Menschenbilder. Julia Ulrike Mack
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Название: Menschenbilder

Автор: Julia Ulrike Mack

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Studiengang Theologie

isbn: 9783290177379

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СКАЧАТЬ planmäßige Heiden-Mission auf protestantischer Seite begann am 9. Juli 1706 mit Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau in Tranquebar an der Südostküste Indiens. König Frederik IV. von Dänemark suchte für seine Kolonien Missionare. Durch Vermittlung seines Hofpredigers Franz Julius Lüttkens kam er in Kontakt mit den beiden Theologen aus Halle, einem der wichtigsten Zentren des Pietismus im 18. Jahrhundert.82 Damit begann die Geschichte einer organisierten, kontinuierlichen protestantischen Missionsarbeit auf breiterer Basis. Zugleich markierte sie auch den Übergang von lutherisch-orthodoxer Zurückhaltung in der Frage der Mission zu pietistischer Missions-Euphorie. Die Dänisch-Hallesche Mission stellte einen Sondertyp lutherisch-pietistischer Mission dar. Die Initiative ging von der Obrigkeit aus. Die Mission stand stets unter behördlicher Dienst- und Verwaltungsaufsicht, unter der Aufsicht des Missionskollegiums (gegründet 1714), mit Sitz in Kopenhagen, das direkt dem König unterstellt war. Die lutherische Kirche in Dänemark reagierte zunächst mit Zurückhaltung, das Unternehmen des Königs war umstritten.83 Die ersten Missionare Ziegenbalg und Plütschau waren Schüler August Hermann Franckes, der zwar erst nachträglich, dann jedoch umso intensiver das neue Projekt zu seinem eigenen machte. Durch die Veröffentlichungen der Halleschen Berichte ab 1710, der ersten periodisch erscheinenden Missionszeitschrift überhaupt, rückte Francke das Anliegen der Mission in den Fokus der evangelischen Welt und machte sie zu ihrer Aufgabe.84 Das erste Zentrum der protestantischen Mission wurde dadurch Halle bzw. die dortigen Franckeschen Anstalten.85

      Das zweite große Missionswerk aus dem Bereich des Pietismus, die Herrnhuter Brüdermission und ihr Initiator Zinzendorf, wurde stark durch die Dänisch-Hallesche Mission beeinflusst. Zinzendorf selbst kam durch die Halleschen Missionsberichte sowie durch persönliche Begegnungen mit Missionaren in den Franckeschen Anstalten während seiner Zeit auf dem dortigen Pädagogium zu dem Entschluss, Missionar zu werden. Mit der Aussendung eines ‹Hottentotten›-Missionars nach Südafrika verwirklichte die Herrnhuter Mission später sogar eine von Ziegenbalg stammende Anregung. 1732 gingen die ersten beiden Missionare ins westindische St. Thomas. Wie das gesamte theologische Denken Zinzendorfs war auch die Herrnhuter Mission streng |43| christozentrisch orientiert. Die Missionare waren unabhängige Laien, die eine abgegrenzte Gemeinschaft von Erweckten sein wollten. Eine konfessionelle Prägung war ihnen fremd. Jedoch führte die von ihnen angestrebte «Sammlung der Erstlinge»86 zu einer Art konfessioneller Sondergestalt, die in ihrer Eigenart auch in den Missionsgebieten deutlich erkennbar war und bis heute Bestand hat.87

      Feststellen lässt sich jedoch, dass schon die englischen societies des 18. Jahrhunderts mit der Missionsarbeit auf dem europäischen Festland, insbesondere mit der Dänisch-Halleschen Mission, sehr eng verbunden waren und sie sich gegenseitig beeinflussten.88 Diese transnationalen Verbindungen setzten sich im 19. Jahrhunderts nicht nur fort, sondern wurden geradezu zu einem Kennzeichen von Erweckungs- und Missionsbewegung, der ‹protestantischen Internationalen›.89 |44|

      Schon vor dem 19. Jahrhundert bestanden also protestantische Missionsbestrebungen in England, Halle und Herrnhut, die für die späteren Missionsgesellschaften wichtige Weichen stellten. Das 19. Jahrhundert galt aber in besonderer Weise, gerade auch in der Eigenwahrnehmung der Beteiligten, als das ‹Missionsjahrhundert›.

