Still. Zoran Drvenkar
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Название: Still

Автор: Zoran Drvenkar

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783945386019

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СКАЧАТЬ Edmont beugt sich über den Tisch, da ist keine Harmonie mehr, seine Stimme ist ein Zischen.

      – Du willst was?!

      Sein Speichel trifft mich im Gesicht. Ich rieche die letzte Zigarette in seinem Atem und will aufstehen und verschwinden, aber Achim ahnt, was ich vorhabe. Er drückt mich runter, sein Griff ist fest an meiner Schulter, er rutscht näher, so daß ich seinen Bauch spüren kann. Es ist fast schon obszön. Ich fühle die Hitze, die von ihm ausgeht, und lege die Hände flach auf den Tisch. Sie zittern heftig. Ich bin in Panik. Ich gebe auf.

      – Es tut mir leid, flüstere ich.

      – Du willst was?! wiederholt Edmont.

      – Antworte dem Mann, sagt Franco.

      – Ja, antworte ihm, sagt Achim.

      – Mach schon, drängt Hagen.

      Sie warten. Ich muß mit dem Geflüster aufhören. Meine Worte müssen rund sein. Ohne Kanten, ohne Ecken. Rund. Glatt. Und feucht. Feucht vor Lust.

      – Ich begehre meine Tochter, sage ich.

      Der Kokon ist gerissen. Die Worte sind raus. Der Lärm kehrt mit einem Mal zurück. Die Kellnerin lacht an der Theke, ein Stuhl scharrt über den Boden, die Gespräche brechen sich schrill in meinen Ohren. Ich kann es noch immer nicht glauben. Ich habe es getan, ich habe begehre gesagt. Die vergängliche Poesie der Verlangens. Ich habe es getan.

      Achim ist wieder von mir weggerückt, ich bin froh, seine Hitze und seinen Bauch nicht mehr zu spüren. Die vier Männer starren mich an, als hätte ich mich eben erst vor ihren Augen materialisiert – nicht wirklich überrascht, mehr so, als hätten sie gewartet und gewartet und da, endlich bin ich aufgetaucht.

      Sie wechseln einen Blick.

      Hagen schaut zu Franco, und Franco schaut zu Achim, und Achim sieht Edmont an, und dann brechen sie in Lachen aus. Franco beugt sich vor und tätschelt meine Wange, als wäre ich ein Boxer, der sich gut geschlagen hat. Edmont macht eine Faust und hält sie mir unter die Nase. »Grrrr!«, macht er, »Grrrr!«. Hagen legt den Kopf in den Nacken und stößt ein kurzes Heulen aus, während er mit den Händen auf die Tischplatte trommelt. Die Leute schauen rüber, sie haben keine Ahnung, was los ist, aber sie prosten uns dennoch zu, der Barkeeper zeigt uns einen Vogel, die Leute schauen wieder weg, Franco sagt:

      – Mensch, Mika! Alter Junge, sieh dich doch mal um. Siehst du, was ich sehe? Wir alle wollen doch unsere Töchter ficken, nur leider hat nicht jeder von uns das beschissene Glück, eine Tochter zu haben.

      – Leider, sagt Achim.

      – Leider, sagt Edmont und seufzt.

      – Schuldig, verkündet Hagen.

      Dann rufen sie nach der nächsten Runde.

      SIE

      Sie sind keine Brüder, sie sind keine Freunde. Sie leben außerhalb ihres Lebens ein zweites Leben und nennen es das wahre Leben. In diesem wahren Leben hat jeder seine festen Aufgaben. Jeder steht für sich selbst ein, und zusammen sind sie eins. Sie haben es von ihren Vätern gelernt, ihre Väter haben es von ihren Vätern gelernt, und so geht es über Generationen.

      Eine Fackel, die weitergereicht wird.

      Ein Licht, das nie verlöscht.

      Ihre Zeit ist der Winter, den Rest des Jahres planen sie und arbeiten an den Details der Jagd. Sie gehen dabei minutiös vor und halten immer eine respektvolle Distanz zueinander. Dabei sind sie wie ein See, und wenn das Eis den See bedeckt, ist ihre Zeit gekommen. Ihr normales Leben findet an der Oberfläche statt; unter der Oberfläche und fernab der Blicke toben ihre Seelen – hungrig, gierig und unersättlich. Niemand muß das sehen. Sie haben gelernt, diesen Hunger zu kontrollieren und die Gier in Schach zu halten. Sie haben schon in jungen Jahren von der Unsterblichkeit gekostet und wissen, daß sich ihr Hunger durch nichts stillen läßt. Nur Disziplin hält ihn in Grenzen. Diese Disziplin trennt den Barbaren vom zivilisierten Menschen.

