Название: Brauch Blau
Автор: Julia Malik
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Debütromane in der FVA
isbn: 9783627022815
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»Die ham noch den gesamten space unter Wasser gesetzt, die ganze rote Mall geflutet. Du Arme, kriegst auch nichts mit, hast ziemlich was verpasst.« Er grinst, scheint sich zu freuen, dass es ihm besser geht, und nickt, weil ihm nur das Beste gebührt. »Wohnste etwa auch hier?« Sein Hinterkopf deutet auf ein gelbes Schild, das über der Tür hängt. HOTEL HEDWIG steht in schwarzer Schrift darauf.
Eine Dorfhoteltür. Dunkelbrauner Metallrahmen. Strukturiertes Glas.
Hier ist sie mit ihren Kindern gewesen. Beide haben sie ihre Hand nicht loslassen wollen, also hat sie die Tür mit der Stirn aufgedrückt, an ihrem Arm baumelnd eine Tüte mit Nasi Goreng. Die Plastiktüte schnitt ihr ins Handgelenk.
Die Kinder sind hier! In diesem Hotel!
Sie dreht sich um, schnippt die Zigarette auf die Straße. Der Mann schnauzt: »Und wieder ist sie weg!«
Sie geht durch die Tür.
Sie haben das Strukturglas der Tür berührt. Mit den Fingerspitzen die Landschaften auf der Oberfläche erkundet.
Der Flur ist jetzt leer. Die Theke unbesetzt.
Sie hat fünfzig Euro bezahlt. Ein Doppelzimmer mit Frühstück, Klo auf dem Flur. Da stand eine kurzhaarige, stark geschminkte Frau hinter dem Tresen. Vor der hatte sie Respekt. War das Hedwig? Eine bestimmte Sorte praktisch veranlagter Frauen jagt ihr Unbehagen ein.
Hinter der Theke führt eine Treppe mit rauchblauem Teppich nach oben. Sie sieht sich um und steigt dann die Stufen hoch, verharrt kurz, lauscht, aber sie hört nicht den kleinsten Mucks. Weil sogar der Mucks versteckt ist, denkt sie. Weil sie wahrscheinlich inzwischen das komplette Zimmer in eine Höhle verwandelt haben. Höhlen sind das Spezialgebiet ihrer Kinder, da macht ihnen keiner was vor. Sie erinnert sich an ihren letzten Geburtstag, als die Kinder ihr eine selbst gebaute Höhle geschenkt haben und sie fast den ganzen Tag darin verbrachten. Sie lächelt, sie haben sicher etwas für sie vorbereitet, das machen sie ja am liebsten.
Sie hat was genommen. Das war’s. Sie war das letzte Mal hier auf irgendwas. Das sie nie genommen hat, vorher. Und sie hat Angst davor gehabt, wollte das nicht nehmen, aber sie musste. Wegen – was denn? Was war denn davor? Herbert hat traurig ausgesehen. Sie bleibt stehen, hält sich am Geländer fest. Atmet tief ein. Reibt sich die Nase. Ihr Gesicht ist nass, der Schweiß schmeckt sauer.
Die letzten zwei Stufen nimmt sie mit einem Schritt. Der Boden knarrt, Teppich auf alter Diele. Vom Flur gehen fünf Türen ab, eine schmale Klotür steht weit offen. Es muss das Zimmer auf der anderen Seite sein, die Kinder waren ja mit ihr nach gegenüber aufs Klo getrampelt. Sie zögert. Sie wird die Tür öffnen und ihre Kinder in den Armen halten. Sie fängt an zu summen. Die Kinder sind sicher schon lange wach und vermissen sie. Ein Geburtstagslied, denkt sie, die beiden wollen immer Geburtstag spielen. Nein, nein, ihr fällt eine Arie aus dem Lohengrin ein, genau, die, wo Elsa zurückkehrt! Sie hört das Orchester und setzt ein, dabei reißt sie die Tür auf und stürzt aufs Bett zu.
Das sind aber nicht ihre Kinder. Im Bett liegt ein Paar, eng umschlungen, Wange an Stirn. Die Frau wacht auf, schaut sie verschlafen an. Die beiden hier sind in einer anderen, einer sehr heilen Welt. Genau so hat sie mit Herbert in allen Kaschemmen dieser Welt gelegen. Überall, wo sie ankamen, gingen sie erst einmal ins Bett. Um miteinander zu schlafen und dann nah aneinander wegzusacken.
Die Frau schließt ihre Augen wieder und schmiegt sich an den Mann, dessen Kinn zur Tür weist. Er murmelt nur: »Du bist falsch.«
Sie steht vor dem Bett, die Hand an den Mund gepresst. Sie dreht sich um. Es ist stickig. Die Fenster sind geschlossen, an der Wand ist das Waschbecken, darauf steht der Becher, den sie gefüllt hatte.
