Название: Draußen rauchen ist Mord am ungeborenen Baum
Автор: Fritz Eckenga
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862871988
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Beamer-Vortrag, dafür aber sauteurer Champagner satt. Die ganze Sause pro Nase um die 3.000 Ocken. Tja, Qualität koste halt, aber das müssten wir aufgeklärten und bewussten Verbrauchern wie den Anwesenden hier ja nicht erklären.
Von allen Plätzen des Tisches schauten uns die Geschwister Ekel und Abscheu an. Wir drückten unsere Kippen auf dem geölten Vollholzboden aus, warfen ein paar 50-Euro-Scheine auf den Tisch, riefen »Spende« und wünschten allen noch einen schönen Apfelpresstag.
* * *
Die Sonne stand tief über den schweigenden Wäldern Nordhessens. Das Abendrot wies uns den Weg in die Heimat. Westwärts. Als wir unser Zuhause erreichten, leuchtete ein fahler Vollmond über den Dachfirst und warf ein fast künstliches, neonartiges Licht in den Garten. Der Haselnussbaum war komplett skelettiert. Im Mondschein stand er da wie ein Requisit aus Francis Ford Coppolas Apocalypse Now. Fehlte nur noch der Walkürenritt und Robert Duvall: »I love the smell of napalm in the morning.« Wir schauten auf die Uhr. Noch fünf Minuten bis Allerheiligen. Ein hartes KLOCK. ZCK. Das Eichhörnchen hatte damit begonnen, den Carport des Nachbarn zu demontieren. Das Handy vibrierte. SMS von Gieseking. »Habe die finnische Staatsbürgerschaft beantragt. Werde heiraten. Tattoo etwas entzündet. Morgen will sie mir Ohren dranmachen.«
Es war wirklich ein zauberhafter Oktober. Die Kirchturmuhr schlug zwölfmal.
Endlich November.
Aschermittwochsbrief aus Westfalen
Liebe Rheinländer!
Ich weiß, Ihr singt lieber andere Lieder. Ich aber mag Musik und deswegen lasst es mich mit dem Urvater des US-amerikanischen Straßenkarnevals, lasst es mich mit Bob Dylan sagen: It’s all over now, Baby Blue.
Manche nennen es Kater, manche sagen Melancholie, die einen liegen in Essig, die anderen gehen in Asche und die meisten eint das Gefühl, dass an diesem traurigen Mittwoch nicht nur der Nubbel, sondern mit ihm auch der letzte Witz gestorben ist. Liebe Rheinländer, es ist mir vollkommen klar: Was Ihr jetzt am dringendsten braucht, ist erstens ein Kopfschmerzpulver aus Leverkusen, zweitens etwas sauer Eingelegtes auf der Zunge und drittens, falls Ihr heute durch Eure Innenstädte gehen müsst, eine Nasenklammer. Und natürlich: Das wenigste, was Euch jetzt trösten kann, ist ein fröhlicher Gruß aus Westfalen. Deswegen schicke ich Euch einen Eurer Verfassung angemessenen, einen verhaltenen, einen leisen grauen Gruß aus der Karnevals-Diaspora westliches Westfalen, also östliches Ruhrgebiet, was im übrigen aufs selbe rauskommt.
Liebe Rheinländer, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie vielen von Euch heute zumute ist. Und zwar nicht obwohl, sondern weil ich Westfale bin. Schwermut und Blues sind für uns keine Unbekannten. Hier bei uns kommen die beiden nämlich wesentlich häufiger vorbei als bei Euch. Wir brauchen keine tollen Tage, um aschermittwochs traurig zu sein. Wir sind da nicht so kalenderhörig, wir haben das auch schon mal dienstags oder donnerstags und wenn’s sein muss, auch im August bei 28 Grad im Schatten in der Eisdiele.
