In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt
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Название: In Schlucken-zwei-Spechte

Автор: Harry Rowohlt

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

Серия:

isbn: 9783862870776

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СКАЧАТЬ Trulla mal vor einer Kneipe stehen und wollte dringend rein. Die Kneipe sah absolut nach nichts aus. Ich hab ihr gesagt, »Trulla, nee, da hast du dich wirklich verpeilt, das kann es nicht sein. Das ist doch die hinterletzte Fascho-Pinte.« Aber Trulla bestand darauf, daß wir reingehen. Ich hab gesagt: »Ja gut, Trul­la, weil du es bist, aber auf deine Verantwortung. Wenn das jetzt Scheiße ist, glaube ich dir nie wieder etwas.« Wir sind dann hineingegangen, und da merkte man, daß die Kneipe nur von außen doof aussah, weil die Hausfas­sade renoviert war. Innen war das eine so schöne Höhle, und in der Ecke ein runder Stammtisch mit einer SPD-Tradi­tionsfahne von 1869, und »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit«, und »Einigkeit macht stark«. Da habe ich gesagt: »Gut, Trulla, ich sage ja schon gar nichts mehr.«

      Ich habe in einer irischen Zeitschrift ein Cartoon gese­hen, in dem ein Mann mit einem angeleinten Wellensit­tich gerade das Haus verlassen will, und seine Frau raunzt ihn an: »Dir ist auch jede Ausrede recht, um in die Kneipe zu gehen.«

      Mit Trulla konnte man nicht nur in Kneipen gehen, sondern es war auch in Biergärten sehr schön. In Mün­chen fällt ja immer viel ab, Weißwurstpelle zum Bei­spiel, und wenn sie die irgendwo sah, schleppte sie sich völlig entkräftet an den Tisch, wo es Weißwurstpelle gab, und sah auch sofort ungeheuer abgemagert aus. Sie konnte sich also ganz gut selbst ernähren. Später, wenn ich ohne Trulla in den »Soller« ging, sagte die Gastrono­mie immer: »Hast heut den Schlumpfi net dabei?« Weil der Münchner zunächst Hunde wahrnimmt, und erst in zweiter Linie sonstiges Gesocks. Trulla hatte Zitzen­krebs, woran sie auch eingegangen ist. Bei so einem Dackelkörper hatte sie entsprechend viele Brustwarzen. Sie muß sehr gelitten haben. Das waren die drei wichti­gen Hunde in meinem Leben.

      Ich mag eher Katzen. Wir hatten eine pechschwarze Kat­ze, aber sie hat ihre sieben Leben ziemlich zügig aufge­braucht. Zweimal erwischte sie der Nachbars­hund und zerzauste sie, zweimal geriet sie unter ein Auto und zwei­mal hatte sie eine fast tödliche Infektion.

      In New York hatten wir mal eine zugelaufene Katze. Wegen dieser schönen, alten Feuerleitern können Kat­zen sich in New York aussuchen, wo sie wohnen wollen. Wenn ich nach der Arbeit nach Hause kam, habe ich mir meinen Chillum angezündet und mein Six Pack of Schä­fer ausgepackt. Dann hat sich die Katze neben mich gesetzt und an dem Chillum geschnuppert, direkt an der Glut. Ich habe in den Fernseher geglotzt, die Katze an die Wand, und beide sagten wir uns: »Too much, man, just too much, man.«

      Rosa, die Tante von meinem Freund John, lebte auch in solch einem Haus in New York, sie hatte auch eine Katze. Sie glaubte allerdings, die Katze sei die Reinkarnation ihrer Mutter und hätschelte das Tier entsprechend.

      Bei Reinkarnation fällt mir ein: Nachdem mein Bruder in Indien gestorben war, stellte seine Witwe in der Schweiz die Urne im Schlafzimmer auf den Kaminsims. Neben der Urne kroch ein Riesenkäfer umher, und sie dachte, das wäre ihr verstorbener Mann. Das ist natür­lich albern. Wenn man schon als Riesenkäfer reinkar­niert, warum soll man sich dann ausgerechnet neben seiner Urne aufhalten? Oder? Ich möchte doch nicht immer an meinen Tod erinnert werden. Apropos Käfer: Ich habe mal meine Stammtischschwester Anna Miku­la, die Kulturchefin der wöchentlich erscheinenden Wo­chenzeitschrift Die Woche, ziemlich angefreakt. Wir unterhielten uns über einen damaligen Zeit-Re­dak­teur, der nicht wußte, wer Gregor Samsa ist, und Anna sagte: »Stell dir mal vor, der ist Redakteur eines solchen Hirn­blattes wie der Zeit und weiß nicht, wer Gregor Samsa ist.« Ich guckte etwas stumpf vor mich hin, und dann wurde Anna allmählich irre an mir und sagte: »Aber gell, Harry, du weißt schon, wer Gregor Samsa ist?« Darauf ich: »Na, erlaube mal, ich werde wohl wissen, wer Gregor Samsa ist. Den habe ich doch selbst noch in Berlin in der Hasenheide kämpfen sehen. Gregor Samsa staatenlos.« Da brach eine Welt für sie zusammen. Gre­gor Samsa ist die Hauptfigur der Erzählung »Die Ver­wandlung« von Franz Kafka. Der wacht eines Morgens auf und ist ein Käfer.

