Still. Zoran Drvenkar
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Название: Still

Автор: Zoran Drvenkar

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783945386019

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СКАЧАТЬ Wunde blutet, und so fließt jeden Tag das Leben aus uns heraus, während das Herz schlägt und schlägt und wir dabei reden, essen, lieben oder in der Sonne liegen und tun, was auch immer wir tun, weil wir es nicht besser wissen. Jahr für Jahr verläßt uns die Kraft ein wenig mehr, weil selbst die kleinste Lüge Schaden anrichtet. Ich weiß, wovon ich rede. Ich blute ohne Pause.

      3

      Im Lehrerzimmer riecht es nach verbranntem Kaffee. Die Maschine war schon da, als ich hier im letzten Sommer anfing. Sie ist den Großteil der Zeit kaputt. Seit Neujahr sammeln wir für einen von diesen Vollautomaten mit Mahlwerk und integriertem Milchbehälter. Die Sekretärin prüft jede Woche die Kasse, aber kaum jemand wirft noch Geld hinein. Geiz wird großgeschrieben. Viele haben sich angewöhnt, ihren eigenen Kaffee mitzubringen. Eine Armee von Thermoskannen reiht sich neben der Spüle auf. Die Becher dazu sind beschriftet. Auf meinem steht nicht Papa.

      In der Hofpause sitze ich mit meinem Kaffee alleine an einem der Fenster, blättere in einer Zeitschrift und denke nach. Vier Tage sind seit meinem Geständnis vergangen, und ich bin dem Pub ferngeblieben. Sie werden es verstehen. Ich muß mich von mir selbst erholen. Normale Dinge tun. Korrekturen machen. Einkaufen gehen. Wäsche waschen. Lehrer sein.

      Ich betrachte den Becher in meiner Hand. Seitdem ich auf diese Schule gewechselt bin, führen meine Hände ein Eigenleben. Die Kollegen scherzen. »Parkinson oder Delirium tremens?«, fragen sie mich, so daß ich es mir angewöhnt habe, alleine zu essen, um mir die Kommentare zu ersparen. Die Kollegen sehen mich als Einzelgänger. Es ist ein Image, an daß ich mich gewöhnen könnte. Es wird jeder Prüfung standhalten. Ich stelle den Becher weg, schaue auf meine Hände und kann es nicht glauben. Ich habe die ruhigsten Hände in ganz Deutschland. Es ist ein herrliches Gefühl, daß mir mein Körper wieder gehört. Es ist ein sehr gutes Zeichen. Ich bin auf dem richtigen Weg.

      4

      Im Radio wird vor Blitzeis gewarnt, die Straßen glänzen, die Autos fahren im Schrittempo, und ich könnte wetten, daß Edmont heute nicht mit dem Motorrad unterwegs ist.

      Es ist, als hätten sie mich erwartet.

      Ich betrete den Pub, der Blickkontakt ist sofort da, sie winken mich zu sich. Meine Unsicherheit legt sich, und an ihre Stelle tritt eine nervöse Erwartung. Fleetwood Mac singt Go Your Own Way. Ich ignoriere den Rat und bleibe am Tisch stehen. Franco schiebt mir einen Stuhl zu. Ich setze mich.

      – Na, hast du dich erholt? fragt Achim.

      Ich nicke. Hagen schnuppert.

      – Geduscht hat er auch.

      Ich lächle, Edmont lächelt zurück.

      – Schön, daß du wieder da bist.

      – Danke.

      Achim ruft nach der Kellnerin. Franco erklärt, die nächste Runde gehe auf seine Rechnung, dann tippt er mit dem Zeigefinger auf den Tisch.

      – Wir wollen mal über die Regeln reden.

      – Was für Regeln? frage ich.

      – Unsere Regeln, Mika.

      Sie sagen, sie gehörten keiner Organisation an, sie sagen, sie hielten sich von Vereinen fern, und mit Politik dürfe man ihnen gar nicht kommen. Keiner von ihnen wäre vorbestraft, sie lebten unter dem Radar und fielen nicht auf. Das Internet wäre tabu. Keine Foren, keine Chats. Sie blieben der Szene fern.

      – Kannst du uns soweit folgen?

      – Ich kann.

