Название: Still
Автор: Zoran Drvenkar
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783945386019
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– Ich bin ja kein Idiot, erklärt er mir.
Sie reden gerne durcheinander, aber sie hören, was der andere sagt. Es ist ein guter Rhythmus, es gibt keinen unangenehmen Moment des Schweigens. Der Schlagabtausch ist entspannt, denn sie sind zufrieden mit sich, und es gibt viel zu erzählen.
Achim hält sich als einziger zurück. Wenn Ratschläge gefragt sind, hat er immer ein paar parat, ansonsten ist er wie ein Reserverad, das gepflegt wird, weil man ja nie weiß, ob man es braucht. Er beobachtet. Ich habe das Gefühl, daß ihm nichts entgeht. Vor Achim muß ich mich in Acht nehmen, jede Bewegung und jedes Wort muß stimmen. Achim und Franco haben als einzige Familie und bereuen es nicht. Edmont wird nächstes Jahr fünfzig und denkt nicht daran, sich ein Kind ans Bein zu binden. Hagen ist single und will es auch bleiben.
Der Abend endet vor dem Pub. Wir schließen Jacken und Mäntel und ziehen die Schultern hoch. Die eisige Luft sticht in den Lungen. Franco drückt mir zum Abschied die Hand und sagt, es hätte ihn sehr gefreut mich kennenzulernen. Edmont steigt auf sein Motorrad und setzt den Helm auf. Er will nicht, daß wir Motorrad sagen. Es ist eine Yamaha XVS 1100 Drag Star. Cruiser ist das richtige Wort. Edmont tätschelt den Tank, als wäre er der Maschine dankbar, daß sie auf ihn gewartet hat. Dann streift er sich die Handschuhe über und fährt vom Bordstein. Der Zopf ragt wie ein Stück Tau unter dem Helm hervor und hängt gerade auf seinen Rücken. Achim schaut auf seine Uhr und überquert die Straße, ohne sich von uns zu verabschieden. Hagen winkt ein Taxi heran. Ich sage, ich habe nicht weit zu laufen. Hagen und Franco steigen ein. Als das Taxi außer Sichtweite ist, hocke ich mich zwischen zwei geparkte Autos und erbreche den Abend. Ich bin zu nervös, meine eigenen Worte machen mir Angst, ich darf verdammt nochmal nichts Falsches sagen.
Ich fürchte mich vor mir selbst.
5
– Mensch, wir haben uns ja seit Ewigkeiten nicht gesehen!
Er ist mein Urologe. Ich brauche keinen Termin, ich kann zu ihm kommen, wann ich will, er zieht mich immer den anderen Patienten vor. Wir plaudern eine Viertelstunde, dann fragt er, was mich zu ihm führen würde. Er kennt mein Leben nicht mehr. Wir haben zusammen studiert, ehe er zu den Medizinern wechselte. Vor drei Jahren haben wir uns das letzte Mal gesehen. Kein Mann geht aus Spaß zum Urologen.
– Ich brauche Hilfe, sage ich.
Er schüttelt bedauernd den Kopf, als ich ihm von der Trennung erzähle. Er hat meine Frau nur einmal gesehen, wir aßen nach einem Theaterbesuch im selben Restaurant. Sie war ihm sympathisch. Also erzähle ich ihm von dem Umzug. Wie schwer es ist, sich auf die neue Umgebung einzustellen, wie unterschiedlich sich Häuser anfühlen, und betone dabei, daß ich schlecht schlafe. Er nickt und fragt, wie meine Tochter die Trennung verkraftet. Ich hebe die Schultern. Langsam. Wie jemand, der sich zu entspannen versucht.
– Wie soll ein Kind es schon verkraften, wenn die Mutter ihre Sachen packt und verschwindet?
Ich lasse die rhetorische Frage einen Moment in der Luft hängen.
– Es geht ihr gut, füge ich hinzu.
Meine Stimme ist kontrolliert, ich habe geübt und weiß, wie was klingen muß. Ich bin jemand, der sich erklärt.
– Außerdem habe ich eine andere Frau kennengelernt. Sie …
Ich schaue auf meine Hände.
