Das Übernatürliche. Gregor Bauer
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Название: Das Übernatürliche

Автор: Gregor Bauer

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783906212838

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СКАЧАТЬ erschaffen haben?

      Darwin kannte noch viele andere Beispiele für die Grausamkeit der Natur. Auch Schicksalsschläge hatten an der Erschütterung seines Glaubens Anteil, besonders der Tod seiner zehnjährigen Lieblingstocher Annie (1851). Ein entschiedener Atheist war Darwin dennoch nicht. In seinen späten Jahren hat er sich als Agnostiker bezeichnet.

      Zugegeben also: Es gibt in den Naturwissenschaften eine historische Entwicklung weg vom Glauben. Aber diese Entwicklung ergriff längst nicht alle Naturwissenschaftler. Gegen diesen Trend stellte sich beispielsweise der Naturforscher, der beinahe zeitgleich mit Darwin eine ganz ähnliche Theorie der Evolution durch natürliche Selektion entwickelt hatte: Alfred Russel Wallace (1823–1913).

      Wallace hatte auf seinen Forschungsreisen südostasiatische Stammesgesellschaften kennen gelernt. Dabei fiel ihm auf, dass die Menschen in seiner Heimat England roher und weniger mitfühlend waren. Ob es daran lag, dass die neue, naturwissenschaftliche Weltsicht den Menschen mit ihrer Religion auch ihren moralischen Halt genommen hatte? War der Naturalismus also ungenügend?

      Diese Sorge trieb Wallace um, als er 1865 zum ersten Mal an einer spiritistischen Sitzung teilnahm. Sehr zum Ärger Darwins entwickelte er die Überzeugung, dass die menschliche Seele nicht naturalistisch zu erklären sei, sondern einen übernatürlichen Ursprung habe, und vermutete hinter dem Universum einen göttlichen Plan.

      An eine unsterbliche Seele glaubte also immerhin einer der beiden „Väter der Evolutionstheorie“. Und er war nicht der einzige, der damals schon die Evolutionstheorie mit der Religion für vereinbar hielt: Von Anfang an zählten zu Darwins Unterstützern auch etliche hochrangige Kleriker der anglikanischen Kirche.

      Auch nach Wallace hatten keineswegs alle Vordenker der Naturwissenschaften ein naturalistisches Weltbild. Albert Einstein (1879–1955), der mit seiner Relativitätstheorie die Newtonsche Physik ablöste, glaubte zwar nicht an einen persönlichen Gott. Aber er hat offenbar doch eine höhere Intelligenz als Ursache des Universums angenommen. Und von den Pionieren der Quantentheorie glaubten etliche, dass das Bewusstsein der Materie vorausgehe.

      Was einige der größten Physiker des 20. Jahrhunderts über Naturwissenschaft und Religion gedacht haben, lässt sich in dem Sammelband „Physik und Transzendenz“ von 1986 nachlesen. Herausgeber ist Hans-Peter Dürr (1929–2014), zeitweise der engste Mitarbeiter der Physiker-Legende Werner Heisenberg. Hier beispielhaft einige Stimmen:

      •Max Planck (1858–1947), mit seinem „Planck‘schen Wirkungsquantum“ der Begründer der Quantenphysik, empört sich, dass „die Gottlosenbewegung […] sich mit Eifer die fortschreitende naturwissenschaftliche Erkenntnis zunutze macht und im angeblichen Bunde mit ihr in immer schnellerem Tempo ihre zersetzende Wirkung auf die Völker der Erde in allen ihren Schichten vorantreibt“ (Seite 23).

      •James Jeans (1877–1946), für seine Beiträge zur Kosmogonie ausgezeichnet mit der Goldmedaille der Royal Astronomical Society of London, deutet den Stand der Wissenschaft im Jahr 1931 so: „Der Geist erscheint im Reich der Materie nicht mehr als ein zufälliger Eindringling; wir beginnen zu ahnen, dass wir ihn eher als den Schöpfer und Beherrscher des Reiches der Materie begrüßen sollten […]“ (Seite 64).

      •Arthur Eddington (1882–1944), mehrfach von renommierten astronomischen Gesellschaften mit Preisen ausgezeichneter Astrophysiker, mahnt zur Bescheidenheit: Was die Physik zu bieten hat, ist „nicht die Realität selbst, sondern nur ihr Skelett“ (Seite 99). Würde ein Engel „die Erde mit Einsteins Augen sehen“, so würde er „das Wesentliche übersehen“ (Seite 127).

