Von kommenden Dingen. Walther Rathenau
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Von kommenden Dingen - Walther Rathenau страница 10

Название: Von kommenden Dingen

Автор: Walther Rathenau

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783940621368

isbn:

СКАЧАТЬ ein Reporter, dem diese Dinge an sich erfüllt und stupend sind, sondern den Blick auf das Gesetz der Sterne gerichtet, dem unsre Herzen gehorchen.

      [64] Nochmals sei nach diesen Einwendungen aufs kürzeste die Frage ausgesprochen: Wie setzt sich die transzendente Aufgabe in die pragmatische um? Die transzendente Aufgabe lautet: Wachstum der Seele; wie lautet die pragmatische?

      Sicherlich lautet sie nicht: Steigerung des Wohlstandes. Selbstverständliche und leicht erfüllbare Menschenpflicht ist die Beseitigung aller Not und drückenden Armut; die Kosten eines Rüstungsjahres würden ausreichen, um die Blutschuld der Gesellschaft zu tilgen, die heute noch den Hunger und seine Sünden in ihrem Schoße duldet. Doch diese Aufgabe ist so einfach, so mechanisch, trotz ihrer herzzerreißenden Dringlichkeit so trivial, daß sie eher der polizeilichen als der ethischen Vorsicht zugeschrieben werden sollte. Was darüber hinausgeht, bleibt im letzten Sinne gleichgültig. Noch immer zeugt und trägt die Erde so viel, daß der Gesamtheit Nahrung, Kleidung, Werkzeug und Muße zur Genüge erwächst, sofern sie nur im rechten Maße schaffen, verbrauchen und genießen will. Mag Reichtum als Voraussetzung gehobener Lebensform gelten und bleiben: eine Gemeinschaft von Millionen schaffender Menschen ist in sich unendlich reicher als die berühmten Kleinstädte des Altertums und der Mittelzeit; ein Bahnhof verschlingt hundertfach die Arbeitsleistung des Parthenon; und bleibt der Geist edleren Lebens wach, so findet er Stoff und Werkzeug zur Verkörperung.

      So wenig wie Wohlstand ist Gleichheit die äußere Forderung unsrer Seelen. Welcher irregeleitete Gerechtigkeitssinn konnte je auf die Forderung der Gleichheit verfallen? Wie wenig wissen wir vom [65] tiefsten Innern unsres Nächsten: Worte sind vereinbarte Botschaften über unverglichene Dinge; wir beide nennen rot, was bekannte Reihen von Gegenständen als Farbe ausstrahlen, und wissen doch nicht, ob die Rotempfindung des einen nicht gar der Grünempfindung des andern entspricht. Mut: dem einen das angeborene ahnungslose Gefühl der Unbedachtsamkeit, dem andern die furchtbarste Entscheidung des Seelenkampfes zwischen zwei Gefahren; Tugendreinheit, dem einen versuchungsfreie Gewohnheit glückererbten Lebens, dem andern frühverlorenes, traumersehntes Kleinod; Glück, dem einen ein göttlicher Strom aus jeder Offenbarung der Natur, dem andern ein künstliches, nie vollendetes Gebäude aus tausendfacher, nie gestillter Wunscherfüllung: diese Kontraste hat Natur hinter Menschenstirnen verborgen; sie zu mildern hat sie einem jeden den Weg gewiesen zu unendlicher Mannigfaltigkeit des Daseins, des Schaffens und Leidens, damit jeder Drang sein Gleichgewicht, jede Einseitigkeit ihre ausgleichende Umwelt finde: Was kann ungerechter in die Gnade dieses Planes eingreifen als mechanische Gerechtigkeit? So, wie die Ungleichheit zweier Höhen sich dem Auge verschärft durch die Wahl gleicher Basis, so muß die Ungleichheit der Geschöpfe bis zur Karikatur hervortreten bei gewaltsamer Ausgleichung der Lebensbedingungen. Wir finden uns damit ab, daß Mechanismen des Lebens, die der radikalen Ordnung dienen: Strafrecht und Polizei, Verkehr und Handelsrechte zur Gleichheit streben, die den Schlechteren gegen den Besseren schützt; was darüber hinauslangt, ist unbedachter Drang eines verirrten Gerechtigkeitsgefühls, das [66] nicht der Verantwortung, sondern dem Neide entspringt.

      Niemals kann Gleichheit die irdische Forderung unsres seelischen Lebens verwirklichen. Kann es die Freiheit?

      Freiheit! Nächst der Liebe der göttlichste Ton unsrer Sprache — und dennoch, wehe dem, der in unserm Lande vertrauensvoll und begeistert ihn ohne Umschweif vernehmen läßt. Auf ihn stürzen sich Schulmeister und Polizisten, gewappnet mit allen Distinktionen der Philosophen und allen Vorurteilen des Sicherheitsstaates, und beweisen ihm, daß die höchste Freiheit nur in der höchsten Unfreiheit liege, so daß als Freiheitskampf allenfalls ein Landeskrieg bezeichnet werden dürfe.

      Wer wird Freiheit mit Zügellosigkeit verwechseln? Wer jedoch mir zumutet, daß schließlich auch mein Wille unfrei sei, daß die Autorität und Partei, der ich mich anschließe, rückwirkend meine Freiheit begrenzt, daß der Gegner, den ich bekämpfe, mich einschränkt, daß der menschliche Gleichgewichtszustand Beengung verlangt, der treibt Spitzfindigkeit mit halben Wahrheiten und drischt leeres Stroh.

