Von kommenden Dingen. Walther Rathenau
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Название: Von kommenden Dingen

Автор: Walther Rathenau

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783940621368

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СКАЧАТЬ in beiderlei Form. Doch wiederum seltsam! Im behördlichen Leben bleibt der Mensch stets Objekt; Subjekt sind die andern, gleichviel ob sie als militärische Vorgesetzte ihn duzen, als Richter aburteilen, als Polizei und Beamte ihn behandeln, ausfragen, verwalten. Er mag sich verbünden und organisieren, versammeln und demonstrieren, er bleibt der Regierte und Gehorchende, auf den goldnen Stühlen sitzen die gleichen, die in breiten Straßen unter Bäumen wohnen, in Wagen fahren und sich grüßen; sie tragen die Verantwortungen, die Würden und die Macht.

      Doch das bürgerliche Leben ist frei. Hier herrscht der Wettbewerb, der Starke und Kluge mag wagen und gewinnen, hier beschränken ihn nur notdürftige Gesetze und Regeln; dieser Kampfplatz steht allen offen. Und abermals: der Eintritt gelingt nicht. Der Kreis ist heimlich geschlossen, sein Bundes- [67] merkmal ist Geld. Wer hat, dem wird gegeben; was einer besitzt, das vermehrt sich, doch zunächst muß er besitzen. Er besitzt, was seinen Vorfahren gehörte, was sie ihm als Erziehung und Kapital hinterließen. In reichen, unerschlossenen Ländern mag es gelingen, daß der ersparte Pfennig sich mehrt; je älter und unergiebiger das Land, desto teurer der Einkauf in den werbenden Stand.

      So erheben sich gläserne Mauern von allen Seiten, durchsichtig und unübersteiglich, und jenseits liegt Freiheit, Selbstbestimmung, Wohlstand und Macht. Die Schlüssel des verbotenen Landes aber heißen Bildung und Vermögen, und beide sind erblich.

      Deshalb schwindet die letzte Hoffnung des Ausgeschlossenen: seinen Kindern möchte beschieden sein, was ihm selbst versagt war; er scheidet aus der Welt mit der Erkenntnis, daß seine Arbeit nicht ihm, nicht seinen Nachkommen, sondern andern und ihren Nachkommen diente, daß auch ihr Schicksal erblich, vorbestimmt und unentrinnbar sei.

      Was bedeutet das? Das bedeutet nicht die alte Knechtschaft, die persönlich war, und indem sie die Schicksale zweier Menschen oder zweier Familien, widernatürlich zwar, doch unter einem Dach verband, die letzte menschliche Gemeinschaft und Anteilnahme aufrechthielt. Dieses Verhältnis bedeutet unter dem Scheine der Freiheit und Selbstbestimmung eine anonyme Hörigkeit, nicht von Mensch zu Mensch, sondern von Volk zu Volk, unter beliebigem Austausch der Beziehung, jedoch unter dem unverbrüchlichen Gesetz der einseitigen Herrschaft. Dieses erbliche Diensttum besteht in allen Ländern des alten Zivilisationskreises, es besteht unter Bevölkerungsklassen gleichen Stammes, [71] gleicher Sprache, gleichen Glaubens und gleicher Sitte und nennt sich Proletariat.

      Mit der Forderung der seelischen Freiheit und des seelischen Aufstiegs vertragt es sich nicht, daß die eine Hälfte der Menschheit die andre, von der Gottheit mit gleichem Antlitz und gleichen Gaben ausgestattete, zum ewigen Dienstgebrauch sich zähme. Man wende nicht ein, daß beide Hälften nicht sich, sondern der Gemeinschaft leben und schaffen; denn die obere Hälfte wirkt unter freier Selbstbestimmung und unmittelbar, die untere wirkt, indem sie ohne Blick auf ein sichtbares Ziel mittelbar und im Zwange der oberen dient. Niemals sieht man einen Zugehörigen der oberen Schicht freiwillig niedersteigen; der Aufstieg der unteren aber wird durch Vorenthalt der Bildung und des Vermögens so vollkommen verhindert, daß nur wenige Freie in ihrem Kreise einen Menschen erblicken, der selbst oder dessen Vater den untersten Ständen angehört hat.

      Trägheit und Vorteil sind starke Kräfte, wenn sie dahin wirken, sich mit dem Gegebenen abzufinden. Die Abschaffung der Sklaverei in Amerika, der Leibeigenschaft in Rußland hat leidenschaftliche Teilnahme erfahren, vor allem bei den Nichtgeschädigten; die Besitzer menschlicher Haustiere verteidigten ihre Einrichtung mit gleichen Gründen, wie heute Geistliche, Staatsmänner und Kapitalisten sie für die Notwendigkeit der Unfreiheit anführen: gottgewollte Abhängigkeit, Dienst, gleich viel an welcher Stelle, Demut und Selbstbescheidung; und auch hier gelten die Argumente stets für die andern.

      Daß die im Rechte und Besitz Beharrenden ihre [72] hartherzige Meinung im besten Glauben vertreten, weil ihnen das Bestehende so absolut gültig, so festgefügt, unabänderlich und unersetzlich scheint daß nur der allgemeine Zusammenbruch an seine Stelle treten könnte, diese urteilslose Einseitigkeit und unfreiwillige Verhärtung hat nichts so sehr verschuldet wie der Kampf und Kampfplan der sozialistischen Bewegung.