      Es ist Sommer, und sie haben das Dach der Hütte repariert und einen Teil des wackeligen Zaunes um das Grundstück herum wieder aufgerichtet. In den letzten Jahren waren es immer dieselben Stellen, an denen die Wildschweine durchkamen. Bisher hat es nicht wirklich gestört, dann aber wurden zwei der Gräber aufgewühlt, und sie wußten, daß es so nicht weitergeht. Sie haben Fallen und Gift ausgelegt, aber es half so wenig wie der Zaun. Andere Maßnahmen mußten ergriffen werden. Die Gefahr ist zu groß, daß eine der Leichen ausgegraben, verschleppt und außerhalb des Grundstücks entdeckt wird.

      Die Jagd geht über zwei Tage und Nächte. Sie sind beharrlich. Sie weiten den Radius aus und geben solange keine Ruhe, bis sie mit der Ausbeute zufrieden sind. Am Morgen des dritten Tages lassen sie die Kadaver in eine Felsspalte fallen – acht ausgewachsene Wildschweine mit ihrer Brut. Danach herrscht Ruhe.

      Einer kundschaftet die Gegend aus und stellt den Zeitplan auf.

      Einer kümmert sich um die Ausrüstung und das Fahrzeug.

      Einer kontrolliert die Umgebung und die Nachbarn.

      Einer hält die Fäden in der Hand, wägt das Risiko ab und sagt, wann es soweit ist.

      Sie haben ihre Beute über einen Zeitraum von vier Monaten beobachtet. Jeder einzelne von ihnen muß seine Zustimmung geben. Zweifel sind dabei sehr wichtig. Nichts darf sich ihnen in den Weg stellen, die Planung muß perfekt und jeder Schritt durchdacht sein.

      Jetzt muß nur noch der Winter kommen.

      Es ist vor vier Jahren, und der erste Schnee stürzt gegen Mitternacht so schnell vom Himmel, daß die Stadt innerhalb weniger Stunden von einem angenehmen Schweigen umschlossen ist. Der Junge heißt Linus Holm und ist sehr zufrieden mit der Kälte. Er hat beschlossen, in diesem Winter so lange Rad zu fahren, bis es nicht mehr geht. Seine Freunde haben untereinander Wetten abgeschlossen, wie lange er durchhalten werde; seine Eltern halten ihn für verrückt. Linus weiß, daß der Schnee sein Freund ist.

      Am Morgen gleitet er auf seinem Fahrrad durch die Straßen und fühlt sich wie ein Entdecker. Er ist zehn Jahre alt und lebt mit seiner Familie in einer Kleinstadt südlich von Bremen. Am Nachmittag verläßt er die Schule und fährt auf Umwegen nach Hause. Seine Reifen schnurren durch die dünne Schneedecke und hinterlassen eine nervöse Spur. Zu Hause lehnt er das Rad an die Fassade und betritt die Küche durch den Seiteneingang. Langsam taut sein Gesicht auf, und die Fingerspitzen prickeln. Er nimmt Cornflakes aus dem Regal, füllt eine Schale und begießt die Cornflakes mit Milch und Ahornsirup.

      Als seine Eltern nachhause kommen, steht die Schale auf dem Tisch, und die Cornflakes haben die Milch aufgesogen, so daß kein Tropfen übriggeblieben ist. Sie finden keine Spur von ihrem Sohn. Sein Fahrrad lehnt an der Hauswand, sein Zimmer ist verlassen, der Hausschlüssel liegt neben dem Eingang auf dem Beistelltisch. Um die Stiefel herum hat sich eine Pfütze gebildet.

      Die Eltern wissen es nicht, aber sie werden den Jungen nie mehr wiedersehen. Nach einem halben Jahr werden sie das Fahrrad in die Garage stellen. Die Zeit wird sie mit sich reißen, sie werden versuchen, ein zweites Kind zu bekommen, sie werden sich alle Mühe geben, ihr Leben so zu führen, als könnte ihr Sohn jeden Moment durch die Tür treten. Kein Tag wird vergehen, an dem sie nicht auf seine Rückkehr warten. Ihre Liebe wird sie zusammenschmieden. Liebe und Hoffnung. Denn mehr bleibt einem nicht, wenn СКАЧАТЬ