Название: Krähwinkeltod
Автор: Thomas L. Viernau
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783967525151
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Irene Flumming war das egal. Die paar Äpfel, die sie aß, waren ausreichend genug am Baum. Früher, als ihr Mann noch lebte, hatte er sich um die Bäume gekümmert. Jetzt bevölkerten Elstern, Raben und andere Federtiere die Bäume und stritten sich um die wenigen Früchte. Um die Früchte war es Irene nicht schade, aber der dauernde Lärm der unliebsamen Besucher hatte schon etwas Nerviges. Sie war sich sicher, dass sie die aufdringlichen Vögel ihrem verstorbenen Mann zu verdanken hatte. Er hatte die Vögel immer gefüttert.
Hubi, eigentlich Hubert, war nun schon zwei Jahre tot, eigentlich waren es bald drei Jahre …
Hubert hatte sich um alles gekümmert, was draußen auf dem Hof und im Garten gemacht werden musste. Er war ein stiller Mensch, saß ansonsten meist in seinem Sessel und las Zeitung. Eines schönen Tages im Winter saß er auch in seinem Sessel, sagte kein Wort und schien zu schlafen. Irene war schon etwas ärgerlich, dass er nicht reagierte, als sie ihn rief. Sie tippte ihn an, spürte just in dem Moment, dass etwas nicht stimmte. Hubi kippte langsam zur Seite weg. Er war einfach gestorben ohne etwas zu sagen.
Etwas ratlos rief sie ihre Schwester an, die auch gleich mit ihrem Elektroroller kam. Sie schaute auf Hubert, der seltsam verrenkt in dem Sessel lag. Ob man die Eins-Eins-Zwei anrufen solle?
Oder gleich den Leichenwagen? Na, irgendein Arzt müsse wohl vorbeikommen, der sollte den Totenschein ausstellen. Das war alles, was Gisela einfiel.
Eine Woche später war Hubert auf dem nahegelegenen Waldfriedhof begraben. Gerade mal Neunundsechzig Jahre alt geworden. Hatte keine Laster, rauchte nicht, trank nicht, trieb sich nicht herum, hatte sein stilles, friedliches Leben gelebt.
Etwas ratlos blieb Irene allein zurück. Dabei war sie heimlich immer ganz stolz auf Hubi gewesen.
Wenn sie sich mit den Frauen der Nachbarshöfe unterhielt und deren Nöte mit ihren Männern erzählt bekam, beglückwünschte sie sich leise. Hubi war eine Seele von Mann. Und trotzdem war er einfach so gestorben.
Ernst Flachbein aus der Vier war schon vierundsiebzig und trieb sich überall herum, bloß nicht zu Hause bei seiner Frau. Und Paule Wüllersbarth, der sich mit den Flachbeins den großen Hof teilte und die zweite Doppelhaushälfte mit seiner Frau bewohnte, soff nun schon seit drei Jahrzehnten ohne dass es seiner robusten Gesundheit zu schaden schien. Vorn aus dem Hof Nummer Fünf, der Reini, also Reinhard Bachhorn, der qualmte täglich drei Schachteln Zigaretten, hustete und spuckte schon seit Jahren, lebte aber dennoch. Ach, die Welt war ungerecht.
Irene wartete auf das bekannte Geräusch, das Surren des kleinen Elektromotors vom Roller ihrer Schwester.
Endlich drang das vertraute Knattern an ihr Ohr. Sie schaute aus dem Fenster, sah Gisela zu, wie diese sich mühsam mit ihrer kaputten Hüfte vom Roller bemühte und öffnete die Tür.
Die beiden Schwestern waren sich äußerlich nicht sehr ähnlich. Gisela war eine etwas fülligere Dame mit sehr gepflegtem Äußeren, die Haare stets ordentlich frisiert, einmal wöchentlich ging sie ja auch zum Friseur nach Lindow, immer sorgfältig geschminkt und mit modisch bunten Blusen und Jacken angetan.
Irene war da praktischer. Sie war eher der sehnige Typ Frau. Meist trug sie eine Kittelschürze und legte auch nicht so viel Wert auf ihre Frisur. Trotzdem waren sich die Schwestern sehr zugetan.
Irene litt seit dem Tod ihres Mannes unter Schlaflosigkeit. Oftmals wanderte sie nach Mitternacht ruhelos durchs Haus, dass ihr immer größer und bedrohlicher erschien. Manchmal glaubte sie sogar, den Schatten von Hubi zu erkennen, der irgendwo im Hause auf sie lauerte. Doch stets verschwand er wieder wie von Geisterhand. Mit keiner Menschenseele hatte sie über ihre nächtlichen Alpträume gesprochen, nicht mal mit Gisela.