      Das klingt natürlich sehr einleuchtend: »Gregor Samsa staatenlos, habe ich noch selbst in der Hasenheide kämp­fen sehen.« Aber eigentlich haben wir ja von deiner Schulzeit gesprochen...

      Nachdem meine Eltern geheiratet hatten, mußten wir ins Allgäu umziehen, weil Kurt W. Marek, besser be­kannt unter dem Namen C.W. Ceram, »Götter, Gräber und Gelehrte«, nach Amerika zog. Er war in Woodstock, und zwar in dem Woodstock. In Amerika war er aber sehr unglücklich, weil er nicht bedacht hatte, daß es für ihn offenbar zu spät war, Fremdsprachen zu lernen. Er fühlte sich in seiner Eigenschaft als Herzens-Amerika­ner in Amerika immer kreuzunwohl. Aber auf diese Weise stand sein Haus leer, und deshalb zogen meine Eltern mit mir ins Allgäu. Dort bin ich in die Zwergschu­le gegangen. Eigentlich war es keine Zwergschule. Es gab acht Klassen mit vier Lehrern, also wurden immer zwei Klassen zusammen unterrichtet. Da war ich zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben ein richtig guter Schüler. Das lag an folgendem: Haschi Marek sagte mal: »Du hast es besonders schwer als Briefmar­kensammler und Rasselbandeleser.« Aber dadurch wuß­te man automatisch mehr als sogar der Lehrkörper. In der Rasselbande kamen Titelgeschichten wie »Fiesta in Cuzco« vor. Also wußte ich, wo Cuzco liegt und was Fie­sta bedeutet.

      Als Briefmarkensammler kommt man ja auch in der Welt herum.

      Ich habe nie bedauert, daß ich mal Briefmarken gesam­melt habe, weil ich selbst riesige Filmschinken, die man eigentlich nur im Kino sehen dürfte, auch auf einem kleinen Bildschirm mit großem Genuß angucke. Ich kann mir vorstellen, wie das auf einer großen Leinwand aussieht, weil ich als ehemaliger Briefmarkensammler die Kunstschätze dieser Welt längst im Briefmarkenfor­mat genossen habe.

      In Lindenberg wurde damals gerade eine Oberschule fertiggestellt. Da ging aber niemand hin. Ich bestand heimlich die Prüfung zur Oberschule. Na ja, es war halb heimlich. Mein Vater durfte es nicht wissen, weil sein Motto war: Raus aus der Schule, rinn ins Geschäft. In Hamburg hätte ich mir das nie zugetraut. In Hamburg war ich sogar in der Volksschule ein schlechter Schüler. Aber im Allgäu suchten sie händeringend nach Schü­lern, möglichst evangelischen, weil die klüger waren. Kaum hatte ich die Prüfung bestanden, zogen meine Eltern wieder nach Hamburg. Auf der Oberschule dort war ich sofort wieder ein schlechter Schüler, wie sich das gehörte. Außerdem begann in Bayern das Schuljahr im Herbst und in Hamburg im Frühjahr, so daß ich eine Lücke von einem halben Jahr hatte, die bis heute nicht gestopft wurde. In der Albert-Schweitzer-Schule, wo wir gerade den Bauernkrieg durchnahmen, schrieb ich mei­ne erste Eins in Geschichte, weil endlich mal was kam, das mich interessierte, Thomas Müntzer. In der Wald­dörfer Schule in Hamburg-Volksdorf waren sie bereits beim Ersten Weltkrieg, so daß meine Lücke vom Bau­ernkrieg bis zum Ersten Weltkrieg reicht. Es ist alles nicht mehr zu stopfen.

      Ich bin in Geschichte nie über das 19. Jahrhun­dert hin­ausgekommen. Immer, wenn wir das abge­handelt hat­ten, war das Schuljahr zu Ende, und danach fingen wir wie­der bei den Römern an. Unglücklicherweise war un­ser Geschichtslehrer auch Lateinlehrer, und er fand es ange­messen, das zu kombinieren. Er ließ uns die mittel­alterli­chen Urkunden aus dem Lateinischen über­­setzen.

      Ich war in Latein auf der Walddörfer Schule quasi un­zensierbar und bekam die erste Sechs minus. Da war ich so stolz. Dann habe ich mich bis zu einer zwei in Latein gesteigert, die ich auch ins Abitur hinübergerettet habe.

      Bei mir war es genau umgekehrt. Ich hatte mich jahre­lang mit knappen Vieren gerettet, weil meine Interpreta­tion des miserabel übersetzten Textes ganz in Ordnung war, aber im Abitur bekam ich eine Sechs in Latein, weil es keine Interpretationsfrage gab.

      In der Walddörfer Schule gab es einen Lateinlehrer, Professor Dr. Gumpricht, den ich aber glücklicher­weise nicht hatte. Bei dem hätte man in Latein eine Interpre­tation verfassen müssen. Ich konnte krankheits­bedingt an einer Klassenfahrt nicht teilnehmen und wurde des­halb eine Klasse höher zu Dr. Gumpricht gesteckt. Die sprachen Latein miteinander, dabei waren das soge­nannte Musen, bildende Kunstmusen. Das fing schon damit an, daß man das Datum sagte, was nicht leicht ist: Am dritten Tag der Iden des September.

      Ich СКАЧАТЬ