Название: In Schlucken-zwei-Spechte
Автор: Harry Rowohlt
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 9783862870776
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Als Schauspielerin ist deine Mutter doch sicher viel herumgekommen. Mußtest du immer im Schlepptau mit?
Ich war insgesamt auf sechzehn oder achtzehn verschiedenen Schulen, weil meine Mutter von Engagement zu Engagement eilte. Und als meine Eltern geheiratet hatten, war mein Vater auf der Flucht vor dem Rowohlt Verlag. Er mußte angeblich im Allgäu wohnen, wegen der Höhenluft. Alles Quatsch. Er hat sich im neuen Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg nicht zurechtgefunden. Aber er hat da ohnehin nichts getan, weil der Laden inzwischen von meinem Brüderchen, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, geschmissen wurde, der das sehr viel besser konnte.
Wie hast du dich denn mit deinem Brüderchen verstanden?
Ich war völlig durch den Wind, als er gestorben ist. Seine letzten Worte waren: »Na, jetzt langt es aber auch allmählich.« Während der Buchmesse im Café Laumer, was zur Buchmessenzeit Café Rowohlt heißt und wo man Gutscheine trinken kann, hab ich zu meinem Brüderchen gesagt: »Ich gehe jetzt ins Café Rowohlt und gebe mich als junger Herr Laumer zu erkennen.« Wir sind zusammen vom »Hessischen Hof« zu Fuß hingegangen. Damals war mir noch nicht klar, daß es ihm sehr viel schlechter ging, als man ihm anmerkte. Das waren vielleicht hundertachtzig Meter, da hat er schon geklagt, und danach hat er den Weg vom »Hessischen Hof« ins Café Laumer immer »unsere gemeinsame Nachtübung« genannt. Da haben wir unabhängig voneinander »Matjes Hausfrauenart« bestellt und beide unabhängig voneinander gesagt: »Hausfrau bedeutet nicht Strapse, sondern Äpfel.« Daraufhin meinte er: »Man merkt eben doch, daß wir Brüder sind.«
Woran ist er gestorben?
Er war in Indien auf der Buchmesse, in Delhi, und Inge Feltrinelli hat ihn ziemlich herumgescheucht, was Vergnügungen betraf. Er ist mit der Eisenbahn gefahren, dem »rollenden Palast«, der durch übertriebenes air-conditioning furchtbar unterkühlt war. Dabei hat er sich eine Lungenentzündung geholt und ist in Agra im Angesicht des Tadsch Mahal gestorben. Er ist sofort verbrannt worden, allerdings ohne Witwe. Die Urne mit seiner Asche hat seine Witwe Jane nach Lavigny, aufs Schloß in der Schweiz gebracht und auf den Kaminsims gestellt. Sie wollte nach ihrem Tod, der sie auch ziemlich schnell ereilte, ebenfalls verbrannt werden, und anschließend sollte ihrer beider Asche vermischt und in ihrer Familiengruft in der Nähe von London beigesetzt werden. Das war die Gruft ihres Vaters, ein reicher Schotte, der in der Eliteeinheit »The Black Watch« gedient hatte. Die trugen schwarze Kilts und wurden deshalb »The Devil’s Ladies« genannt. Er nannte seinen Schwiegersohn immer Adolf, weil er Deutscher war. Sehr witzig. Das war eine ausgesprochen blöde Beerdigung. Die beiden waren in der Urne zwar richtig schön miteinander gemischt worden, aber niemand hielt eine Trauerrede. Wenn in der Aussegnungshalle wenigstens ein Harmonium gestanden hätte! Dann hätte man mit Anspielung auf die Urne und ihren Inhalt spielen können: »Oohoohoo, ooh, yeah, yeah, I’m all shook up!«
Hatte dein Bruder eigentlich Kinder?
Heinrich Maria hatte zwei Töchter: eine leibliche, die er enterbt hat, weil sie ihr Erbe zu seinen Lebzeiten ausbezahlt haben wollte, um sich in München eine Boutique einzurichten. Und eine unleibliche, die vom Briefträger oder vom Milchmann stammte. Ich habe sie anläßlich der Beisetzung von Heinrich Marias Witwe in London getroffen. Sie ist mit einem Schweizer Anwalt oder Börsenmakler oder irgend so was Nützlichem verheiratet, wohnt seit unvordenklichen Zeiten in Zürich und ist eine richtig wohlsituierte Schweizerin. Es gibt ja vier Schweizer Sprachen, also Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, und sie meinte tatsächlich, Rätoromanisch hätte englische Wurzeln.
Du hattest doch auch eine Schwester, oder?