Seit zwei Tagen war Irene nun schon in einem seltsamen Zustand. Es hing wohl mit dem Erlebnis in der Nacht zum Donnerstag zusammen. Wieder konnte sie nicht schlafen. Sie saß in der Küche, starrte in die Dunkelheit, traute sich nicht, Licht anzumachen. Was sollten denn die Nachbarn denken, wenn bei ihr nachts um Drei noch Licht brannte?
Nur der Radio dudelte leise sein Nachtprogramm. Wenigstens ein vertrautes Geräusch. Irene hatte wieder den Schatten gesehen. Hubi besuchte sie, wollte nach dem Rechten schauen. Sie fühlte sich immer ertappt, dass er so wenig Zutrauen zu ihr hatte.
Mein Gott, ihre Ehe war kein Zuckerschlecken gewesen. Die gemeinsamen Jahre waren zum Schluss eine Zumutung für beide. Aber keiner wollte aus dem unerträglichen Zustand ausbrechen. Man schwieg, ging sich aus dem Weg. Es könnte ja noch schlimmer kommen. Und allein sein, nein, das ging schon gar nicht … Außerdem, was sollten die Leute im Dorf sagen?
Sie schluckte nun schon seit zwei Tagen die kleinen roten Kügelchen, Beruhigungspillen. Aber die halfen inzwischen auch nicht mehr. Sie musste etwas tun, wusste aber nicht was.
Als einziger Ausweg fiel ihr ein, bei Gisela anzurufen. Gisela war immer die praktischere von den beiden Schwestern gewesen, ihr fiel immer etwas ein.
Und jetzt saß Gisela am Küchentisch. Irene hatte Kaffee gekocht. Beide hatten eine große Kaffeetasse vor sich stehen.
»Gisi, ich glaub‘, ich muss zum Arzt.«
»Was ist los? Hast du wieder dein Nervenleiden?«
»Ach Gisi, ich glaub‘ ich werd‘ langsam meschugge. Seit drei Tagen schlafe ich nicht mehr, bin aber vollkomen hundemüde.«
»Du solltest nicht so lange mehr fernsehgucken. Und immer das wilde Zeug, was du siehst, da würde ich ja auch ganz meschugge werden.«
»Quatsch, ich hab‘ den Fernseher überhaupt nicht angehabt in der ganzen Woche. Nein, es ist …«
»Renchen, du bist einfach überspannt. Du solltest dich am besten öfters mal hinlegen und nichts machen. Geh doch mal zum Friseur! Das ist auch ganz entspannend.«
»Gisi, manchmal höre ich furchtbare Geräusche. Vorgestern Nacht, da gab es ein fürchterliches Geräusch. Ein Schrei, ganz laut und langgezogen. Es war furchtbar, ganz furchtbar …«
»Ach, du spinnst ja. Ich habe nichts gehört und ich habe einen leichten Schlaf. Wer weiß, vielleicht hat sich der Fuchs ein Kaninchen geholt. Die pfeifen dann vor Todesangst.«
»Meinst du?«
»Ja, wer soll denn sonst in der Nacht schreien? Überleg‘ doch mal! Die paar Leutchen, die hier wohnen, da ist keiner bei, der nachts rumrennt und schreit. Wir sind doch nicht in Berlin, wo so etwas üblich ist. Was haste denn wieder für einen Schundroman gelesen? Du mit deinen komischen Krimis immer …«
Irene antwortete nicht. Natürlich, Gisela hatte ja Recht. Wer sollte hier draußen auch mitten in der Nacht schreien? Sie hatte auf die Uhr gesehen. Nachts um Drei war es. Da schlief normalerweise ein jeder. Außerdem, es war ja auch mitten in der Woche. Da wurde nie so lange gefeiert oder Blödsinn gemacht.
Trotzdem war Irene ratlos. Gisela war nicht die wirkliche Hilfe, die sie erwartet hatte. Sie wurde noch vollkommen verrückt, so allein in dem großen Haus. Vielleicht sollte sie sich ein Haustier zulegen? Einen Hund? Oder wenigstens eine Katze, dann wäre sie nicht ganz allein. Irene winkte jedes Mal ab. Sie solle doch einfach mal einen Blick СКАЧАТЬ