Название: Von kommenden Dingen
Автор: Walther Rathenau
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783940621368
isbn:
3. Mechanisierung ist nicht aus freier und bewußter Vereinbarung, aus dem ethisch geläuterten Willen der Menschen entstanden, sondern unabsichtlich, ja unbemerkt aus den Bevölkerungsgesetzen der Welt erwachsen; trotz ihres höchst rationalen und kasuistischen Aufbaues ist sie ein unwillkürlicher Prozeß, ein dumpfer Naturvorgang. Un- [47] ethisch auf dem Gleichgewicht der Kräfte, auf Kampf und Selbsthilfe beruhend, wie etwa der Urzustand im Lebensgleichgewicht eines Waldes, verbreitet sie eine Weltstimmung, die, rückwärts gewandt über die frühe Arbeit des Christentums, über die politische und theokratische Ethik der Mittelmeerkultur hinweggreifend, unter der Deckung und Maske der Zivilisation abermals auf primitive Menschheitszustände hinstrebt. Denn diese Stimmung ist Kampf und Feindschaft.
Das menschliche Herz schlägt zu warm, es ist zu bedürftig der Anlehnung und Liebe, als daß der Haß als offne, weltverzehrende Flamme ausschlagen dürfte; doch je härter und spröder das Geschlecht, das der Mechanisierung erliegt, desto tückischer nagt der innere Brand im knirschenden Getriebe.
Der frühere Mensch goß seine Kraft und Liebe in sein Werk; er war um des Dinges willen da; die Menschen standen abseits, er bedurfte ihrer zum seltnen Austausch, zum gemeinsamen Schutz oder zum Dienst. Im engen Kreise umgaben ihn die Seinen, die er hegte, im weitern die Genossen, denen er Treue hielt, in fernerem Abstand die Feinde, die er bekämpfte. Der neue Mensch lebt nicht um eines Dinges willen; er strebt nach dem neutralen Gut des Besitzes, nach dem unverkörperten Begriffe einer relativen, doch beliebig ausdehnbaren Machtsphäre; sein Lebensinhalt ist nicht die Sache, die zum Mittel herabsinkt, sondern die Laufbahn. Durch Menschenmauern hindurch muß sie gebrochen werden; wohin er blickt, wo immer er stehen möchte, steht ein andrer, der ist sein Feind. Um Bresche zu reißen, bedient er sich des [48] Genossen, der Gefolgschaft; nicht aus Liebe führt er sie, folgen sie ihm, sondern aus Interesse; jeder ist dem andern Mittel, das aufgegeben wird, wenn es nicht mehr dient. Dem Produzenten ist der Mitmensch Konkurrent, das ist Feind, Abnehmer, das ist Mittel; Lieferant, das ist Feind, Sozius, das ist Mittel. Wem er sich nähert, von dem will er etwas, wer sich ihm nähert, der will etwas von ihm, so sind beide auf der Hut, und ihre Stimmung ist feindliches Mißtrauen. Deshalb erscheint es jedem einerseits gefährlich, anderseits ungeziemend, im Fremden den Menschen zu wecken; es ist Herkommen, ihn wie Luft zu behandeln, bis die blöde Konvention der Namensnennung den landesüblichen Schutz eines kalten Respekts gesichert hat. Der menschenfreundliche Schwärmer, der sich über die Form hinwegsetzt, wird, wenn er nichts zu bieten hat, kühl abgetan; hat oder vermag er Begehrenswertes, so fühlt er bald zum Dank seines Vertrauens sich zum Mittel erniedrigt. Er teilt mit Recht das Schicksal derer, die einen Gesamtzustand statt durch Einwirkung auf Gesinnung und Gewissen durch Sonderexperimente beheben wollen. Deshalb klagen die Menschen so gern einander an und warnen sich wechselweise, rühmen sich ihrer schlechten Erfahrungen und erklären sich als Pessimisten der Menschenkunde. Sie wissen nicht, daß sie sich selbst verurteilen. Denn in der menschlichen Natur liegt diese Feindseligkeit und Niedrigkeit nicht, das Herz des Menschen ist zart wie seine nackte Haut, es ist der Rührung, dem Schmerz, der Neigung hingegeben. Was dies Herz verhärtet, ist die Angst; die Sklavenpeitsche der Mechanisierung, die niemals ruht, und deren Zischen. [49] Hunger, Verachtung, Entrechtung, Schmerz und Tod bedeutet. Freilich sind die Nöte an sich nicht furchtbar, sondern Wege des Heils; doch nur für den gläubigen Menschen; die Mechanisierung aber hat vorsorglich verstanden, um ein wenig Wissen und Zauberei ihm den Glauben abzukaufen.
Feindschaft von Mensch zu Mensch steigert sich zur Feindschaft von Gruppe zu Gruppe, Stamm zu Stamm, Volk zu Volk. Der Mensch ist zum Interessenten geworden; irgendeine kümmerliche Theorie hat ihm und seinesgleichen Abhilfe aller Bedrängnis versprochen, sie schließen sich zusammen, nennen's Partei oder Interessenvertretung, verallgemeinern ihre umgekehrten Beschwerden zu einem positiven Idealbegriff und entrüsten sich, daß der Widersacher, vom entgegengesetzten Interesse ausgehend, nicht zum gleichen Ideal gelangt. In dieser an Spielarten so ergiebigen Zeit ist nichts schwerer zu finden als ein Mensch, dessen Überzeugung und Ideal sich nicht mit seinen Interessen deckt; diese verzweifelte Erfahrung führt dazu, daß es ernste Denker gibt, die eine Weltanschauung, eine transzendente Überzeugung überhaupt nicht mehr als eine Form der Erkenntnis, als einen Abglanz des Ewigen dulden, sondern vielmehr darin nur eine Art von Charakter- und Interessenumsetzung, gewissermaßen eine Krankengeschichte, eine idiosynkratische Sonderlichkeit erblicken. Soweit geht das Vertrauen zur Positivität der Interessen, zur Alleinherrschaft des Intellekts, zur Erdgebundenheit des Gefühls.