Ihr merkt hoffentlich, dass ich an Eurem heutigen höchsten Trauertag nicht die Gegensätze, sondern unsere Gemeinsamkeiten betonen will. Außerdem will ich als Westfale nicht verhehlen, dass ich Euch manchmal bewundere. Ja schon – auch ich kann mit Alkohol lustig sein. Und ja: Auch ich kann mich schon mal freuen, manchmal sogar verhältnismäßig begeistern. Das Doofe ist nur: Ich brauch’ dafür ‘n Grund.
Mit neidischen Grüßen
F.E.
Rund fünf Millionen Humoristen
Eine Annäherung
Was wäre die Ruhr-Region ohne ihren Humor? Sie wäre vor allem menschenleer. Der Mensch kann Humor haben, eine Region nicht. Wie denn bitte? Region besteht doch vor allem aus Gegend, also aus unbebauten, dafür aber bebaumten Flächen, aus Wäldern und, in für Normalwüchsige überschaubarer Ausfertigung, aus Asphaltrandbestrauchung, die je nach Hundeausscheidungsaufkommen ebenso dem baldigen Dahinscheiden geweiht ist wie die jede Normbestrauchung gemeinhin umrandende Berasung. Schön ist jedenfalls anders. Es sei denn, es ist Winter und die Laterne ist kaputt. Dann geht’s.
Solchermaßen ausgestatteter Region kann man sicherlich einiges zusprechen, zum Beispiel Gewöhnlichkeit, nicht aber Humor. Hat man denn je eine Lärche, einen Liguster oder eine Laterne lachen hören? Na siehste. Und wenn es sich doch mal ein klein wenig so anhörte wie, dann war es wohl doch nur wieder das vom strammen Südwest verursachte Quietschen im Wind, ganz bestimmt aber nicht das den wahren Humor kennzeichnende »Lachen über sich selbst«.
Ergo: Gegend hat keinen Humor. Weder das erwähnte Inventar, noch die die Gegend vervollständigenden, also in ihr herumstehenden umbauten Räume. Obwohl gerade die ihn am nötigsten hätten.
Hier geht es aber nicht um »Wohnbebauung« genannten Zynismus, also um Architektur, sondern um Menschlichkeit. Denn wenn es in einer Region Humor gibt, dann nur, weil sie bewohnt, vor allem aber beseelt ist. Im Falle des Ruhrgebietes von derzeit rund fünf Millionen Humoristen.
Denn wahrlich, ich sage euch: Die Menschen im Ruhrgebiet haben das Herz auf dem rechten Fleck. Ausnahmslos alle. Diese also durch und durch unkomplizierten, aufgeschlossenen, sympathischen, uneitlen, von harter körperlicher Arbeit geprägten, sich durch die Unbilden des Lebens nicht aus der Bahn werfen lassenden, also nach dem Hinfallen immer wieder aufstehenden, wie gesagt zu einhundert Prozent mit lebensbe-jahender Herzensbildung ausgestatteten und deswegen so liebenswerten Ruhries sind ja vor allem deswegen so liebenswert, weil sie ein so außerordentlich unkomplizierter, aufgeschlossener, uneitler, von harter Arbeit geprägter Menschenschlag sind, der durch die Bank das Herz auf dem rechten Fleck hat und sich nicht unterkriegen lässt.
Es sind vor allem solche von keinem weitergehenden Gedanken befeuerten Zuschreibungen, die die in der Ruhrregion ansässigen Menschen seit einigen Epochen über sich ergehen lassen, ohne erkennbar unter der Belastung zusammenzubrechen. Nicht wenige haben es sogar geschafft, die Vorurteile über sich so anzunehmen, dass sie nun selber glauben, wer, was und wie sie angeblich sind. Ahnungslose Schlaumeier halten das für einen psychischen Defekt. Dass wir es aber hier mit unabweisbaren Indizien für tief in den Menschen verwurzeltem Humor zu tun haben, erkennen die wirklichen Fachleute.
So etwa der große amerikanische Volksschriftsteller Mark Twain. Er wusste: »Die verborgene Quelle des Humors ist nicht Freude, sondern Kummer.«
Heimatloses Osterei
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