Ihre Stimme zittert. »Wo sind meine Kinder? Die waren hier. Wo sind sie jetzt?«
Hier hat sie mit ihnen gelegen. Das ist der Geruch der ausgekochten zitronengelben Bettwäsche. Sie haben noch geschlafen.
Sie schreit.
An der Theke steht sie vor der Frau mit den stoppeligen Haaren.
»Ihre Kinder sind direkt nach dem Frühstück gegangen. Ich hab denen natürlich gesagt, das geht auf gar keinen Fall. Ist ja gefährlich mit dem Verkehr, und die Straßenbahnen, was. Aber Ihr Töchterlein hat gesagt: Nee, das machen wir immer so, wir gehen allein zur Kita, der Kleine und ich, wenn die Mami nicht kann, wir sind auch schon drei und fünf, zu zweit also acht. Na, dann sind sie eben losgewackelt. Und das hier haben sie Ihnen gemalt, soll ich Ihnen geben.«
Sie schiebt ihr ein Blatt rüber, darauf sind drei unterschiedlich große Gestalten, die fast gleich aussehen, außer der kleinsten, die hat kürzere Haare als die anderen beiden. Sie halten sich an den Händen, alle Arme sind unterschiedlich lang, immer gerade so, wie es nötig ist. Die drei lächeln glücklich, die Blumen sprießen von ihren Füßen baumhoch um sie herum, über ihnen schweben Vögel in ewiger Sonne.
»Das sind ganz besondere Kinder, na, das wissen Sie ja, was. Die haben hier schon klar gesagt, was sie zum Frühstück wollen. ’ne Schrippe mit Butter und Marmelade drauf, hat die kleine Prinzessin gesagt. Aber nur, wenn Sie Himbeermarmelade haben, ansonsten die Schrippe auf jeden Fall nur mit Butter! Der Kleine hat gesagt: Keine Sorge, die ist eben süchtig. Ich hab das nicht verstanden, ging nicht rein in meine Birne. Frag ich ihn: Was sagst du da? Meint er: Na, meine Schwester ist eben süchtig. Die vergisst alles andere, wenn sie nur HIMBEERMARMELADE kriegen kann! Da hab ich echt geglotzt. Sitzt da so’n Dreikäsehoch und erzählt mir was von ’ner Sucht. Und dann sagt er, er will noch Servietten, also geh ich los und bring ihnen Servietten, so rote Servietten, und da sagt der kleine Mann ganz freundlich, aber eben auch sehr bestimmt: Nee, brauch Blau. Nicht Rot. Brauch Blau! Hat er gleich ’n paarmal hintereinander gesagt, nee, befohlen hat er das, ganz streng: Brauch Blau, du Haubitze. Und als ich dann, den Mund nicht mehr zugekriegt, was, ’ne blaue Serviette gefunden hab und ihm gebracht, da hat er gelächelt und gesagt: Das ist gut. Da haben wir alle gelacht hier. Na, die gehen ihren Weg. Mutti, das sag ich dir, das haste gut gemacht.«
Sie hält sich am Tresen fest. Wischt sich die Tränen mit beiden Händen aus dem Gesicht. Die dunkelblaue Serviette in ihrer Hand ist matschig. Himbeermarmelade? Brauch Blau, du Haubitze? Das sind ihre Kinder. Sie kann ihre Stimmen hören. Mama, ich brauch Blau, hat ihr Sohn gemurmelt, auf ihrem Arm, dicht an sie gekuschelt. Nachdem sie zu Larry gesagt hatte, sie müsse am Abend endlich mal wieder raus, sie brauche sofort Drinks, Erwachsene und Gehüpfe von Restaurant zu Bar, mit großen Schritten und leichtfertigen Diskussionen, wo man zwischen den anderen allein ist, kurz frei ist vom Aufpassen, dem Dienen für die Kinder, nein, frei auch von allen Einengungen, die einem die eigenen Gefühle machen, verstehst du, ich brauch Blau, hatte sie gesagt.
Ihre Kinder merken sich jedes Wort.
Sie ist aufgestanden, als sie schliefen. Die Kinder sind im Hotel Hedwig in Sicherheit, hat sie gedacht. Deshalb überhaupt waren sie im Hotel Hedwig, um sich in Sicherheit zu bringen. Und dann wollte sie nur ganz kurz in die Bar. Herbert hat noch an ihr geklebt, sie wollte ihn abschütteln. Er war am Mittag da gewesen. Ihn aus sich heraustrinken. Sie hatte nicht neben den Kindern im Bett liegen bleiben können. Einmal durch die Straße rennen und einen Wodka. Und dann zu den Kindern zurück.
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