Welches Interesse hat nun die Mechanisierung, durch Angst und Not, durch Feindschaft und Kampf ihre Opfer auf die Höhe der Leistung zu [50] treiben? Ahnt sie nicht, daß alles Größte der Welt Werk der Liebe und brüderlicher Gemeinschaft gewesen ist? Zweifelt sie daran, daß Not zwar Eisen bricht, Glaube aber Berge versetzt?
Mag sie es ahnen, doch gleicht sie darin dem armen Satan, daß sie in den Höhen machtlos ist. Sie hat sich verpflichtet, den Menschen mit tausendfach vermehrter Sippe zu nähren, zu unterhalten und zu bereichern, und hält diesen Pakt. Ihre Mittel sind kunstvoll und erfinderisch, aber gemein, denn aus gemeiner Not entstammt sie; den edleren Menschen drückt sie hinab, den niedern zieht sie empor; bis zu ihrer eigenen Höhe, nicht höher. Nun kennt sie ihr Knechtsgefolge; den Glauben hat sie vernichtet, zum guten Willen hat sie wenig Vertrauen, mit Angst und Plage kommt sie zurecht. Wo Wetteifer nicht ausreicht, erzwingt es die Konkurrenz, wo Bruderhilfe erlahmt, erzwingt es der Kampf, wo Volksgemeinschaft ermangelt, erzwingt es die Klassenschichtung. Und abermals in allen diesen Mitteln herrscht der uralte Trieb des Neides, des Hasses, der Angst und Begierde, unter dessen Aspekt die Mechanisierung erzeugt ward.
Auch daran erinnert sie sich ihres Ursprungs, daß sie die Menschen verfolgt, die nicht nach ihrem Bilde geschaffen sind. Der freie Mensch der Phantasie, der Träumer des Göttlichen, der hingegebene Freund der Dinge und Geschöpfe, der Liebende, der für den kommenden Tag nicht sorgt und das Fürchten nicht lernt, ist ihr ein träger und verträumter Knecht. Noch über ein kurzes duldet sie ihn hinterm Pflug, in der Front, auf fremden Meeren, dann denkt sie sein Werkzeug durch Maschinen, ihn selbst durch Schlauere zu [51] ersetzen. Des Menschenfreundes, der glaubt, daß die Seele nach dem Worte der alten Schrift ans Blut gebunden ist, bemächtigt sich Verzweiflung, denn das beste Blut entströmt unwiederbringlich. Wer aber glaubt, daß der Geist das Blut beherrscht, daß aus Steinen Abrahams und Deukalions Same erweckt werden kann, der wird dies verrinnende Blut als die Opfergabe preisen, die dem Geist Befreiung aus mechanistischen Banden verbürgt.
Wir wissen, daß alle Güter dieser Erde nichts sind als amorpher Rohstoff, weder gut noch böse, weder wert noch unwert, solange sie nicht zu zweiter Natur wiedergeboren sind. Die Güte, die aus Gewöhnung und freundlicher Anlage kommt, nicht wiedergeboren aus Stärke des Herzens, ist keine Güte; Natur, durch kein vergeistetes Auge neu erzeugt, ist nicht Natur; das Meisterwerk gewinnt seine Freiheit, indem es durch Kunst zur Natur wiedergeboren wird; der Mensch selbst, ungeläutert durch Fall, Bewußtheit und Aufstieg, bleibt im Seelenhaften ungeboren. Die Wiedergeburt durch Bewußtheit und freien Willen zur Pflicht und zum Liebeswerk war dem mechanistischen Wesen noch nicht beschieden; noch ist es ungebrochenes Natur- und Kriegswerk, in gleichem Stande wie Selbstverteidigung vor Anbruch des Gesetzes oder Ernährung ohne Erkenntnis des Eigentums. Und doch ist die Mechanisierung sittlicher Durchgeistigung fähig; ihr höchster und edelster Teil, der Staat, hat durch vorzeitliche Weihen sie erfahren und könnte ohne diese Verklärung seiner Sendung nicht bestehen. Freilich fließen die tausendfachen Attribute des Staates aus ehrwürdigeren Quellen; Heimatsliebe, Stam- [52] mesgenossenschaft, nationale Gemeinschaft, des Kulturbesitzes und Erlebens, religiös-theokratische Verschwisterung des Empfindens haben sein Reich ins Übernatürliche gesteigert. Doch es entscheidet nicht die Herkunft, sondern die immanente Notwendigkeit des Wesens; es entscheidet das Bewußt sein, daß die geheiligte Institution höher steht als die Notdurft des einzelnen, die Ahnung, daß der Mensch nicht um eines irdischen Glückes willen geschaffen ist, sondern СКАЧАТЬ