      Ein ganz pragmatischer Grund für dieses neue protestantische Phänomen darf dabei nicht vergessen werden: Wie die katholische Mission waren auch die protestantischen Missionsunternehmungen wenn schon nicht auf die Unterstützung, so doch zumindest auf die Billigung der jeweiligen europäischen Kolonialmächte oder einheimischen Herrscher angewiesen. Protestantische Regierungen sperrten sich jedoch in der Regel bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gegen Mission in ihren kolonialen Territorien.90 Die Entscheidung für ein ganz bestimmtes Missionsfeld war deshalb oft auch mit politischen Entwicklungen verknüpft wie z.B. die Öffnung Britisch-Indiens für Missionare durch die erneuerte Charta der East India Company im Jahr 1813.91 Der «große missionsgeschichtliche Aufbruch»92 seit den 1790er Jahren stand im Zusammenhang mit den geänderten machtpolitischen Rahmenbedingungen dieser Zeit, die der Mission neue Freiräume vor allem in den außereuropäischen Gebieten schuf. Hinzu kam eine neue Welle der Erweckungsbewegung, die Adel und Bürgertum gleichermaßen erfasste und so eine breite Basis für ein neues Interesse an Mission schuf. Neue evangelikale Netzwerke entstanden und verbanden die Akteure zu einer transnational und überkonfessionell ausgerichteten Mission. Der weit verbreitete Aufruf zur Mission der London Missionary Society im Jahr 1795 gab den Anstoß zur Gründung zahlreicher |45| Missionsvereine – der typischen sozialen Organisationsform der bürgerlichen Gesellschaft –, die sich nach und nach selbst zu aussendenden Missionsgesellschaften entwickelten.93

      Die Grenzen von Pietismus und Erweckung sind fließend und über den Pietismusbegriff, vor allem seine lokale und temporale Ausdehnung, herrscht keine Einigkeit.94 Mit meiner Definition des Pietismus schließe ich mich Wallmann an:

      «Der Pietismus ist eine im 17. Jahrhundert entstehende, im 18. Jahrhundert zu voller Blüte kommende religiöse Erneuerungsbewegung im kontinentaleuropäischen Protestantismus, neben dem angelsächsischen Puritanismus die bedeutendste religiöse Bewegung des Protestantismus seit der Reformation. Gleicherweise in der lutherischen wie in der reformierten Kirche entstanden, dringt der Pietismus auf Individualisierung und Verinnerlichung des religiösen Lebens, entwickelt neue Formen persönlicher Frömmigkeit und gemeinschaftlichen Lebens, führt zu durchgreifenden Reformen in Theologie und Kirche und hinterlässt tiefe Spuren im gesellschaftlichen und kulturellen Leben der von ihm erfassten Länder.»95

      Für die Verhältnisbestimmung von Pietismus und Erweckungsbewegung kommt Brecht zu dem Schluss:

      «Wenn man so will, könnte man das, was in weiten Teilen des kontinentalen, europäischen Protestantismus sich als Fortsetzung des Pietismus darstellt, zumindest im kontinentalen, aber wohl nicht vom angelsächsischen Horizont aus für das 19. Jahrhundert nach wie vor unter dem Obertitel Pietismus als Erweckungsbewegung und Evangelikalismus bezeichnen und sich auf diesen gemeinsamen Nenner einigen.»96 |46|

      ‹Erweckung› ist kein singuläres Ereignis des 19. Jahrhunderts.97 Immer wieder gab es in der Geschichte der christlichen Kirche Erweckungsbewegungen, doch erst im frühen 19. Jahrhundert wurde ‹Erweckung› zum Fachbegriff für «eine sich in mehreren Ländern zeigende, im Wesen antiaufklärerische Bewegung mit dem Höhepunkt um das Jahr 1830».98

      Gäbler nennt fünf Motive, die charakteristisch für die Erweckungsbewegung in all ihrer Unterschiedlichkeit sind:

      1 Das prophetische Motiv, das eine Analyse der Zeitereignisse mit der Heilsgeschichte in Verbindung bringt, dabei wird die Gegenwart als krisenhaft erfahren und beschrieben.

      2 Das biblizistische Motiv, das den Gegensatz zur historisch-kritischen Schriftauslegung betont und dezidiert antiaufklärerisch ist.

      3 Das chiliastische Motiv, das im Bewusstsein der bevorstehenden Endzeit in seiner postmillenaristischen Ausprägung, in Form von missionarischer, evangelisatorischer und karitativer Arbeit, zu unermüdlicher Arbeit für das Bauen des Gottesreiches führt.

      4 Das universalistische Motiv hängt mit dem chiliastischen Motiv insofern zusammen, als dass die Erweckten in der postmillenaristischen Tradition auf ein «universales, weltweites Gottesreich ohne nationale Barrieren und ohne konfessionelle Schranken» warten und die tatsächlich existierenden weltweiten evangelikalen Netzwerke als Zeichen dieses universalen Gottesreiches sehen.99 Dieser Universalismus kann jedoch auch in sein glattes Gegenteil, in Partikularismus oder Nationalismus umschlagen, so dass dann z.B. die Vereinigten Staaten von Amerika als Ziel der Heilsgeschichte gelten.|47| СКАЧАТЬ