Название: Todesluft
Автор: Thomas L. Viernau
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783967525144
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Friedrich von Bülau: Die Geheimnisvollen im Schlosse zu Eishausen
Eishausen
Sonntag, 30. November 1814
Der Novembertag verdiente den Namen »Tag« eigentlich nicht. Schon am frühen Morgen verdunkelten tiefziehende schwarzgraue Wolken das Licht. Der Graf stand am Fenster, beobachtete mit besorgter Miene die Wolkenwanderungen, holte ein kleines Notizbuch hervor, in das er seine Beobachtungen sorgfältig notierte. Die wissenschaftliche Wetterbeobachtung war eine Leidenschaft des Grafen.
Es war still im Schloss, nichts deutete darauf hin, dass hier mehrere Menschen lebten. Leise entfernte sich der Graf vom Fenster, zog sich in sein Studierzimmer zurück, um dort die neu eingetroffenen Zeitungen zu studieren. Es waren diverse Blätter, die er vor sich ausgebreitet hatte. Deutschsprachige, englische, holländische, aber auch französische Titel wiesen auf eine ungewöhnliche Belesenheit des Grafen hin. Fast zwei Stunden verbrachte er mit dem Zeitungsstudium.
Sichtlich zufrieden trank er die von einem unsichtbaren Geist kredenzte Chocolate. Er liebte den exotischen Geschmack des Kakaos, wusste um die Exklusivität des tiefbraunen Pulvers, das mit frischer Milch aufgeschäumt, den Gaumen kitzelte und den Kreislauf in Schwung brachte.
Ein Blick auf die goldene Taschenuhr, eine Schweizer Meisterarbeit, genügte. Es war Zeit für die morgendliche Audienz. Der Graf stieg bedächtig die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Es war recht kühl hier oben. Ihm fröstelte. Dabei hatte er doch Anweisung an seinen Diener gegeben, die Räume gut zu heizen. Ein Blick auf die Kamine erwies sich als irritierend. In jedem Kamin loderte ein prächtiges Feuer.
Ein Windzug fegte durch die Räume. Zwei Fenster waren sperrangelweit geöffnet. Im Fensterrahmen zeichnete sich eine schlanke Frauenfigur ab. Mit ein paar Schritten war der Graf am Fenster, schloss es, lief zum zweiten offenen Fenster, schloss auch dieses.
»Ma chère, es ist für solche Zerstreuungen der falsche Zeitpunkt. Ich weiß, dass Doktor Nothnagel dir viel frische Luft verschrieben hat. Aber du übertreibst. Wir haben November, bald wird es Winter. Denk‘ an deine schwache Gesundheit.«
Die angesprochene Dame wandte sich dem Grafen zu, lächelte kurz und seufzte. Ihr Gesicht war fein gezeichnet, große blaue Augen schauten den Grafen direkt an. Die hohen Wangenknochen und die an antike Vorbilder erinnernde Nase gaben ihr ein edles Aussehen. Ihre Haut war blass, fast durchscheinend, ihre lockige Haarpracht unter einem feinen Seidenschal verborgen, den sie sich leger übergezogen hatte.
Sie antwortete auf Französisch: »Mais oui, je connais. Ma santé, chaque-foi, ma santé. C’est un drôle …«
Der Graf ließ sich nichts anmerken. Er kommunizierte auch weiter auf Deutsch mit ihr, obwohl es ihm ein Leichtes war, das Gespräch auf Französisch fortzusetzen.
»Ma chère, du weißt sicherlich, dass das Französische verräterisch ist. Ich möchte dich daran erinnern, was wir ausgemacht hatten. Die Wände haben Ohren, wir wissen nicht, wem wir trauen können und wem nicht.«
Im akzentfreien Deutsch antwortete sie ihm.
»Glaubst du wirklich, dass hier an diesem Ort Spitzel auftauchen sollten? Wir sind durch ganz Europa gereist, immer mit der Angst, verraten zu werden. Endlich haben wir einen abgeschiedenen Ort gefunden, der bisher von noch keinem Agenten ausfindig gemacht wurde. Endlich können wir durchatmen. Ich bin es leid, dauernd Versteck zu spielen. Das Schicksal kann man nicht auf Dauer überlisten.«
Der Graf nickte.
