Sprachgewalt. Группа авторов
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Название: Sprachgewalt

Автор: Группа авторов

Издательство: Автор

Жанр: Социальная психология

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isbn: 9783801270308

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СКАЧАТЬ aber kein politisch verfasstes Gemeinwesen besitzen. Dass das den angeblichen Barbaren möglicherweise unrecht tat, steht auf einem anderen Blatt. Hier geht es darum, dass in der Bezeichnung Patriot ursprünglich eine pejorative Bedeutung mitschwang: NUR eine Herkunft und Heimat haben, nicht aber Teil eines politischen Gemeinwesens zu sein.2 Denn ohne Rechte und Pflichten, ohne politische Teilhabe und soziale Sicherheit kann es ja jederzeit geschehen, dass man aus der Heimat vertrieben wird; für Diogenes Grund genug, gleich ganz ohne herkunftsmäßige Zugehörigkeit auszukommen und sich als Kosmopolit zu verstehen.

      In der Römischen Republik war ein Patriot zwar immer noch nicht mehr als ein Landsmann, aber die Patria wurde nun durchweg positiv konnotiert und der Konflikt zwischen beiden Bedeutungen in dieser positiven Bezugnahme quasi aufgehoben: Cicero unterschied zwar die »patria civitatis«, also das staatsbürgerliche Vaterland, und die »patria naturae«, das irgendwie naturgegebene, nur durch Herkunft definierte Vaterland, beides fällt für ihn aber noch in der Römischen Republik zusammen, gegen deren Niedergang er ankämpfte. Im Zuge der Zerstörung der Römischen Republik jedoch verstand Cicero, der selbst ausgiebig Erfahrungen mit Exil gemacht hatte, schließlich den von den Griechen überlieferten Sinnspruch »ubi bene, ibi patria« – wo es gut ist, dort ist Vaterland – anders als noch Aristophanes gut 300 Jahre vor ihm, nicht mehr als unpolitischen Opportunismus, sondern als Aufforderung, sich dort zu Hause zu fühlen, wo man glückselig und tugendhaft sein kann, auch wenn man keine Res Publica mehr hat.3 Für einen politischen, freiheits- und gerechtigkeitsliebenden Menschen ist die Patria ohne Res Publica eigentlich nichts; wenn ihm die Res Publica aber genommen wird, entkommt er der Frage der Patria nicht mehr. Cicero hat diese Frage dadurch beantwortet, dass er die Heimat vom Herkunftsland löste und nötigenfalls auch im Exil finden konnte.

      Um das – die gedankliche Möglichkeit der Heimat im Exil – zu verhindern, wurde im augusteischen Rom, nach der auch formalen Abschaffung der Republik, die »amor patrii« als Liebe zum Vaterland Teil eines ideologischen Programms, das die Patria ein für alle Mal auf Rom festlegte und die altrömischen, mit der Republik in Verbindung gebrachten Tugenden für die imperiale Herrschaft instrumentalisierte: »dulce et decorum est pro patria mori« – süß und schicklich sei es, so der sich hier dem Kaiser andienende Dichter Horaz, fürs Vaterland zu sterben, auch ohne politische Teilhabe und auch ohne Glückseligkeit. Die verlotterte Jugend müsse hart gemacht werden, wie es die altrömischen Vorväter angeblich gewesen seien; die Männer hätten wieder so zu kämpfen, dass die von der feindlichen Burg herabsehenden Ehefrauen und Bräute ins Seufzen geraten würden.4

      Auch in der Republik, auch in ihren besten Zeiten, war die Patria untrennbar verknüpft mit dem Patriarchat, der Herrschaft des Vaters über den Hausstand. Nur diese Väter hatten ja politische Teilhabe, und damit einher ging die Gewalt über Leben und Tod ihrer Familien – über die Frau, die Kinder und Kindeskinder, die Sklaven und die Freigelassenen. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben sieht in dem absoluten Tötungsrecht des Vaters über seine Söhne eine historische Grundlage der souveränen Macht, der Macht des Staates über die Bürger im Ausnahmezustand.5 Die unterworfenen Söhne konnten eines Tages an die Stelle ihrer Väter rücken, die Töchter nicht, ihr Leben war und blieb immer absolut tötbares Leben. Trotzdem waren sie auf den Staat bezogen. Die römischen Matronen feierten, in den Häusern von Vätern, aber unter ihrem Ausschluss, das Fest der »Bona Dea«, und diese Göttin wurde nicht nur mit der Fruchtbarkeit und Keuschheit der römischen Frauen, sondern auch mit dem Schutz des römischen Staates und des römischen Volkes assoziiert. Das Adjektiv »bonus«« hatte auch die Bedeutung »patriotisch«, »der herrschenden Staatsform zugetan«, »loyal«.6 Auch die Unfreien sollen durch Loyalität und Liebe zum Land und zum Staat gebunden sein. Und tatsächlich war es wohl für die Unfreien attraktiver, sich für das Vaterland aufzuopfern, als einfach nur so getötet zu werden. Die »amor patrii« bestrickt die Unterworfenen, die die Patria bevölkern und den Vätern gehorchen müssen, und lässt sie die Herrschaftsform, die sie knebelt, akzeptieren. Polemisch könnte man zusammenfassen, dass die Patria in der Antike immer nur das war, was übrig blieb, wenn die öffentlichen Belange nicht zugänglich oder zerstört worden waren und wenn man keine politischen Rechte hatte; das, was übrig blieb, um mit Unfreiheit zurechtzukommen.