– Nun, sie ist jünger und eine Kollegin an meiner Schule. Das war, nachdem mich meine Frau verlassen hat und---
– Es ist in Ordnung, unterbricht mich mein Urologe verständnisvoll, Du mußt ja auch an dich denken. Was sagt deine Tochter zu der neuen Freundin?
– Sie hat sie noch nicht getroffen.
Wir schweigen. Ich muß auf den Punkt kommen.
– Ich brauche Hilfe, sage ich halblaut, Da unten, da … passiert nichts mehr.
Mein Urologe stellt mir ein Rezept für Viagra aus. Er sagt, so eine Reaktion wäre völlig normal nach einer Trennung. Besonders wenn man verlassen wurde. Ich solle mir keine Sorgen machen. Er fragt, wieviel Tabletten ich haben will. Ich sage sechs. Er erklärt mir Viagra. Ohne daß ich nachfragen muß, verschreibt er mir auch ein Schlafmittel. An der Tür hält er meine Hand länger als üblich, während er mir einen letzten Ratschlag gibt.
– Du solltest bald mit deiner Tochter reden.
Er hat ihren Namen vergessen. Es ist in Ordnung. Er ist nur mein Urologe, und ich habe, was ich wollte.
6
Ein Mensch kann sich nur für eine bestimmte Zeit vor dem Leben verstecken. Ein Mensch kann hungern und dürsten, ein Mensch kann verdrängen und neu anfangen, er wird aber nie die Erinnerung daran verlieren, wie es ist, ein Mensch zu sein. Ich erinnere mich sehr gut, auch wenn ich mich jeden Tag mehr und mehr vom Menschsein entferne.
Das Zimmer meiner Tochter befindet sich im ersten Stockwerk am Ende des Flurs. Das Licht leuchtet am Abend beruhigend unter der Tür hervor. Wir haben ihr die Lampe geschenkt, als sie mit fünf Jahren Angst vor der Dunkelheit hatte. Es ist eine Jugendstillampe mit einem sich drehendem Papierschirm. Auf dem Schirm sind Papageien abgebildet, die zwischen Baumwipfeln fliegen. Das Licht verwandelt ihr Zimmer in einen magischen Ort, der voller Abenteuer ist. Ich betrete es nicht mehr. Das letzte Mal war ich voller Wut und habe ein Loch in die Wand geschlagen. Ich lerne dazu, ich reiße mich zusammen.
Ihr Name hängt in bunten Buchstaben an der Tür. Das eine S verrutscht immer wieder, ich rücke es gerade und hoffe, daß meine Tochter merkt, daß ich das für sie tue. Wir haben es schwer miteinander. Ich gehe ihr, so gut ich kann, aus dem Weg, wie man jemandem aus dem Weg geht, der einen daran erinnert, wer man einst gewesen ist. Manchmal lege ich die Hand auf ihre Türklinke, weiter komme ich nicht. Oder ich decke den Tisch für uns beide. Dann gibt es Tage, da liegt ihr Name wie ein schweres Gewicht auf meiner Zunge, und kein Ton kommt heraus. An solchen Tagen denke ich nur an meine Tochter, ich denke nie an meine Frau, die ihr neues Zuhause auf der anderen Seite der Stadt gefunden hat. Sie sagt, mein Leben wäre eine Lüge, sie erträgt mich nicht mehr.
Oft stelle ich mir vor, was meine Frau für ein Gesicht machen würde, wenn sie die zwei Teller auf dem Tisch sehen würde. Gläser. Besteck. Servietten. Manchmal eine Kerze. Ich kann ein guter Vater sein, ich kann einen Tisch decken und es anständig aussehen lassen. Ich tue es nicht für meine Frau, denn ich suche nicht mehr ihre Zustimmung, ich tue es für unsere Tochter und die Normalität im Leben. Unseres Lebens.
An besonders guten Tagen hinterlasse ich meiner Tochter einen Zettel mit einer Nachricht, aber kaum kehre ich von der Arbeit zurück, zerknülle ich das Papier hastig, ohne einen weiteren Blick darauf zu werfen. Sie soll es nicht lesen, sie soll es lesen. Ich weiß nicht, was ich will. So werden aus besonders guten Tagen besonders schlechte Tage.
7
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