      •Pascual Jordan (1902–1980), als theoretischer Physiker maßgeblich an der Entwicklung und mathematischen Formulierung der Quantenmechanik beteiligt, hebt hervor, dass „die Vorstellung, dass die Entzauberung der Welt durch die Naturwissenschaft ein unvermeidliches Ergebnis naturwissenschaftlicher Forschung sei, auf zeitgebundenem Irrtum beruht“. Die „materialistische Naturphilosophie“ sei heute „nicht mehr, wie ihre Anhänger gern in Anspruch nehmen, im Einklang mit naturwissenschaftlicher Erkenntnis“ (Seite 227).

      Bis heute ist es keineswegs so, dass alle Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler naturalistisch dächten. Der Philosoph Thomas Nagel (*1937), ein atheistischer Kritiker des Neo-Darwinismus, bestreitet, dass heute unter Forscherinnen und Forschern der Naturalismus die vorherrschende Geisteshaltung sei. Nach allem, was er wisse, verträten sie dazu meist keine bestimmte Meinung (Nagel 2016, S. 12f). Nur unter denjenigen Naturwissenschaftlern, die sich überhaupt dazu äußerten, gelte der „reduktive Materialismus“ im Allgemeinen als „die einzige ernsthafte Möglichkeit“, so Nagel weiter. Aber auch unter ihnen findet man Offenheit für religiöse und spirituelle Auffassungen. Das gilt insbesonders zu Themen der Kosmologie und Quantenphysik, weniger für Evolutionsbiologie und Hirnforschung.

      So weit Skizze 2. Vernachlässigen wir nun die Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler, die der Religion neutral oder positiv gegenberstehen, und halten wir uns an die tonangebenden, die den naturalistischen Standpunkt vertreten. Nach ihnen sind Religionen überholte Systeme aus einer Zeit, in der die Menschen noch keine rationalen Erklärungen für die Rätsel der Welt hatten. Unsere Vorfahren haben sich fromme Geschichten ausgedacht, weil sie es nicht besser wussten. Heute sind wir weiter und müssen deshalb die Religionen hinter uns lassen. Was ergibt sich aus einer solchen Auffassung?

       Was kommt nach der Religion?

      Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon (*1967) ist Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, benannt nach einem italienischen Astronomen, der 1600 von der römischen Inquisition verbrannt wurde. Im Auftrag dieser humanistischen Stiftung verfasste Schmidt-Salomon 2005 ein Dokument, das in Deutschland zu einem der am meisten diskutierten Positionspapiere des Naturalismus wurde: das „Manifest des evolutionären Humanismus“.

      Schmidt-Salomon formuliert in diesem Manifest Ziele, für die sich einzusetzen lohnt. Das Leben bietet so viel Schönes: das Strahlen eines Kindes, der Duft von frischem Brot, die Nähe eines geliebten Menschen. Wir sollten lernen, all das zu genießen, statt uns von unerfüllbaren Idealen den Kopf verdrehen zu lassen. Vergeuden wir nicht unsere Zeit mit dem vergeblichen Versuch, ein göttliches Wesen zufrieden zu stellen, das es nicht gibt, damit es uns in ein Jenseits einlässt, das nicht existiert. Genießen wir stattdessen das wirkliche Leben in seiner Endlichkeit.

      Man mag diese Genussorientierung eigennützig nennen. Aber eigennützig sind wir alle, auch die Streber nach einem Logenplatz im Jenseits. Doch Eigennutz schließt Gemeinsinn und Mitgefühl nicht aus. Wir können unser Leben der Emanzipation widmen, der eigenen und der unserer Mitmenschen. Dann befreien wir uns von der Fixiertheit auf uns selbst und erleben Sinn. Aufzugehen in etwas, das größer ist als wir selbst, ist also kein Privileg der Religiösen. Zwar ist da kein Gott, der unserem Leben Sinn geben könnte, und auch keine mystifizierte Natur. Das bedeutet aber nicht, dass unser Leben sinnlos ist. Im Gegenteil: Ohne einen Gott sind wir frei, uns den Sinn unseres Lebens selbst zu stiften.

      Allerdings lehren uns die Naturwissenschaften auch: Wir Menschen stehen nicht im Mittelpunkt eines geordneten Kosmos. Wir sind nur eine flüchtige Randerscheinung, verloren in den riesigen Weiten eines erkaltenden Universums ohne Sinn. Unsere Geschichte ist keine Heilsgeschichte. Aufgetaucht vor einem Sekundenschlag auf der planetaren Uhr, werden wir aussterben wie andere Tiere. Wir sind nicht die erhabene Krone der Schöpfung, sondern eine Variante der Trockennasenprimaten, eine absichtslose Folge evolutionärer Prozesse. Der Irrtum ist uns in die Wiege gelegt. Denn unser Gehirn und unsere Sinne sind nicht darauf ausgerichtet, die Wahrheit zu erkennen, sondern zu überleben und unsere Gene weiterzugeben. Eine Seele haben wir nicht. Ja, wir haben nicht einmal ein Ich. Was uns so erscheint, СКАЧАТЬ