      Diese Strebung trägt den Fluch ihres Vaters, der nicht ein Prophet war, sondern ein Gelehrter, der sein Vertrauen setzte nicht in das menschliche Herz, dem alles wahrhafte Weltgeschehen entspringt, sondern in die Wissenschaft. Dieser gewaltige und unglückliche Mensch irrte so weit, daß er der Wissenschaft die Fähigkeit zuschrieb, Werte zu bestimmen und Ziele zu setzen; er verachtete die Mächte der transzendenten Weltanschauung, der Begeisterung und der ewigen Gerechtigkeit.

      Deshalb hat der Sozialismus niemals die Kraft gewonnen, zu bauen; selbst wenn er unbewußt und ungewollt in seinen Gegnern diese produktive Kraft entzündete, verstand er die Pläne nicht und wies sie zurück. Nie hat er auf ein leuchtendes Ziel zu weisen vermocht; seine leidenschaftlichsten Reden blieben Beschwerden und Anklagen, sein Wirken war Agitation und Polizei. An die Stelle der Weltanschauung setzte er eine Güterfrage, und selbst dies ganze traurige Mein und Dein des Kapitalproblems sollte mit geschäftlichen Mitteln der Wirtschafts- und Staatskunst gelöst werden. Mag hie und da ein unbefriedigter Denker Auswege ins Ethische, Reinmenschliche, Absolute gesucht und angedeutet haben: diese Gewalten wurden niemals als die Sonnenzentren der Bewegung verehrt, son- [73] dern allenfalls als matte Seitenlichter ästhetisch geduldet; im Mittelpunkt der Bühne saß der entgötterte Materialismus, und seine Macht war nicht Liebe, sondern Disziplin, seine Verkündung nicht Ideal, sondern Nützlichkeit.

      Aus der Verneinung entsteht Partei, nicht Weltbewegung. Der Weltbewegung aber schreitet Prophetensinn und Prophetenwort voran, nicht Programmatik. Das Prophetenwort ist ein einiges, ideales Wort; mag es Gott, Glaube Vaterland, Freiheit, Menschentum, Seele heißen: Besitz und Besitzverteilung sind ihm schattenhafte Nebendinge; selbst Leben und Tod, Menschenglück, Elend, Not, Krankheit und Krieg sind ihm nicht letzte Ziele und Gefahren.

      Niemals hat Sozialismus die Herzen der Menschheit entflammt, und keine große und glückliche Tat ist jemals in seinem Namen geschehen; er hat Interesse erweckt und Furcht geschaffen; aber Interessen und Furcht beherrschen den Tag, nicht die Epoche. Im Fanatismus einer düsteren Wissenschaftlichkeit, im furchtbaren Fanatismus des Verstandes, hat er sich abgeschlossen, zur Partei geballt, im unfaßbaren Irrtum, daß irgendeine einseitig losgelöste Kraft endgültig wirken könne. Doch der Dampfhammer vernichtet nicht den Eisenblock, sondern verdichtet ihn; wer die Welt umgestalten will, darf sie nicht von außen pressen, er muß sie von innen fassen. Erschließbar ist sie durch das Wort, das in jedem Herzen, wenn auch noch so schüchtern, widerklingt und es wandeln hilft; das blinde Pochen einer Partei von Interessenten täubt und verschließt die Ohren.

      Nimmt man alles in allem, in größten Zügen, [74] die rein politische Wirkung der sozialistischen Bewegung im Laufe dreier Geschlechter: so besteht abgesehen von geschäftlich-organisatorischen Wirksamkeiten die Summe ihres Waltens in der mächtigsten Steigerung des reaktionären Geistes, in der Zertrümmerung des liberalen Gedankens und in der Entwertung des Freiheitsgefühls. Indem der Sozialismus die Aufgabe der Völkerbefreiung zu einer Frage um Geld und Gut machte und unter diesem Banner die Massen gewann, wurde die Idee gebrochen; aus Unabhängigkeitsdrang wurde Begehrlichkeit; mancher innerlich Gebildete wandte sich ab, das Bürgertum erzitterte, die besitzende Reaktion sah sich durch Zulauf und bequeme Maßregeln doppelt gestärkt und lächelte über den armen Teufel der Masse, der Böses wollte, Gutes schuf, der Thron und Altar festigte, indem er Republik und Kommunismus anpries. Innerlich Interessentenvereinigung, äußerlich Beamtenhierarchie, verfiel der Sozialismus, der Weltbewegung werden sollte, dem Abstieg zur Partei, dem Wahn der Zahl, der populären Einheitsformel; im Gegensatz zu jeder echten Epoche verlor er an Wirksamkeit, je stärker er wuchs.

      Aus der Trägheit des Gewissens, die der Widerstand gegen traurige Nützlichkeitsparadiese, gegen Schalter- und Markenideale, gegen nüchterne Schausprüche und invektive Drohungen im Herzen Europas hinterlassen hat, aus dieser Trägheit müssen wir uns losreißen. Empfinden wir den Stachel der Würdelosigkeit, den die Knechtschaft verwandten, geliebten und göttlichen СКАЧАТЬ