Название: Still
Автор: Zoran Drvenkar
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783945386019
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– Da steckt eine Power dahinter, das kannst du dir nicht vorstellen.
Es ist Samstag und die Straßen sind vereist. Wir sind die ersten am Tisch. Sonntags lasse ich mich nicht blicken. Zwischendurch setze ich immer wieder einen Tag aus, damit kein Rhythmus erkennbar ist. Ich will nicht berechenbar sein. Ich bin ein Mann mit Hintergrund und Geschichte. Ein Mann, den seine Frau verlassen hat, und das Leben geht weiter.
Edmont trinkt Kaffee. Ein Abend im Pub muß für ihn genau so beginnen – Kaffee mit Milch, zwei Kekse und Bruce Springsteen. Die Uhrzeit ist ihm dabei egal. Edmont rührt Zucker in seinen Kaffee und klopft den Löffel sorgfältig am Rand der Tasse ab, ehe er sagt, er würde jetzt mal ehrlich sein.
Ich nicke, es freut mich, daß Edmont jetzt mal ehrlich sein will.
Er nippt von seinem Kaffee und verzieht das Gesicht, als wäre es selbstgebrannter Schnaps. Danach legt er die Hände um die Tasse und schaut mich mit einem Lächeln an. Er sagt, daß er mich mag, er sagt, daß mich die Jungs mögen, aber er sieht da ein Problem.
– Irgendwas stimmt nicht mit dir, Mika, und ich wüßte gerne, was da nicht stimmt.
Er hat es auf den Punkt gebracht. Beinahe schon poetisch. Ich bin ihm dankbar. Abend für Abend sende ich Furcht aus. Ich bin eine Leuchtboje auf dem Meer.
Seht mich, hier bin ich.
– Ich weiß nicht, was ich sagen soll, sage ich.
– Denk gut nach.
Er streicht mit dem Zeigefinger über den Rand der Kaffeetasse.
– Denk sehr gut nach. Und wenn wir dann alle hier sind, dann …
Ich kann deutlich die drei Punkte am Ende seines Satzes hören. Edmont ist hier, um für die Balance zu sorgen. Springsteen singt: Everybody’s got a hunger, a hunger they can’t resist. Ich nicke. Ich verspreche ihm, sehr gut nachzudenken. Er klopft mir auf die Schulter und sagt, die nächste Runde gehe auf mich.
Drei Stunden später, und der Abend nimmt seinen üblichen Lauf. Samstag bedeutet volle Tische und viel Lärm. Eine neue Kellnerin sorgt für gute Laune, und die Männer machen ihr Augen, als wäre sie die Verführung in Person. Die Frauen spüren die Spannung und trinken mehr. Edmont und Achim spielen Dart. Franco konnte mit ihnen nicht mithalten und hat geschworen, daß Gottes Rache grausam sein würde. Jetzt sitzt er wieder an unserem Tisch und läßt sich darüber aus, wie albern Dartspielen ist. Hagen bestellt eine Runde Bier und einen Rotwein. Während wir warten, erzählt Franco von seiner Idee, einen neuen Radiosender ins Leben zu rufen.
– Ausschließlich Musik aus den 70ern. Soul, Pop und nochmal Soul. Kein Gelaber, keine Nachrichten, nur ein einziger Werbeblock jede Stunde, denn davon kommt die Kohle. Macht doch Sinn, oder?
Ich gebe ihm Recht, das macht Sinn. Hagen erklärt, daß er sich nur für klassische Musik interessieren würde. Ich weiß, daß er drei Jahre auf dem Hamburger Konservatorium war, ehe er das Antiquariat übernahm. Er spielt noch immer Geige. Franco schnaubt, er findet, Klassik wäre was für frigide Frauen, die auf frigide Männer stehen. Hagen fühlt sich nicht beleidigt, es gibt kaum etwas, was ihm nahegeht. Rod Stewart gibt einen Schrei von sich. Hot Legs setzt ein, und Franco stellt anerkennend fest, daß wohl jemand in diesem verdammten Pub Geschmack hat, denn das wäre genau die Musik, von der er die ganze Zeit über sprechen würde. Ich nicke mal wieder zustimmend, denn ich weiß, daß Franco die Jukebox vorhin selbst gefüttert hat. An manchen Tagen ist Gott sehr durchschaubar.