      Franco erklärt, daß es eine Frage der Selbstbeherrschung ist. Wie lange man sich im Zaum halten kann. Was man tut, wenn der Hunger zu groß wird. Franco weiß das alles, er ist nicht umsonst ihr Anführer. Als er vor dreißig Jahren nach Berlin kam, hatte er keine Ahnung, was seine Berufung war, er wußte nur, daß er nie wieder in einem Restaurant arbeiten wollte. Anfangs half er einem Cousin aus, dem ein Kurierdienst gehörte. Es dauerte nicht lange, und Franco machte sich mit seinem eigenen Kurierdienst selbständig. Dann traf er seine Frau. Es folgte ein Sohn, eine gemeinsame Wohnung und eine Affäre mit einer Redakteurin vom RIAS, die ihm seinen ersten Sprecherjob verschafft hatte. Franco besitzt eine markante Stimme, und er ist ein guter Zuhörer, der wortgewandt von einem Thema zum anderen wechseln kann, ohne dabei den Faden zu verlieren. Seine Gedankengänge schließen sich immer, und er hinterläßt beim Hörer ein Gefühl von Gesamtheit – als hätte er alles im Griff, als würde jede Frage eine Antwort verdienen. Das Radio ist sein Medium. Er moderiert zwei Sendungen in der Woche. Jeden Dienstag und Freitag gibt es spät in der Nacht Francos Special Delight. Er lebt nicht mehr mit der Mutter seines Sohnes zusammen, er sieht den Jungen nur an den Wochenenden. Alles in allem ist Franco sehr zufrieden mit seinem Leben, und er will, daß ich das verstehe.

      – Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben, Mika, und bevor ich dir von unseren Regeln erzähle, will ich, daß du weißt, wie sehr uns deine Unzufriedenheit stört. Schau dir Hagen an.

      Ich sehe zu Hagen hinüber.

      – Dieser Junge ist der lebende Sonnenschein, spricht Franco weiter, Er geht seinen Weg und steht mit beiden Füßen im Leben. Und jetzt schau dir Edmont an.

      Franco packt Edmont an der Schulter und schüttelt ihn ein wenig. Edmont grinst.

      – Dieser Mann saugt dem Tag die verschissene Seele aus dem Leib, weil er alles will, aber auch wirklich alles, was dieses Leben zu bieten hat, verstehst du? Er fährt sein Motorrad …

      – Cruiser, sagt Edmont.

      – … bei jedem Wetter und geht keine Kompromisse ein. Kompromisse wirst du bei ihm nie erleben. Kompromisse sind das Gift des Lebens. Alles oder nichts, Mika, das ist unser Motto. Und jetzt sieh dir Achim an.

      Achim begegnet meinem Blick, kein Blinzeln, es ist so, als würde ich auf eine Wand schauen.

      – Unser Achim findet keinen Schlaf. Einmal in der Woche glaubt er, er wäre sterbenskrank, aber ganz tief in seinem Inneren ist auch Achim zufrieden mit seinem Leben. Ist doch so, Achim?

      – Das ist so.

      – Er weiß, um was es geht, und ein wenig Leiden gehört eben dazu. Du bist überrascht? Du dachtest, es geht ohne Leiden? Mika, was ist das hier?

      Franco macht eine Geste in den Raum.

      – Siehst du, was ich sehe? Wir leben im Zeitalter des Egoismus, mach dir das bewußt. Jeder Arsch steht nur für sich ein. Das Ich hat das sagen. Frag Apple. iPod, iPhone, iArsch. Frag diese Egomanen, die auf ihrer Facebookseite jede Minute ihres öden Daseins festhalten, damit man ja nicht vergißt, daß sie existieren. Das iLife ist gefragt. Und natürlich gehört Leiden dazu. Das Ego leidet furchtbar gerne, denn das Leiden macht uns interessanter. Erst wenn wir Schwächen zeigen, beachtet man uns. Ohne das Leiden würden wir in Höhlen hausen und einander die Würmer aus dem Arsch fummeln. Leiden ist Religion, Leiden treibt uns an, Leiden sagt uns, das wir am Leben sind, Mika. Wie Liebe und Hass.

      Die anderen nicken. Franco trinkt von seinem Wein, seine eigenen Worte erregen ihn.

      – Aber das ist ein Thema, das wir ein anderes Mal diskutieren können. Heute geht es um die Regeln und deine Unzufriedenheit, mach dir das bitte bewußt, denn ohne Zufriedenheit kannst du hier СКАЧАТЬ