Natürlich, Eishausen war ein wirklich abgeschiedener Ort. Das kleine Schloss, eher ein etwas zu groß geratenes Gutshaus, war der ideale Rückzugsort. Außerdem hatte er die Zusicherung des Herzogs, sein Incognito zu wahren und keinerlei Fragen zu stellen, was seine Herkunft anging.
Auch die Dorfbewohner waren instruiert. Sein getreuer Diener hatte dafür gesorgt, dass die Dorfleute einen großen Bogen um das Schloss machten. Mit kleinen Geldspenden versicherte der Graf sich der Loyalität der Dörfler. Eigentlich war alles perfekt geregelt. Dennoch, ein Argwohn blieb.
Zu oft hatten sie schon ihre Bleibe wechseln müssen. Immer tauchten seltsame und sich verdächtig benehmende Männer auf, die ein zu großes Interesse an seiner Person zeigten.
Im württembergischen Ingelfingen waren sie viel zu nah an der französischen Grenze. Immer wieder tauchten in der Apotheke, in der sie Unterkunft bezogen hatten, französische Offiziere auf, die sich harmlos nach den Gästen des Apothekers erkundigten.
Auch in Gotha und Weimar tauchten sie auf. Erst im kleinen Hildburghausen schien er sicher zu sein. Wahrscheinlich rechneten seine Verfolger nicht damit, dass er sich in einen solch kleinen Zwergstaat zurückzog. Das Herzogtum Hildburghausen war auf der Landkarte nur ein winziger Fleck.
Es war jetzt knapp sieben Jahre her, dass sie ihren Fuß auf Hildburghäuser Boden setzten. Vorausgegangen war eine Irrfahrt durch diverse Thüringer Herzogtümer. Er hatte stets das Gefühl, dass die Herzöge einen solch brisanten Gast ungern bei sich aufnehmen wollten, hatte in Gotha bei Hofe vorgesprochen und auch in Weimar, jedes Mal wurde ihm bedeutet, dass es unmöglich wäre, ihm sein Incognito zu belassen.
Die Kabinettsmitglieder waren sich einig, schließlich wollte man es sich ja nicht mit Napoleon verderben. Die Thüringer Kleinstaaten waren allesamt mehr oder weniger freiwillig dem von Napoleon gegründeten Rheinbund beigetreten.
Seine letzte Hoffnung war der Meininger Hof, speziell die Herzogin Luise-Eleonore, deren Großmut allgemein bekannt war. Über einen guten Bekannten, den Freiherrn von Könitz, versuchte der Graf von der Herzogin eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Doch auch sie lehnte leider sein Ansinnen ab.
Die Verzweiflung war groß. Wohin konnte er sich noch wenden? Konnte er seiner Begleiterin weitere Strapazen zumuten? Was, wenn bereits napoleonische Geheimagenten ihm auf den Fersen waren?
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion verschwand das Paar aus dem Herzogtum Meiningen ins benachbarte Herzogtum Hildburghausen. Ohne behelligt zu werden erreichte die Kutsche die Residenzstadt.
Das Paar quartierte sich vorerst im »Englischen Hof« ein, dem besten Haus des kleinen Herzogtums. Vollkommen erschöpft verbachten sie die ersten Wochen in völliger Zurückgezogenheit. Nur selten spazierten sie für kurze Zeit über den Markt, immer auf der Hut vor aufdringlichen Agenten.
Auch Herzog Friedrich von Sachsen-Hildburghausen war vor einem halben Jahr als letzter der Thüringer Herrscher dem Rheinbund beigetreten und hatte so die eigentliche Souveränität seines Landes an die Franzosen abgegeben.
Aber Friedrichs Gattin, Herzogin Charlotte, war eine Schwester der preußischen Königin Luise. Preußen war seit der Niederlage von Jena und Auerstedt keine wirkliche Schutzmacht mehr, aber der Herzog versicherte sich mittels seiner Gattin des Wohlwollens des preußischen Hofes und gewährte in einem Akt ungewöhnlicher Courage dem geheimnisvollen Paar in seinem Land ein unbefristetes Aufenthaltsrecht.
Nach einem halben Jahr СКАЧАТЬ