Als Achim und Edmont das Bier an sich vorbeiziehen sehen, geben sie das Dartboard frei und setzen sich zu uns an den Tisch. Die Narbe in Achims Nacken steht weiß hervor, Edmont dagegen wirkt sehr entspannt, er hat das Spiel gewonnen, verliert aber kein Wort darüber. Wir stoßen an. Es ist nach Mitternacht, der Pub schließt um zwei, die Stimmung könnte nicht besser sein. Mir bleiben noch gute eineinhalb Stunden. Ich wünschte, es wäre ein Jahr.
– Ich muß euch etwas erzählen, sage ich mitten in eine Diskussion über die Gaspreise hinein und bin überrascht, daß sie mir sofort zuhören. Ich atme tief durch und mit dem Durchatmen setzen sich die Flußkiesel in meinem Kopf langsam und träge in Bewegung, als hätte ich sie aus einem tiefen Schlaf geweckt. Erst einer, dann zwei. Das Wasser reißt sie mit. Keine Kanten, keine Ecken mehr, nur das Schaben von Stein auf Stein, als sie sich lösen. Seit einem Jahr arbeite ich auf diesen Moment hin. Ich habe mir Zeit gelassen. Der Winter hat sich jetzt erst auf die Stadt gestürzt, es hätte mir nichts genützt, diese Männer vorher kennenzulernen, denn das hier ist ihre Zeit.
Der Schweiß steht mir auf der Stirn, mein Mund ist trocken. Ich trinke meinen Wodka Lemon und die Eiswürfel schlagen mir schmerzhaft gegen die Vorderzähne. Ich sehe zwar Sympathie, begreife aber gleichzeitig, daß ich nach all unseren gemeinsamen Abenden noch immer nicht zu ihnen gehöre, trotzdem mögen sie mich und das ist ein gutes Zeichen. Ich bin dankbar und sage es ihnen.
– Ich wollte mich bedanken. Wie ihr mich die letzten Wochen aufgenommen habt, ihr …
Ich verstumme, mir fehlen die Worte, wir Männer und unsere verhaltenen Emotionen. Ich wische mir über den Mund. Genug ist genug. Ich mache weiter.
– Es ist mir peinlich, aber ich will, daß ihr mich versteht. Meine Frau und ich … Ich habe euch ja erzählt, daß sie mich verlassen hat, ich habe euch aber nicht erzählt, was der Grund gewesen ist. Ich … Ich weiß einfach nicht, wohin mit mir.
Ich zeige ihnen meine Hände, sie zittern, keine Tricks dahinter.
– Manchmal wache ich nachts auf und halte mich an der Matratze fest, damit ich nicht aufstehe, so hungrig bin ich.
Schweigen am Tisch. Die Musik spielt weiter, die Gespräche um uns herum sind ein Murmeln, der Dartautomat dudelt, aber ich höre nichts davon, denn ich sitze plötzlich in einem Kokon aus Stille. Vier Männer sehen mich an. Ihre Blicke sprechen zu mir. Ich soll aufhören, drumherum zu reden. Ich soll zum Punkt kommen. Also komme ich zum Punkt und schließe kurz die Augen und denke an meine Tochter, und sofort öffnet sich der Schmerz hinter meinen Schläfen wie ein Fächer aus Dornen. Fünf Sekunden vergehen. Fünf Sekunden können alles entscheiden. Ich sehe ihnen in die Augen. Meine Stimme ist ein Flüstern, als ich sage:
– Ich hungere nach meiner Tochter. Ich träume von ihr. Ich will sie. So sehr. Ihr seid Männer, ihr versteht das doch, oder? Ich meine … Bitte, versteht mich. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Ich will sie, versteht ihr mich? Ich will sie.
Blicke. Regungslos. Still. Ich warte. Ich warte, daß sie aufstehen, daß sie gehen, daß sie mich verlachen. Alles ist möglich. Hagen hat sich ein wenig zurückgelehnt, als bräuchte er Abstand zu mir, sein Lockenkopf ist schräg gelegt. Edmonts Brauen sind so weit hochgezogen, daß sein ledernes Gesicht glatt und jung aussieht. Ich bete, daß ich nichts Falsches gesagt habe. Franco sitzt da, als wäre er aus Stein gemeißelt. Achim hat sich als einziger nicht unter Kontrolle. Sein Gesicht zuckt, das Kinn zittert, er spuckt mir die Frage über den Tisch entgegen.
– Was hast du da gesagt?!
Ich senke den Blick, ich stammle:
– Bitte, versteht mich. Ich … Ich habe niemanden, dem ich das erzählen kann … Und ich dachte, ihr … Denn meine Frau … Sie ist …
Ich greife СКАЧАТЬ