      Ein Baum wächst in Freiheit. Das bedeutet nicht, daß er sich auf und davon machen oder in den Himmel wachsen kann; daran hindert ihn die Begrenzung seiner Natur. Es bedeutet auch nicht, daß eine Zelle seines Stammes in die Krone wandern, daß ein Blatt sich in eine Blüte verwandeln, ein Ast über alle übrigen hinauswachsen darf; das verbietet das innere organische Gesetz. Dies Gesetz herrscht in Freiheit und durch Beschränkung. Es gebietet, daß der Stamm trage und nähre, dass [67] die Blätter atmen und die Wurzeln saugen, daß das Sonnenjahr mit Keim und Blüte begrüßt, mit Frucht gesegnet und mit Einkehr beschlossen werde.

      Nun wird der Baum ummauert. Wurzeln und Zweige sind an der Entfaltung gehemmt, Wind und Sinne abgewiesen; das verkümmerte einseitige Wachstum steht unter verändertem Gesetz; so alt es sein mag, es ist nicht das eigene, es ist nicht Ausdruck innerer organischer Notwendigkeit, nicht mehr gewollte Selbstbeschränkung, sondern äußeres, gewaltsames Schicksal; an die Stelle der Freiheit tritt der Zwang.

      Mag es schwer sein, Freiheit zu umschreiben; ihr Gegensatz, der Zwang, ist leicht zu erkennen. Er ist für jeden Organismus, Mensch, Volk oder Staat dasjenige innere oder äußere Gesetz der Hemmung, das nicht von innerer Notwendigkeit des eigenen oder des umfassenden Wesens verhängt ist. Kriterium für Zwang und Freiheit ist somit die Notwendigkeit; gefordert wird von den Befürwortern gottgewollter Abhängigkeiten der Nachweis, daß diese Notwendigkeit in Wahrheit und in solchem Maße besteht, daß die Aufhebung der Hemmung zum Zusammenbruch oder zur Verkümmerung des Organismus führt. Verwegene Überhebung ist es, in der Abhängigkeit an sich den Selbstzweck zu erblicken; dieser Gedanke führt zur Sklaverei; nur die organische Notwendigkeit erträgt den Namen des Gotteswillens.

      Liegt die Ursache der Beschränkung und Abhängigkeit nicht in der Lebensnotwendigkeit des eigenen oder umfassenden Organismus, sondern im Willen und der Gewalt eines fremden Organismus, so ergibt sich der Stand der Knechtschaft.

      [68] Knechtschaft und Sklaverei laufen dem Sinne des Christentums nicht zuwider. Sie sind Schickungen, die das äußere Leben behindern, die Entfaltung der Seelenkräfte, das Nahen des Gottesreiches nicht ausschließen. Epiktets Herzensgewalt wuchs in der Knechtschaft, die Blüte des christlichen Mittelalters entsproß dem Kloster. Doch unsre Frage ist anders gestellt; wir wollen nicht wissen, wie der einzelne durch die Gnade innerer Freiheit ein unabänderliches Schicksal überwindet; wir wollen die gerechte Form des Lebens finden, die den Seelenweg der Menschheit öffnet. Dieser Weg aber verlangt organische Entfaltung, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung; er kann nicht der Weg des Zwanges sein noch der vorbestimmten Abhängigkeit. Wir wissen eins: Knechtschaft ist der Gegenpol der seelischen Forderung.

      Keinen ihrer Ruhmestitel schlägt unsre Zeit höher an als die Überwindung der Sklaverei. Leibeigen ist niemand; Untertan heißt der Mensch nur noch in anmaßenden Erlassen; er selbst nennt sich Staatsbürger, genießt ungezählte persönliche und politische Rechte, gehorcht niemand als der Staatsgewalt, bündelt, wählt und verwaltet. Er verdingt sich nicht, sondern schließt Arbeitsverträge, er ist nicht Knecht und Geselle, sondern Personal, Arbeitnehmer und Angestellter; er hat keinen Brotherrn, sondern einen Arbeitgeber, und der darf ihn nicht schelten noch strafen. Er kann kündigen und seiner Wege gehen, er darf feiern und wandern, er ist, wie er sagt, ein freier Mann.

      Und doch seltsam! Gehört er nicht zu den wenigen, die man gebildet und vermögend nennt, so sitzt er nach wenigen Tagen in den Räumen eines [69] andern Arbeitgebers, bei der gleichen achtstündigen Arbeit, unter der gleichen Aufsicht, mit gleichem Lohn und mit gleichen Genüssen, mit gleicher Freiheit und mit gleichen Rechten. Niemand zwingt ihn, niemand tritt ihm in den Weg, und dennoch verläuft sein frühalterndes Leben ohne Muße und ohne Sammlung. Die mechanische Welt tritt ihm entgegen als ein verworrenes Rätsel, das eine Parteizeitung einfarbig beleuchtet; die höhere Welt erscheint im Ausschnitt einer billigen Predigt und eines populären Abrisses; der Mensch erscheint als Feind, wenn er dem fremden, als wortkarger Genosse, wenn er dem eigenen Kreise angehört, der Arbeitgeber als Ausbeuter, der Arbeitsraum als Knochenmühle.

СКАЧАТЬ