Название: Todesluft
Автор: Thomas L. Viernau
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783967525144
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Nein, ach wie schade. Naja, sie habe auf alle Fälle ein paar bunte Prospekte mitgebracht, da könne er sich schon einmal vertraut machen. Also, das wäre mehr ein Urlaub denn eine Kur!
Mein Gott, was für ein Glück, denn Bad Liebenstein liege im grünen Herzen Deutschlands, im wunderschönen Thüringen …
Linthdorf verband mit dem Bundesland Thüringen nicht viel. Er wusste, dass es existierte, mehr auch nicht. Selten hatte er mit Kollegen aus Thüringen zu tun, so gut wie nie war er dort unterwegs. Einmal, erinnerte er sich, war er zu einer Fachtagung in Erfurt, der thüringischen Hauptstadt. Aber von der Stadt hatte er damals nicht viel mitbekommen. Außerdem war das schon viele Jahre her.
Noch im Krankenhaus blätterte er lustlos in den bunten Faltblättchen und Prospekten, die ihm von der mütterlichen Dame überlassen worden waren.
Fachwerkhäuser vor sattgrünen Bergen, darüber ein makellos blauer Himmel, Täler mit tiefblauen Flüssen, Eichhörnchen und Spechte, Hirsche und Rehe und riesige Barockschlösser, alte Burgen und Ruinen. Verwirrend viele Städtenamen, die ihm allesamt irgendwie bekannt vorkamen, mit denen er jedoch keine Bilder assoziieren konnte.
Weimar, Gotha, Jena, Arnstadt, Rudolstadt, Gera, Meiningen, Mühlhausen, Saalfeld, Altenburg, Nordhausen, Greiz, Schleiz, Suhl … Mein Gott, wer sollte sich da denn zurechtfinden!
Ein Prospekt warb mit der besonderen Thüringer Luft. Es war der Thüringer Heilbäderverband, der die Wirkung der Bergluft auf den Körper erforscht hatte:
»Luft, das unsichtbare Lebenselixier … Das milde Mittelgebirgsklima Thüringens zeichnet sich durch deutlich abgeschwächte Höhenreiz- und Strahlungsfaktoren aus. Das Waldklima ist therapeutisch von großer Bedeutung, da es besondere Schonfaktoren besitzt …« Linthdorf musste gähnen und legte den informativen Prospekt zur Seite.
Und wo lag nun Bad Liebenstein? Er zog eine Landkarte zu Rate. Bad Liebenstein war nicht groß, ein klassisches Kurstädtchen im westlichen Thüringer Wald, unweit der Städte Eisenach und Schmalkalden.
Er würde dort in einem der berühmten Sanatorien, die auf Herzleiden spezialisiert seien, einen Platz bekommen. Aber erst müsse er wieder auf die Beine kommen. Linthdorf verbrachte den Januar und den Februar im Krankenhaus. Mühsam erholte er sich von den Folgen des Infarkts. Mühsam waren die ersten Schritte, mühsam war sein Aufbruch ins neue Leben.
Physisch war er inzwischen wieder recht gut wiederhergestellt, sein Seelenleben jedoch … Aber das ging niemanden etwas an, damit musste er allein klarkommen. Wem auch sollte er von seinen Ängsten und Nöten berichten? Bisher war es ja immer so, dass alle anderen mit ihren Problemen zu ihm kamen.
Nun war er also angekommen. Es war genau wie in dem bunten Hochglanzprospekt. Bad Liebenstein empfing ihn mit bunten Fachwerkhäusern, saftig grünen Bäumen, Vogelgezwitscher und über allem ein makellos blauer Himmel.
Linthdorf atmete tief durch. Tatsächlich, die Luft war anders hier! Schärfer, klarer, kälter. Und auf der Zunge hatte er diesen seltsam waldartigen Geschmack, angesiedelt zwischen Fichtennadelschaumbad und feuchtem Moos.
Am Bahnhof wartete bereits ein Shuttleservice auf ihn. Ein freundlicher Mann nahm ihm seinen Koffer ab, bugsierte ihn in den Kleinbus und kutschierte ihn dann zum Sanatorium.
Linthdorf staunte nicht schlecht, das Städtchen bestand zum größten Teil aus Sanatorien, allesamt ziemlich groß und einige davon sogar schon altehrwürdig. Hier wurde schon lange gekurt.
Sein Zimmer war groß. Sogar ein Balkon gehörte dazu. Wenn er auf dem Balkon stand, konnte er auf dem gegenüber liegenden, dicht bewaldeten Bergrücken eine kastenförmige Burgruine erkennen. Das war der Liebenstein, Namensgeber für die kleine Stadt, die sich unterhalb des Berges angesiedelt hatte.
