Название: Menschenbilder
Автор: Julia Ulrike Mack
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Studiengang Theologie
isbn: 9783290177379
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Seit Beginn der protestantischen Missionsgeschichte wurde die Bedeutung von Kirchen und Konfessionen für die Mission diskutiert.117 Die Unterscheidung von überkonfessionellen und konfessionellen Missionsgesellschaften bei Johannes Aagaard spiegelt die Entwicklung wider, die sich im 19. Jahrhundert innerhalb der protestantischen Konfessionen, aber auch im Verhältnis von Protestantismus zum Katholizismus vollzog.118 Sie bietet ein Raster für die Einteilung der Missionsgesellschaften des 19. Jahrhunderts in verschiedene Missionstypen. So lässt sich für das erste Drittel des 19. Jahrhunderts eine starke interkonfessionelle Strömung feststellen, die sich in den landeskirchlichen Unionsbildungen in Nassau und Preußen (1817), in der Pfalz und in Hanau (1818), in Baden (1821) und schließlich in Hessen (1822) niederschlug.119 |52| Ab den 1830er Jahren setzte eine «Rekonfessionalisierung»120 ein, die sich intern und extern vollzog: Unter der internen Konfessionalisierung versteht Blaschke «einen zunächst harmlosen Prozeß der binnenkirchlichen Konstruktion kollektiver Identität und mithin der intrakonfessionellen Konsolidierung. Diese interne Konfessionalisierung führte jedoch zur Abgrenzung von konkurrierenden Deutungsangeboten.»121 Die Frage der Konfession wurde dadurch in Bereiche hineingetragen, die eigentlich nicht zum System Religion gehörten, zum Beispiel in die Politik, aber auch in das Erziehungswesen und in die Publizistik. Dieser Vorgang lässt sich als externe Konfessionalisierung beschreiben.
Die interkonfessionelle Euphorie zu Beginn des Jahrhunderts hatte ihren Grund zum einen in der Aufklärung und dem Rationalismus, aber auch in der starken Rückbindung an den biblischen Text in Pietismus und Erweckungsbewegung. So setzte sich das Phänomen bei den überkonfessionellen Missionsgesellschaften des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts fort. Die Konfessionalisierung ab den 1830er Jahren wiederum zeigte sich in den Gründungen der Missionsgesellschaften dieser Zeit bzw. in der lutherischen Neuorientierung der bislang überkonfessionellen Berliner Missionsgesellschaft ab 1865. Manche Missionsgesellschaften wie z.B. die Hermannsburger Mission verdankten ihre Entstehung direkt der Auseinandersetzung um den rechten Umgang mit |53| der konfessionellen Frage, die auch immer weitere Fragen wie z.B. die nach dem Bekenntnis, der Ordination, der wahren (unsichtbaren) Kirche, dem Verhältnis von Staat und Kirche nach sich zog. Einige Missionsgesellschaften setzten sich konkret mit dieser Problemstellung auseinander. Doch auch Missionsgesellschaften wie die Basler Mission, die versuchten, sich bei diesem Thema neutral zu verhalten, waren immer wieder gezwungen, sich damit zu befassen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts lässt sich eine Art ‹Reform der Reform› beobachten: Als Reaktion auf die konfessionell geprägten, stark an kirchlichen Institutionen und Ordnungen ausgerichteten Missionsgesellschaften entstanden die Glaubensmissionen, die sich noch stärker als die überkonfessionellen Gesellschaften des ersten Drittels gegen Institutionalisierung und Bekenntnis jeglicher Art wendeten.
Neben der Einteilung der Missionsgesellschaften hinsichtlich ihrer Haltung zu Konfession und Kirche, besteht eine weitere Möglichkeit, die zwei Missions-‹Lager› zu beschreiben in der Untersuchung ihres Verhältnisses zur Obrigkeit. So stehen für Wellenreuther die Hallesche und die Herrnhuter Missionsarbeit seit den 1730er Jahren paradigmatisch für die zwei Grundtypen protestantischer Mission im 19. Jahrhundert.122 Zum einen stellt er die herrschaftsnahe Mission von Halle, der Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts und der Society for Promoting Christian Knowledge, der herrschaftsfernen Mission Herrnhuts gegenüber: «Während herrschaftsnahe Mission in den Jahrzehnten nach 1760 allmählich verkümmerte und erst im Zusammenhang mit der neuen imperialen Politik europäischer Mächte nach 1870 eine Renaissance erleben sollte, ist die Geschichte der christlichen Mission zwischen 1730 und 1870 wesentlich durch herrschaftsferne Missionsaktivitäten bestimmt, aus denen sich bis ins 20. Jahrhundert hinein die Glaubensmissionen entwickeln sollten.»123
Die herrschaftsferne Richtung der Mission war ökumenisch und überkonfessionell ausgerichtet. Sie orientierte sich an der Handwerker-Mission Herrnhuts, die nicht auf einer wissenschaftliche Ausbildung bestand, sondern die persönliche Frömmigkeit in den Vordergrund stellte. Die herrschaftsnahe Mission, für die Halle steht, war eine Theologen-Mission, welche nur studierte und ordinierte Lutheraner in die Mission schickte, die in ihren Vorstellungen und ihrer Frömmigkeit pietistisch, aber auch akademisch geprägt waren. In der Missionsmethode spielte für die herrschaftsnahe Mission die Abgrenzung und Erhaltung der eigenen Amtswürde und des Amtsverständnisses eine |54| große Rolle, während die herrschaftsferne Mission sich um einen intensiven, dauernden Kontakt mit den Menschen bemühte, die sie bekehren wollte.
