frühstück machen.
Verständnis haben.
Immer in den eigenen Gedanken unterbrochen werden.
Immer den eigenen Rhythmus von jemand anderem bestimmen lassen.
Lego bauen.
Stifte anspitzen.
Fünftausendmal die gleichen Spiele spielen.
Lieben, lieben, lieben.
Grenzen respektieren.
Eigene Grenzen setzen.
Eigene Grenzen immer wieder übertreten lassen.
Einkaufen.
Kochen.
Waffeln backen.
Hintern abwischen.
Kotze aus der Bettwäsche und den eingepinkelten Hosen waschen,
Betten beziehen.
Staubsaugen.
Arien üben, die außer mir vermutlich kein Mensch je hören wird, täglich siebenhundert Bewerbungsbriefe abschicken.
Fingernägel schneiden.
Ponys schneiden.
Lustige Drachen aus Transparentpapier basteln.
Kuscheltiere nähen und hinterher die ganzen Schnipsel wegfegen, angemalte Steine und festgeklebte Nudeln aufsammeln, den Boden sauberlecken, weil mir das Wasser abgestellt wurde.
Den ganzen Kitamassenmailzirkus verfolgen.
Ritterburgen und Zoos aus Kaplasteinen bauen, Bausteine, die ich nicht mal kenne, du Arschloch«, sagt sie dem Mann. »Los, Schuhe aus!«
Der Aufzug glänzt verschwommen. Sie weiß nicht, warum sie weint. In kleinen Schrittchen stemmt sie sich über den Teppich. Die Schuhe sind wirklich zu klein. Aber sie kann gehen. Ihr ist so übel. Sie merkt, wie die Angst sich in ihr formt, sie sieht Kinderhände, aber die Körper fehlen, einzelne Hände, sie kann sie nicht zusammenkriegen.
Die Aufzugstüren gleiten auseinander, der strenge Roomboy kommt ihr entgegen. Neben ihm jemand, der sehr geschäftlich wirkt, und ein grauhaariger Mann mit Arztkoffer. Der Roomboy zeigt mit dem Finger: »Das ist sie!«
»Ihnen ist nicht gut?«, fragt der Geschäftliche.
»Geht Sie das was an?« Sie schluckt ihre Rotze herunter. Ihr Finger berührt den E-Knopf.
Der Mann greift ihr an die Schulter. »Dann geht es Ihnen wohl besser, das freut mich zu hören. Und gut, Sie noch anzutreffen«, sagt er. »Wir konnten Sie gestern leider nicht erreichen. Es gibt ein kleines Problem mit Ihrer Kreditkarte, Sie haben doch bestimmt noch andere Zahlungsmöglichkeiten? Und es gab ein Versehen, einer Dame wurde ein Einkauf mit Kleidung geschickt, der unglücklicherweise an der Rezeption bei Ihnen gelandet ist? Diese Tüte bräuchten wir selbstverständlich zurück. Waren Sie denn gestern noch auf der Premiere?«
Er schaut sie an, von oben bis unten. Ihre Haut kribbelt. Die Handflächen kleben. Der Magen an der Schädeldecke. Was für eine Premiere? Der Mann stinkt. Raucherschweiß und Aftershave. Der Teppich riecht nach Hund.
Sie reißt sich los, er bleibt irritiert stehen.
Während die Aufzugtüren sich schließen, hört sie den Mann ohne Schuhe sagen: »Nein, ich kenne sie auch nicht.«
Sie nimmt sich vor, erst außerhalb des Hotels zu kotzen. Auf dem begrünten Mittelstreifen, an einer auch bei Hunden sehr beliebten Stelle.
Man kann ja viele Dinge steuern. Mit hohem Fieber eine Premiere singen, eine Geburt überleben, obwohl man währenddessen merkt, das geht nicht, das ist zu groß, es lebt schon mehr, als man vorher ahnte, und die Schmerzen hebeln jede eigene Wahrnehmung aus. Sie hatte immer das Gefühl, einen Vertrag mit ihrem Körper schließen zu können, dem zufolge er erst nach dem Erbringen einer bestimmten Leistung zu seinem Recht kommen durfte.
Bis auf die Straße, das ist diesmal das gesetzte Ziel.
Der Aufzug spuckt sie in hellen Marmor. Sie schwankt auf einen Tisch mit vielen Vasen zu. Blitzschneller Richtungswechsel. Dahinten das Licht, sehr fern hinter dem vor Betriebsamkeit surrenden Foyer. Sie presst den Mund zusammen. Denn wenn das hier danebengeht, СКАЧАТЬ