Das Aufnahmegespräch war kurz und bündig. Einen Plan hatte er auch schon bekommen, der Kurbetrieb war straff organisiert. Es gab zahlreiche Anwendungen, von Wassergymnastik angefangen über Wanderungen in die Umgebung bis hin zu gemeinsamen Abendveranstaltungen. Linthdorf kam ins Schwitzen. Eine Kur war eben kein Urlaub.
Er unterhielt sich mit ein paar anderen Kurpatienten auf dem Gang. An den wenigen freien Nachmittagen konnte man in eines der zahlreichen Cafés des Städtchens. Thüringer Kuchen sei ja wohlbekannt, und andere kulinarische Spezialitäten wären auch zu empfehlen.
Es gab sogar eine hauseigene Bibliothek. Linthdorf hatte bereits einen Stapel Bücher ausgeliehen. Nachts lag er oft schlaflos in seinem Bett, die Bilder des vergangenen Jahres holten ihn dann immer wieder zurück in einen seltsamen Dämmerzustand. Er lag mit geschlossenen Augen da, spürte die Müdigkeit, konnte aber nicht in den erholsamen Tiefschlaf fallen.
Die Bilder hielten ihn wach. Die toten Frauen in den eisigen Flüssen, die Kadaver der Kraniche, der abgetrennte Kopf des jungen Quappendorf, Stahlmanns sinnloses Opfer am Finowkanal, die arg zugerichtete Griseldis Blofeld, die wimmernd am Boden lag, der tote Felgentreu im Räucherofen und der aus den Apfelmieten herausragende Arm des toten Ziegenhals, Louise leblos im Keller in Bogensee, Louise an den Schläuchen in der Charité, der tote Brackwald im Hellsee, der unglückliche alte Quappendorf, der von der »Weißen Frau« heimgesucht wurde. Zu viel Leid, zu viel Tod.
Vielleicht war er ja wirklich nicht mehr für den Beruf geeignet. Mit Voßwinkel hatte er sich darüber unterhalten. Doch Voßwinkel schien davon nichts wissen zu wollen. Er war der Meinung, dass es einfach eine unglückliche Häufung von privatem und beruflichem Stress war, die zu seiner Auszeit geführt habe.
Jetzt war Linthdorf erst einmal weit weg von den Schauplätzen des letzten Jahres. Vor sich das Städtchen Liebenstein im besten Maiengrün, am Himmel ein paar Federwölkchen, Vogellärm und vor sich ein Getränk namens Vita-Cola. Durch Zufall hatte er die tiefschwarze Limonade entdeckt. Ein Großplakat am Bahnhof warb für das Getränk. Es sei der Geschmack Thüringens. Linthdorf kaufte sich am kleinen Kiosk am Bahnhof also eine Vita-Cola.
Wow! Kein Vergleich zu den anderen Colas. Sie schmeckte herber, zitroniger, nicht so klebrig süß. Koffein satt! So konnte man es aushalten im Kurbetrieb. Vorsichtig nippte Linthdorf an dem Glas. Dann atmete er wieder tief durch. Die klare, kühle Thüringer Luft umfing ihn.
Das verzauberte Schloss
An der Straße, welche von Coburg nach Hildburghausen führt, liegt, eine gute Stunde vor letztgenannter Stadt, das Dorf Eishausen. Links ab von der Chaussee, am fernsten Ende des ziemlich ansehnlichen Dorfes, bemerkt der Reisende ein stattliches, alle anderen Häuser des Ortes überragendes Gebäude. Und wer einmal in der Zeit von 1810 bis 1845 des Weges gekommen ist und im Dorfe sich näher erkundigt hat, der erinnert sich wohl, dass ihm die Bauern gesagt haben, jenes Haus sei das Schloss; darin wohne der » gnädige Herr« der sei sehr reich und sehr wohltätig; aber wer er selbst sei, das wisse kein Mensch, selbst der Herzog nicht.
Man wird vielleicht meinen, der Graf sei Sonderling oder Misanthrop gewesen; aber dem letzteren widersprechen diejenigen, mit denen er in nähere Berührung getreten ist, aufs Bestimmteste, und das erstere lässt sich kaum beweisen. Er soll sich nie trübsinnig oder lebensüberdrüssig gezeigt haben. Bei einer ganz objektiven Auffassungsweise zeigte er doch auch die Seite eines Gefühlsmenschen, und bei seiner heftigen Gemütsart blickte doch immer ein natürliches Wohlwollen durch. Ein köstlicher Humor war ihm eigen.