Draußen rauchen ist Mord am ungeborenen Baum. Fritz Eckenga
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Название: Draußen rauchen ist Mord am ungeborenen Baum

Автор: Fritz Eckenga

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783862871988

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СКАЧАТЬ schon andeutet, ein Einzelstück. Zum icePhone 2 ist es nie gekommen. Giesekings selbst entwickelte, nie lizensierte und deswegen auch nie in Serie gegangene Spezialversion des berühmten Apple-Smartphones hat eine Diesel-App, funktioniert aber auch mit Handkurbelstrom, und zwar ausschließlich in Gegenden, in denen kein Netzempfang möglich ist. Wir erreichten Gieseking im nördlichsten Finnland, in Lappland. Er saß am Rande eines mit linksdrehendem Eigenurin hergestellten Eislochs und verspeiste, wie er sagte, »die erste warme Mahlzeit seit Tagen«, eine Handvoll frisch geernteter Robbenleber. Wir schilderten unser Problem. Dr. Gieseking, der als Halbwüchsiger ein zweimonatiges Berufspraktikum als Fischtreppenhausmeister in den Katakomben der Edertalsperre absolviert hatte, riet zu einem Aufenthalt im Bundesland Hessen.

      »Ist von euch aus schnell zu erreichen. Wenn ihr Ruhe wollt, ist das das Sicherste. In der Nähe von Fulda gibt’s einen Ort, der ist wie für Euch gemacht, ›Sterbfritz‹. Total tote Hose. Aber nee, Moment, besser nicht, im Oktober sind da immer Theater-Festspiele auf der Freilichtbühne. Dieses Jahr inszeniert Guido Knopp die Biographie von Günter Grass, ›Ich war dabei‹. Nee, nee, bleibt mal lieber da weg. Fahrt lieber nach Nordhessen. Das ist noch näher. Und da ist echt nix. Gar nix. Noch nicht mal Guido Knopp. Absolute Ruhe. Alle Eichhörnchen sind wegen des Kulturangebotes schon lange nach Kassel oder ins Ruhrgebiet ausgewandert. Auch die Wälder sind so gut wie leer. Die nordhessische Natur hat Burnout. Nordhessen hat die deutschlandweit höchste Selbstmord­rate bei Rotwild. Die letzten verbliebenen Jäger dezimieren sich gegenseitig. In Nordhessen gibt es mehr Bäume als in Lappland, aber weniger Menschen. Die Grundstückspreise sind total im Keller. Die einzigen, die da noch siedeln, sind geschäftstüchtige Grüne. Ziehen die letzten Einheimischen über den Tisch, kaufen sie aus den alten Höfen raus, machen tiptop biologisch-ökologische Luxussanierung und stellen Schilder auf: ›Draußen rauchen ist Mord am ungeborenen Baum.‹«

      Gieseking hatte es jetzt eilig. Er müsse Schluss machen, das Husky-Taxi sei grad vorgefahren. Er habe gleich ein Blind-Date mit einer Läppin, die Tätowierungen mache. Sie werde ihm ein traditionelles samländisches Motiv stechen, einen Arsch ohne Geweih. »Oh, klingt interessant«, ant­worteten wir, aber ob ein Blind-Date für so eine Tätowierung nicht etwas unpraktisch sei. »Nein, das ist nichts Ungewöhnliches«, verabschiedete sich Gieseking, »hier am Polarkreis ist eigentlich jede Verabredung ein Blind-Date, die Sonne geht ja praktisch erst März/April wieder richtig auf. Ganz anders als in Nordhessen. Hähä, obwohl es umgekehrt ja viel gerechter wär’. Hähä, naja, egal. Wünsch’ euch viel Spaß da.«

      * * *

      So kamen wir nach Nordhessen. Gieseking behielt in allem recht. Hier gab es tatsächlich nichts. Nichts als Bäume. Geräuschlose Bäume. Die Kronen getupft wie von Rosamunde Pilchers Aquarellpinseln. Jedes Blatt einzeln. Ganz langsam. Tagelang. Wochen-, monate-, jahrelang. Ein Blatt nach dem anderen. Hellrot, Rostrot, Karminrot, Blutrot – äh, nein – das war kein Blattlaub, das waren die eingetrockneten Überreste eines Jägers, der die Konsequenzen gezogen hatte. In seiner Mundhöhle steckte der Lauf seiner Flinte, in seinem Hut ein Zettel. Aufschrift: »Wer das liest, ist doof. Wie kann man hier nur spazieren gehen, echt ey.« Ganz schön frech, aber wo er recht hatte, hatte er recht. Wir nickten Zustimmung und zogen weiter. Schon nach 30 Minuten Wanderung entfuhr uns ein hilfeschreiähnliches »Ist es nicht ein zauberhafter Oktober?« Doch niemand antwortete. Niemand. Nicht einmal eine Fliege. Nicht einmal der Wind. Was hätten wir jetzt für ein einziges »KLOCK ZCK«, für ein komplett rammdösiges, was hätten wir jetzt für ein Eichhörnchen im ADHS-Endstadium gegeben.

      Wir wanderten weiter durch das nordhessische Vakuum. Keine Abwechslung. Immer nur nichts. In unserer Not riefen wir Gieseking an. Die Bedingungen waren gut. Es gab kein Netz. Aber er nahm nicht ab. Wahrscheinlich war der Arsch noch nicht fertig.

