Название: Die wichtigsten Musiker im Portrait
Автор: Peter Paul Kaspar
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: marixwissen
isbn: 9783843802147
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Hinzu kommt, dass unser heutiges Klavier, das Hammerklavier, bei dem die Saiten nicht gezupft, sondern geschlagen werden, erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Venedig erfunden, um 1750 in unseren Breiten populär wurde und in seiner modernen Form als Konzertflügel ein Produkt des 19. Jahrhunderts ist. Denn erst die komplizierte Mechanik, der schwere Eisenrahmen und die große Dimension des modernen Flügels machten das Virtuosentum (um Liszt) und die üppige Klanglichkeit des romantischen Virtuosenkonzerts (Chopin, Brahms, Liszt, Tschaikowsky und Rachmaninow) möglich. Zur gleichen Zeit geriet das barocke Instrumentarium – darunter auch das Cembalo – in Vergessenheit. Die Orgel vollzog einen klanglichen Wandel, verlor ihren silbrigen und durchsichtigen Klang und wurde durch Register, die Orchesterinstrumente nachahmen wollten, eine Art von eher dunkel und dick klingendem Orchesterersatz, mit immer mehr technischen Spielhilfen und üppigem Spielapparat. Erst die Orgelbewegung des 20. Jahrhunderts entdeckte die einzigartigen Qualitäten der Barockorgel wieder.
Man erkennt nach diesem Kurzausflug in die Geschichte des Instrumentenbaus, dass die ursprüngliche Einheit der Familie von Tasteninstrumenten in eine zunehmende Spezialisierung führen musste, die sich auch innerhalb der drei Familien (Orgel, Cembalo, Klavier) fortsetzte. So kann man verstehen, dass aus einem Tasteninstrument, das ursprünglich mehrstimmige Vokal- und Instrumentalwerke »im Einmannbetrieb« wiedergeben konnte, eine hochspezialisierte Instrumentenfamilie wurde, deren Repertoire im 19. Jahrhundert für die jeweils anderen Instrumente nicht mehr kompatibel war. Es wäre heute undenkbar, Chopin auf dem Cembalo, Tschaikowsky auf der Orgel spielen zu sehen. Am ehesten universal kompatibel: der moderne Flügel, auf dem man gern auch Scarlatti oder Bach hören mag.
Eine der frühesten Formen der Musik für Orgel oder Cembalo hat eine lakonische Bezeichnung: Toccata – ein Schlagstück, wenn man es wörtlich übersetzt. Man könnte sich dabei einen Musiker vorstellen, der ein neues Instrument ausprobiert – zwischen Läufen und ruhigen Akkorden, zwischen klaren Dreiklängen und ineinanderfließenden Dissonanzen – »die Orgel schlägt«. Ein Beispiel findet sich bei Frescobaldi: Toccate di durezze e ligature. Dass aus der Toccata später ein motorisches Virtuosenstück wurde, war eigentlich ein Missverständnis – manchmal ein charmantes. Doch wird gerade an dieser Art von formal wenig gebundenem Musizieren eine Herkunft dieser Gattung deutlich – die Improvisation. Wörtlich: das unvorhergesehene musikalische Ereignis, also eine Stegreifkomposition, eine Art des Musizierens, die im klassischen Musikbetrieb fast verschwunden ist, bei manchen Organisten noch gepflegt wird – und ansonsten eine Domäne des Jazz geworden ist.
Eine ähnliche Gattung mit einer unscheinbaren Herkunft ist die Etüde – eigentlich ein Studien- oder Schulstück, wie der Name verrät. Was als Schreckensmusik für übungsunwillige Klavierschüler, als »Schule der Geläufigkeit« (Czerny) oder als technisches Fingertraining für angehende Virtuosen begann, wurde vor allem durch die zweimal 24 Etüden Chopins, aber auch durch das breitangelegten Etüdenwerk Liszts und Rachmaninows zu einer Freude für Freunde des Klavierklanges. Natürlich gibt es Etüden für sämtliche Instrumente – aber nirgends hat sich eine derart musikalisch hochwertige Etüdenkultur entwickelt wie unter den Pianisten. Der Grund dafür ist letztlich einfach: Das Klavier ist die wichtigste Musikmaschine der abendländischen Kultur. Wenngleich vielleicht der königlichen Orgel an Klangmöglichkeiten unterlegen – so ist sie doch ihr weltliches, alltägliches, billigeres und beinahe universell einsetzbares Gegenstück.