So unterschiedlich wie die Missionsmethoden waren die zwei Missionen auch in ihrer theologischen Ausrichtung, vor allem in ihrem Verständnis von Buße und Bekehrung. Bekehrung war für Halle kein spontaner Akt, sondern ein Prozess des Kampfes und der Unterweisung, in dessen Verlauf alles Heidnische überwunden werden musste und an dessen Ende die Taufe stand. Im Unterschied dazu verzichtete Herrnhut auf eine systematische Unterweisung. Ziel war die spontane Bekehrung und Annahme der persönlichen Errettung durch den gekreuzigten Heiland, welche in der Taufe ihren Ausdruck fand.
Der herrschaftsferne Missionstyp Herrnhuts, mit seiner Christologie, dem überkonfessionellen Ansatz und dem nichtklerikalen Missionarsideal wurde von den Begründern der baptistischen, independistischen und methodistischen Missionsgesellschaften des späten 18. Jahrhunderts übernommen, sogar in den Original Rules der anglikanischen Church Missionary Society sind Spuren davon erkennbar.124
Aagaards Unterscheidung von ‹überkonfessionell-konfessionell› und Wellenreuthers Modell der herrschaftsfernen bzw. herrschaftsnahen Mission weisen viele Übereinstimmungen auf. Dennoch sind sie nicht deckungsgleich. Aagard weist zu Recht auf die hohe Bedeutung hin, welche die Frage nach Konfession und Bekenntnis ab den 1830er Jahren bzw. ihre Ablehnung durch Pietismus und Erweckung in der Zeit davor für die Missionsgesellschaften hatte. Er zeigt einen zentralen Punkt auf, der erklärt, wie es zur Etablierung von so unterschiedlichen Missionsgesellschaften kam. Wie man an der Entstehung der Glaubensmissionen sehen kann, wurde die Frage nach dem rechten Verhältnis von Institution und individuellem Glauben auch noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert und neu beantwortet. Wellenreuther erweitert diesen Ansatz noch um einen politischen, obrigkeitlichen Aspekt, der bei der Gründung und Arbeit einer Mission immer auch eine Rolle spielte. Dies kann man in prominenter Weise an den Kolonialmissionen, aber auch an der Basler Missionsgesellschaft sehen.125 Wellenreuther betont zudem die kontinuierliche Linie, die sich von Halle und Herrnhut zu den Gesellschaften des 19. Jahrhunderts ziehen lassen.
Die Ansätze ergänzen einander und bieten damit ein Raster, das eine genaue Untersuchung der einzelnen Missionsgesellschaften natürlich nicht ersetzt, aber eine differenzierte Wahrnehmung der auf den ersten Blick so |55| unübersichtlichen Vielfalt an Gesellschaften im ‹Missionsjahrhundert› ermöglicht.
Im Folgenden werden zwei weitere unterschiedliche Versuche der Typisierung von Missionsgesellschaften vorgestellt, ihre Wurzeln im 18. Jahrhundert untersucht und ihre Entwicklung und Aufnahme bei den Missionsgesellschaften im 19. Jahrhundert verfolgt. Dies ermöglicht wiederum die Einordnung der Basler Missionsgesellschaften in die theologiegeschichtliche Landschaft des 19. Jahrhunderts, was in einem letzten Schritt gezeigt werden soll.
3.2.3.1. Überkonfessionelle Missionsgesellschaften
Die überkonfessionell126 ausgerichteten Missionsgesellschaften des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts standen in direkter Verbindung zu Pietismus bzw. zur Erweckungsbewegung. Dabei lassen sich die von Gäbler beschriebenen Motive der Erweckung auf die von der Erweckung beeinflussten Missionsgesellschaften übertragen. Vor allem das eschatologische Motiv spielte bei der Gründung dieser Missionsgesellschaften eine wichtige Rolle. Der Zustand der bestehenden Kirchen wurde häufig als schlecht, als im Niedergang begriffen erfahren. Zentral war die persönliche, individuelle Bekehrung und Gotteserfahrung, die man den ‹armen Heiden auf dem Missionsfeld› vermitteln wollte. Dies geschah mittels der zentralen Sozialform dieser Zeit, der Gesellschaft, d.h. dem freien Zusammenschluss von mündigen Christinnen und Christen. Mit der Erweckungsbewegung teilten diese Missionsgesellschaften auch das biblizistische СКАЧАТЬ