      * * *

      Nach Stunden erreichten wir eine Siedlung. Welch eine Überraschung. Lebten hier tatsächlich Menschen? Wenn ja, müssten es besserverdienende Menschen sein. Die Häuser frisch gestrichen, das Fachwerk gepflegt, die Dächer neu gedeckt. Namensschilder an den Eingängen. Schilder, wie wir sie schon lange nicht mehr gesehen hatten, handgefertigt aus einem Material wie aus einer fernen Zeit: Salzteig. Was war das hier? Ein Manufactum-Musterdorf? Oder ein Film­set der Degeto, der TV-Produktionsfirma, die für das greise ARD-Publikum immer diese Seifen-Streifen dreht, in denen menopausenresistente Trümmerfrauen noch mal ganz von vorne anfangen? In Afrika, in Mallorca, jetzt auch in Nordhessen? Würde gleich Christine Neubauer in Hunter-Carnaby-Gummistiefeln um die Ecke biegen und eine Schicksalsprüfung bestehen? Am Landrover einen Reifen wechseln, der Milchkuh den entzündeten Euter eincremen, in ein selbstgeschmiertes Butterbrot beißen und nicht zunehmen?

      Wir warteten und warteten. Doch nichts geschah. Niemand kam. Keine Neubauer, keine Kuh, kein Butterbrot.

      Dies wäre jetzt haargenau die passende Stelle für den klassischen Überbrückungssatz: »Und irgendwo bellte ein Hund.« Aber es bellte kein Hund. Es KLOCKTE noch nicht mal ein Eichhörnchen. Etwas anderes passierte. Irgendwo vibrierte ein Handy. In unserem Rucksack. Eine SMS aus Lappland: »Der Arsch ist fertig. Gleich gibt’s Essen. Mett-Igel aus Rentierhack. Wodka bis zum Augenstillstand. Hier ist gut was los. Bei Euch möcht’ ich echt nicht tot überm Zaun hängen. Bei Euch möchte’ ich noch nicht mal der Zaun sein.«

      Wir simsten Gieseking einen Salmonellenvirus aufs icePhone und gingen vorsichtig weiter, Schritt für Schritt durch das leblose Geisterdorf. Dann, an einer Wegekreuzung, eine Hinweistafel: »Dorfcafé, gleich rechts um die Ecke.« Konnte das wahr sein? Sollte es hier tatsächlich eine Einkehrmöglichkeit geben?

      Jawohl, gleich rechts um die Ecke ein gepflasteter kleiner Hof, darauf Tische, Stühle. Im Fachwerkhaus dahinter eine offene Tür. Das Dorfcafé. Darin ein großer, für 12 Personen eingedeckter Holztisch, an einer Wand eine Leinwand, an den anderen Wänden Regale mit Saftflaschen, fair gehandeltem Kaffee, fair gehandeltem Tee, fair geschleudertem Honig und eine Theke mit frischgebackenem Apfelkuchen. Für wen war der? Erwartete man lebendige Gäste? Außer uns lebte hier nichts. Noch nicht mal ein Wirt oder eine Wirtin. Wir setzten uns an den Tisch und lasen die Aufschrift der Speisekarte:

      »Global denken – lokal handeln. Herzlich willkommen zu den Apfelpresstagen in Altenlotheim. Mit kostenlosem Beamervortrag.«

      Apfelpresstage in Altenlotheim. Sollte es nicht besser Altentotheim heißen? Wo waren wir nur gelandet? Wir verwünschten und beneideten Gieseking gleichzeitig. Ein Königreich für einen Rentier-Mett-Igel. Ein Himmelreich für eine Handvoll Robbenleber. Jede heidnische Polarkreis-Saue­rei in einem samländischen Darkroom würden wir jetzt diesem evangelischen Regionalsaft­event vor­ziehen. Hier musste man ja jeden Augenblick da­mit rechnen, dass Antje Vollmer um die Ecke schlappt und Marmelade für den Adventsmarkt der Bodelschwinghschen Anstalten Bethel kocht.

      * * *

      Die ersten Teilnehmer erschienen zum kostenlosen Beamervortrag. Immerhin, Antje Vollmer war nicht dabei, aber einige sahen aus wie sehr nahe Verwandte von Fritz Kuhn und Renate Künast, also so, als würden sie regelmäßig an Presstagen teilnehmen. Als Obst.

      Bevor man uns in die Gemeinde aufnehmen konnte, ergriffen wir Gegenmaßnahmen. Neinnein, die Apfelpresstage interessierten uns überhaupt nicht. Obstsäfte nähmen wir nur in gebrannter Form zu uns. Wir zündeten uns Fluppen an und quarzten in die Kuchentheke.

      Wir seien Immobilienspekulanten und hätten hier ein paar Resteinheimische davon überzeugt, nach Sterbfritz umzusiedeln. Jetzt würden wir uns ein paar Tage freinehmen, um den zauberhaften Herbst zu genießen. Neinnein, nicht hier. In Frankreich, im Département Vendée. Da fänden jetzt, wie immer im Oktober, die traditionellen Entenpresstage statt. Jaja, Entenpresse, ganz recht. Eine formidable Maschine. Darin würden nach Garvorgang und Zerlegen die Entenkarkasse und das Restfleisch ausgepresst, um aus dem abfließenden Saft eine exzellente Sauce zu machen. Der berühmte ostwestfälische СКАЧАТЬ