      Überspringen wir die Begriffsgeschichte des Patriotismus, der als eigenes Wort für die Vaterlandsliebe erst in der europäischen Aufklärung auftauchte. Überspringen wir die Französische Revolution und Napoleon, überspringen wir Rousseau, Kant und Herder, überspringen wir, wie in den Jahrzehnten um 1800 herum im ständigen Rückbezug auf die griechisch-römischen Ursprünge der Patriotismus sowohl als republikanische Tugend und als auch als Liebe und Loyalität zu einem naturwüchsig gedachten Vaterland eine immer größere normative Bedeutung erhielt. Und überspringen wir auch, wie im 19. und 20. Jahrhundert der Patriotismus von seinen Ambivalenzen wie seinen republikanischen Bindungen gereinigt immer nationalistischer wurde, wie er Sozialisten den Verrat am Internationalismus und schließlich, unter der Parole »right or wrong, my country«, nicht nationalistischen, liberalen Demokraten Arrangements mit dem Faschismus und Nationalsozialismus ermöglichte.

      Unter der nationalsozialistischen Herrschaft entfaltete er neue Ambivalenzen, weil er nun verwendet werden konnte, um in Sachen Vaterlandsliebe den Nazis Konkurrenz zu machen, und um sie und ihren Volksgemeinschaftsanspruch zurückzuweisen. Wieder war der Patriotismus, von ganz links bis ganz rechts, eine ideologische Klammer, um mit den Folgen des zerstörten öffentlichen Raums und der zerstörten Freiheit umzugehen. Selbst die Entziehung der deutschen Staatsbürgerschaft konnte dem elitären Patriotismus des Schriftstellers Rudolf Borchardt nichts anhaben, der dafür seine jüdische Herkunft verleugnete und notorisches Lügen und Fälschen betrieb. Es scheint überhaupt ein innerer Zusammenhang zwischen einem Komme-was-wolle-Patriotismus und der Bereitschaft zum Lügen zu bestehen.7 Kurt Tucholsky jedenfalls und seine Freunde wussten bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme, dass in einem Deutschland, das den Herausgeber der »Weltbühne« Carl von Ossietzky als Landesverräter ins Gefängnis schickte, jeder Patriotismus, auch der republikanische, sinnlos war. Die Freiheit war verloren, so Ossietzky: »Anderthalb Jahre Freiheitsstrafe? Es ist nicht so schlimm, denn es ist mit der Freiheit in Deutschland nicht weit her. Mählich verblassen die Unterschiede zwischen Eingesperrten und Nichteingesperrten«.8 Während Tucholsky, Walter Hasenclever und andere sich schon damals als exiliert empfanden und aus Deutschland herauszukommen suchten. »Tucho und ich sehen düster mit unserem Vaterlande. Die Partie ist verloren. Uns droht Verbannung, Verbot, Ächtung – Auf nach Frankreich! Zusammenschluss der Heimatlosen!!«, schrieb Hasenclever am 1. Dezember 1931 an Kurt Wolff.9

      Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg, dem Verlust der deutschen Ostgebiete und der deutschen Teilung schließlich machte Dolf Sternberger 1959, nach gut zehn Jahren der Geltung des bundesrepublikanischen Grundgesetzes, das deutsche »Vaterland« in enger Bindung an die »›Republik‹, die wir uns schaffen«, und »die Freiheit, deren wir uns nur wahrhaft erfreuen, wenn wir sie selber fördern, nutzen und bewachen«, wieder zu einem Wert.10 In den 1970er-Jahren formulierte er diesen Wert aus und entwickelte ihn zum sogenannten Verfassungspatriotismus, ohne den Patriotismusbegriff selbst zu reflektieren.11 So stand er als ein republikanischer Patriotismus bereit, als ab Mitte der 1980er-Jahre der Historikerstreit, die deutsche Wiedervereinigung, die Fortschritte bei der europäischen Integration und die zunehmenden Einwanderungsbewegungen nach Deutschland eine neue Debatte über nationale Identität entfachten. Theoretisch untermauert wurde er, wiederum ohne dass der Patriotismusbegriff selbst reflektiert worden wäre, von Jürgen Habermas, als eine Art normatives Scharnier, um zwischen der partikularen, nationalgeschichtlich geprägten Kultur und den universellen Werten der Verfassung zu vermitteln.12 Anstatt in der liberalen Tradition, mit ihrem individualistisch-instrumentalistischen Verständnis von Staatsbürgerschaft, nur »einen formalen Konsens« auszudrücken, brauche die Verfassung die freiwilligen »kooperativen Anstrengungen einer staatsbürgerlichen Praxis«, und diese ließen sich über den Verfassungspatriotismus, als einem »neuen politischen Selbstbewußtsein«, erzeugen, vor allem im Hinblick auf ein geeintes Europa.13 Vor gut zehn Jahren, und das ist wohl der letzte Stand, hat Jan-Werner Müller das Konzept noch einmal präzisiert – СКАЧАТЬ