Da die Orgel ihren wichtigsten Ort in der Kirche und ihren wichtigsten Anlass im Gottesdienst hat, versteht man die Bedeutung der Improvisation. Noch heute kann ein Organist sich um keine wichtige Stelle in der Kirchenmusik bewerben, wenn er nicht professionell und gewandt improvisieren kann. Das geschah vor allem über kirchliche Themen und Lieder, über gregorianische Melodien, zu bestimmten Anlässen von der Hochzeit bis zum Begräbnis. Ein guter Teil der historischen Musik für Orgel ist aus solchen Anlässen entstanden: das Choralvorspiel (zu einem Kirchenlied), die Choralvariationen (auch Partita über …), Versetten und Fugen zum abwechselnden Spiel mit Sängern (der früher gern gepflegten Alternatimspraxis) und dann die großen Formen, die zum feierlichen Ein- und Auszug und zu ähnlichen Anlässen, aber auch im Konzert zu spielen waren: Präludium, Toccata, Fantasie und Fuge: Canzona, Chaconne, Passacaglia …
Die Fuge als Königsgattung der Barockmusik spielt für das Cembalo und für die Orgel eine ähnlich wichtige Rolle. Sie ist die strengste und zugleich die kunstreichste Gattung, in der ein Thema durch seine Wiederkehr in den verschiedenen Stimmen und in verschiedenen Formen nach einem kontrapunktischen Regelkanon eine regelrechte Verfolgungsjagd veranstalten kann (lateinisch fuga/Flucht). Auch eine Fuge im langsamen Tempo kann spannungs- und geistreich gelingen. Bachs »Wohltemperiertes Klavier« mit zweimal 24 Präludien und Fugen durch sämtliche Tonarten ist ein ähnliches Jahrhundertwerk wie die berühmte und unvollendete »Kunst der Fuge« – deren Instrumentarium von Bach nicht festgelegt wurde. Daneben waren die Sonate und die Suite, aber auch die Variation, die Chaconne und die Passacaglia wichtige Gattungen der barocken Cembalomusik. In den beiden letzten Formen wird ein gleichbleibendes Bassthema fantasievoll variierend beibehalten.
Die Claviermusik, die sich – mit dem »Aussterben« des Cembalos – in die Klavier- und die Orgelmusik teilte, bekam in der Wiener Klassik ihr pianistisches Gepräge. Haydns frühe Sonaten lassen sich am besten am Cembalo darstellen, manche sogar auf der Orgel – die späten sind eindeutige und unverwechselbare Klaviersonaten. Jetzt ereilte die Sonate das Schicksal der Sinfonie: Sie erreichte in der Klassik, bei Haydn, Mozart, Beethoven – und zuletzt bei Schubert eine Höhe, dass die Nachkommen nur mit großem Respekt Sonaten wagten. Haydn schrieb beispielsweise etwa 60 Klaviersonaten (Mozart 20, Beethoven 32, Schubert 15) – Schumann, Chopin und Brahms je drei Sonaten. Neben diesen gewichtigen Sonaten wurde gern die kleinere Form gepflegt – einzeln, aber auch in Zyklen, virtuos für den Konzertgebrauch und weniger schwierig für die Hausmusik.
Das 19. Jahrhundert war eine Epoche der Klaviermusik. Die bürgerliche Bildung stellte das Klavier in die Mitte der Hausmusik – für reine Klaviermusik, für das Klavierlied und für die kleine Kammermusik. Die Musikverleger verlangten von den Komponisten Werke aller drei Bereiche, möglichst mit einem mittleren Schwierigkeitsgrad, nicht in Ges-Dur, wie das berühmte Impromptu von Schubert, das man deshalb gleich nach G-Dur transponierte. Musikkritiker klagten über die epidemischen Ausmaße des häuslichen Musizierens in den aufstrebenden Bürgerfamilien. Wovor sie sich fürchteten, wird nicht recht klar. Das Klavier im Salon, das mehrbändige Konversationslexikon und ab der Jahrhundertmitte die Zeitschrift »Die Gartenlaube« wurden zu den Symbolen bürgerlicher Bildungsemanzipation. Hinzu kamen Mendelssohns Lieder ohne Worte, Schumanns Wald- und Kinderszenen und Klavierlieder von Schubert, Schumann und Mendelssohn.
Doch in den Konzertsälen regierte das Virtuosentum. Die doppelte Klaviertechnik – im Instrumentenbau und im Virtuosentum – brachte zwar viele Sensationslüsterne in die Konzerte, in denen gerne Opernparaphrasen und artistisches Virtuosentum präsentiert wurden. Außerdem kamen viele Musikfreunde, die selten oder nie ein Orchester oder eine Oper hören konnten, auf diese Weise in den Genuss von Klaviertranskriptionen. Liszt fertigte solche für alle neun Sinfonien Beethovens an – tongetreu, ohne Virtuosengeflunker, und doch von hohem pianistischen Anspruch. Die vielen Bearbeitungen großer Werke für Klavier und für Kammermusik hatten im 19. Jahrhundert eine ähnliche Funktion wie heute die Tonträger: Sie brachten wichtige Werke der Kunst an ein Publikum, das sie sonst nie kennengelernt hätte.
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