Meine Halbschwester Anna Elisabeth, genannt Baby, ist während der brasilianischen Emigration meines Vaters gezeugt und geboren worden, in einer Favela in São Paulo. Dort hat sie sich offenbar auch den Hautkrebs zugezogen, an dem sie dann gestorben ist, weil sie als Rotblonde immer mit den Caboclos – das sind Schwarzafrikaner und Indiomischlinge, die sehr viel gesünder pigmentiert waren als sie – im Schlamm gespielt hat. Kennengelernt hab ich sie, als ich sechs Jahre alt war, und hab mich prompt in sie verknallt. Sie war ein rundherum angenehmer Mensch, ich habe aber leider so gut wie nie von ihr Gebrauch gemacht. Wir haben uns immer sehr geliebt, auf die Entfernung. Sie ist dann irgendwann nach Deutschland gekommen, doch wir sind einander so gut wie nie über den Weg gelaufen.
Erzähl ein bißchen mehr von deinem Vater.
Ernst Rowohlt war einer der wenigen Menschen, der gar nichts konnte. Es war erstaunlich, wie unbegabt er in jedem Bereich war. Einfach toll. Das hat man ja manchmal, und dann kann man diese Leute nur als Genies bewundern. Irgendeiner seiner Autoren hat mal gesagt, er sei ein Genie der Freundschaft gewesen. Er war viermal verheiratet, hauptsächlich mit Schauspielerinnen. Er hatte den Ehrgeiz, sie aus ihrem Beruf zu entfernen, damit sie sich nur noch um ihn kümmerten. Wenn er das mit Straßenbahnschaffnerinnen gemacht hätte, wären die vielleicht sogar froh gewesen. Ich habe ihn erst in einer Zeit richtig erlebt, als er alt und miesepetrig geworden war. Er war eigentlich immer nur alt und krank und muffelig und hat, weil er sich nicht mehr in den Rowohlt Verlag hineingetraut hat, versucht, zu Hause den Laden zu terrorisieren. Mein Brüderchen hat es nie geschafft, sich gegen ihn aufzulehnen, während ich das bereits mit dreizehn oder vierzehn gemacht habe. Danach waren wir praktisch unzertrennlich. Ich mußte spätestens um zehn zu Hause sein. Ich habe immer erst meine Mutter gefragt, wann ich von der Fete zu Hause sein sollte, und dann habe ich meinen Vater gefragt: »Wenn’s gemischt wird, pünktlich.« Daran halte ich mich bis heute. Ich gehe immer weg, wenn’s gemischt wird. Ich habe ihm auf seinem Totenbett, von dem wir beide noch nicht ahnen konnten, daß es sein Totenbett sein würde, den gesamten Schwejk, den ersten und zweiten Band, mit verteilten Rollen vorgelesen. Bei der Stelle: »... den Kokoschka Ferdinand, der was den Hundsdreck sammelt«, ist er wegen der pastosen Technik des Kokoschka Oskar vor Lachen aus dem Bett gefallen und hat meine Mutter angeröhrt: »Kommando zurück, der Junge wird nicht Verleger, der Junge wird Schauspieler.« Das war eine schöne Zeit, die letzten anderthalb Jahre mit meinem Alten, als er plötzlich gemerkt hat, daß sein anderer Sohn ein Mensch ist, und ich plötzlich gemerkt habe, daß mein verachteter Vater auch ein Mensch ist. Da hätte er gerne noch ein bißchen länger rummurkeln können, aber das ist eben nicht gelungen. Wozu auch. Das war kein Leben für ihn, sich nicht in den Verlag zu trauen, und zu Hause Zoff. Seine letzten Worte waren, und das war ganz typisch für ihn, eine Mischung aus Bestellung und Beschwerde: »Eigentlich ist doch jetzt Bockbierzeit.« Also hat er noch ein Bockbier bekommen, und dann ist er abgekratzt.
Einfach so?
Er hatte früher schon mal einen Herzinfarkt. Unser Hausarzt in Hamburg, Professor Dr. Kurt Gröbe, der damalige Spitzenkandidat der Hamburger DFU, hat ihm einen Hund verschrieben, damit er jeden Tag zweimal spazieren gehen mußte.
Gibt’s den auf Krankenschein?
Nö. Aber sollte es. Der erste Hund war ein Polizeihund, dessen Hundeführer an die Polizeischule nach Eckernförde befördert worden war. Dort hat der Hund den ganzen Tag Bürodienst geschoben und wurde immer trübseliger, weil er Streife gehen wollte. Deshalb war er billig abzugeben. Vater, Mutter und ich sind hingefahren und kamen in das Büro, wo der Hund unter dem Schreibtisch saß. Er hat sich auf mich gestürzt und umgeschmissen, weil Boxer ja sehr kinderlieb sind. Boxer sind nach СКАЧАТЬ