Название: Todesluft
Автор: Thomas L. Viernau
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783967525144
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Spruch auf einem Liebensteiner Notgeldschein von 1921
I
Bad Liebenstein
Sonntag, 6. Mai 2007
Die Wochenenden waren frei. Linthdorf war ganz überrascht, plötzlich so viel Freizeit zu haben. Der Kurbetrieb hatte ihn die ersten Tage ziemlich ausgefüllt. Er hatte zu tun, die jeweiligen Örtlichkeiten zu finden, zwischendurch sich immer wieder rechtzeitig im großen Speisesaal zu den Mahlzeiten einzufinden und abends den zahlreichen Veranstaltungen im Foyer zu entgehen.
Es war alles ein bisschen zu viel des Guten. Linthdorf war so viel Regelmäßigkeit nicht gewöhnt.
Gestern hatte er eine erste Erkundungstour durch das Städtchen gemacht. Eigentlich wollte er ja zu der alten Burgruine hinauf. Aber davon rieten ihm die Kurärzte noch ab. Später, wenn er wieder fit genug sei, könne er gern den Liebenstein erobern, aber im Augenblick wären ein paar geruhsame Spaziergänge im Kurpark doch wohl förderlicher.
Linthdorf spürte auch bald, dass sie recht hatten. Mit seiner Kondition war es nicht zum Besten bestellt, der Kreislauf war anfällig. Nach einer Viertelstunde unstetem Herumtapsens merkte er, dass er weiche Knie bekam und Schweißperlen im Gesicht kleine Bäche bildeten.
Erschöpft suchte er ein kleines Café auf. Reger Betrieb herrschte hier. Die kleinen runden Tische waren fast alle besetzt. Nur ein einziger Stuhl an dem kleinen Ecktisch neben dem Tresen war noch frei. Mühsam schleppte sich der Riese dahin.
Am Tisch saß bereits jemand. Vor sich ein Kännchen Kaffee und einen kleinen Kuchenteller. Ein Mann undefinierbaren Alters, wettergegerbt, durchtrainiert, eher einem gerade in die Zivilisation entlassenen Indianerkrieger denn einem friedfertigen Thüringer ähnlich, verbarg sich hinter einer Zeitung.
Linthdorfs vorsichtige Frage, ob der Platz noch frei sei, wurde mit einem unwilligen Knurren beantwortet. Etwas ratlos, ob das Knurren nun eine Zustimmung oder doch eher ablehnenden Charakter habe, verharrte er für ein paar Sekunden vor dem Tischchen.
Wahrscheinlich hatte er dem Indianer das Licht genommen. Langsam senkte sich die Zeitung und ein dunkler Bass ertönte.
»Setzen Sie sich doch! Ich beiße nicht.«
Wortlos ließ sich Linthdorf auf dem freien Platz nieder. Eine junge Kellnerin kam auf ihn zugeeilt.
»Sie haben schon etwas ausgesucht? Unserr Kuchenangebot ist vorrn am Buffet ausgestellt. Heute haben wirr wiederr unserren Mohnkuchen im Angebot«, dabei strahlte sie Linthdorf an, als ob sie ihm ein Staatsgeheimnis anvertraut hätte.
Irritiert lauschte Linthdorf dem Klang der Sprache. Seltsamer Dialekt war das hier. Der Buchstabe R wurde auf der Zungenspitze gerollt, so dass fast jedes Wort mit R wie eine heilige Vokabel klang.
»Möchten Sie auch ein Heißgetrränk? Vielleicht ein Kaffee? Kännchen? Grroße Tasse? Oderr einen Geschäumten?«
Automatisch nickte Linthdorf. Ja, ja, sie solle einfach diesen Mohnkuchen und dazu ein Kännchen …
Sein Gegenüber lupfte die Zeitung, setzte ein diabolisches Grinsen auf und schnarrte im selben Singsang wie die Kellnerin: »Au, derr Mohnkuchen ist genial.«
Linthdorf nickte.
»Sie sind wohl neu hierr?«
»Auf Kur.«
»Au, was Schlimmes?«
»Nein, nein, alles wieder im Lot. Das Herz …«
»Ja, da sind die Leute drrauf spezialisiert, gerrade mit dem Herrz …, da ist nicht mit zu spaßen. Aberr unserre gute Luft, die macht Tote wiederr lebendig. Gell?«
Linthdorf schaute dem Indianer unvermittelt ins Gesicht.
»Was heißt denn Gell?«
Wieder erschien das diabolische Grinsen im Gesicht des Indianers. »Au, das heißt eigentlich goarr nix. Das hängen wir zur Bekrräftigung einfach hintenan.«
»Ach so«, Linthdorf war froh, dass sein Gegenüber die eigenartige Frage nicht als Beleidigung empfand. Indianer, selbst zivilisierte, kennen eigentlich keinen Humor.
»Hab ich grrade selberr gegessen. Schmeckt echt irre. Kuchen backen können die hier.«
Linthdorf sah interessiert auf die Zeitung des Indianers. Es war eine Thüringer Lokalzeitung: »Rennsteig-Nachrichten – Unabhängige Zeitung für Südthüringen«.
In dicken Blockbuchstaben war auf der Titelseite zu lesen: »Einbruchserie – Wieder entkamen die Täter ungeschoren!«
»Die Idylle trügt. Ist wohl doch nicht alles so friedfertig hier«, Linthdorf versuchte vorsichtig ein Gespräch jenseits des Mohnkuchens aufzubauen.
Der Indianer sprang an.
»Jooaah, das geht schon die ganzen Monate. Seit letztem Herrrbst! Angefangen hat es mit dem spektakulären Einbrruch im Weimarrerr Rrresidenzschloss. Prrrofis! Eindeutig Prrrofis!«
»Sie kennen sich aus?«
Der Indianer grinste wieder.
»Kann man so sagen. Ich habe den Arrtikel ja geschrrieben.«
»Oh, Sie sind Journalist?«
»Jooaah, bin ich. Tom Hainkel, Mein Kürrzel ist Hai, falls Sie mal in den »Rennsteig-Nachrichten« blättern sollten.«
»Angenehm, Linthdorf, Theo Linthdorf. Berlin.«
»Oooh, ein Berrlinerr! Hoab da studiert, in den Achtzigerrn.«
»Ach so.«
»Allerrdings koine Journalistik, nee, oigentlich Ökonomie.«
»Ach so, und wieso sind Sie bei der Zeitung gelandet?«
»Blonker Zufall, nach derr Wende woar oalles in Auflösung, unsere Wirrtschaft zuallererrst. Joaah, und doa hoab ich die Chance errgrriffen bei einerr Zeitungsneugrründung mitzumachen. Zuerrst hoab ich den Wirrtschaftsteil gemacht, dann woar das aberr zu langweilig. Ich muß raus, was vorr Ort errleben, brrauche Luft und Naturr. Bin dann umgesattelt in den Lokalteil. Viel interressanterr! Kommst mit Leuten z‘sammen. Bist viel unterrwegs. Ganz mein Ding.«
Linthdorf sah sich Hainkel etwas skeptisch an.
»Für einen Journalisten sind Sie aber ganz schön durchtrainiert. So sehen bei uns die Jungs von den Spezialtruppen aus.«
Hainkel entblößte zwei Reihen unnatürlich weißer Zähne, exakt ausgerichtet, keine Unregelmäßigkeit aufweisend.
»In meinerr Frreizeit mache ich ein bisschen Sporrt. Trriathlon.«
Linthdorf war beeindruckt. Triathlon hatte für ihn etwas Masochistisches. Rennen, Radfahren und Schwimmen – СКАЧАТЬ