Название: Die wichtigsten Musiker im Portrait
Автор: Peter Paul Kaspar
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: marixwissen
isbn: 9783843802147
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Was hier so selbstverständlich als Kammermusik beschrieben wurde, entstand in der feudalen Welt des Barocks und der Klassik, um sich dann in der Welt des Bürgertums fortzusetzen. Man bedenke, dass inzwischen das allgemeine Schulwesen entstanden war und das zunehmend gebildete und sozial aufstrebende Bürgertum mit höherer Bildung auch kulturelle und künstlerische Ambitionen pflegen konnte. Der Gesangs- und Instrumentalunterricht gehörte bald zum Pflichtprogramm des gehobenen Bürgertums, da auch die Fabrikation von Klavieren einen ungeheuren Aufschwung nahm. Gesangsvereine, Kirchenchöre und Konservatorien wurden gegründet – die Musik hatte eine neue Heim- und Pflegestätte im Bürgertum gefunden. Was sich heute als Musik für die Kammer ein wenig armselig anhört, war tatsächlich die Musik für den bürgerlichen Salon. Nur die abwertende Bedeutung der »Salonmusik« hat verhindert, dass man sie heute tatsächlich so benennen könnte.
Seit Schubert wurden die Lieder, die Klavier- und Kammermusik vorwiegend für den bürgerlichen Salon geschrieben. Die heutige Konzertpraxis lässt diese – häufig intime und subtile – Musik aus ökonomischen Gründen allzu oft in großen und unpersönlichen Konzertsälen aufführen. Die Musikgeschichte hat als Urbild dieser Kammer- und Hausmusik die berühmten »Schubertiaden« überliefert: Sie waren eine Mischung aus Landpartie, Freundeskreis, Schmausen, Tanzen und Salonmusik. Dort spielte Schubert seine Walzer, Menuette, Ecossaisen und Ländler – ursprünglich improvisierend – zum Tanz. Dort erklangen die später als massive Männerchöre aufgeführten Vokalsätze und Lieder im Quartettgesang. Dort kam es zur informellen Uraufführung vieler – auch der ernsten und todtraurigen – Schubertlieder. Dort wurde eher musiziert als konzertiert – eine besonders authentische Form der Musikausübung.
Natürlich hat es das auch schon vorher gegeben. Allerdings in privilegierten Kreisen – und die Musiker waren bezahlte Höflinge. Erst in der bürgerlichen Musikkultur komponierten und spielten die Künstler für ihresgleichen – als Freunde und Freundinnen unter Gleichgestellten und Gleichgesinnten. Deshalb blieb Schubert sein kurzes Leben lang – obzwar nicht ohne Erfolg und Anerkennung – ohne geregeltes Einkommen und ohne eigene Wohnung. Der bürgerliche Musikbetrieb hatte noch nicht seine sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen gefunden. Es gab noch kein Urheberrecht. Wohl aber hat die Musik einen eigenen Ton gefunden: nicht mehr zur effektvollen und häufig eitlen Repräsentation gehobener Dienst- und Geldgeber, sondern aus dem Erleben und Empfinden einfacher Frauen und Männer aus dem Volk.
Das Zusammenklingen der Instrumente hatte im 19. Jahrhundert seine gültigen Formen erreicht, an denen sich nicht mehr viel ändern sollte. Es gab die große Musik für den Konzertsaal und die Kammermusik für den Salon. Zu den Instrumenten kamen die Singstimmen – solistisch und chorisch – nach Maßgabe der Bildungsfortschritts: Nun waren es nicht mehr einzelne Kapellsänger und Sängerknaben also professionelle Musiker, sondern Amateure, Liebhaber, Dilettanten. Alle drei Begriffe enthalten das Wort »Liebe«, keines das Wort »Geld«. Es ging also um die Liebe zur Musik. Um es – zugegebenermaßen ein wenig zugespitzt – zu sagen: Die Musik hatte die einfachen Leute erreicht. Genauer gesagt: Die Volksmusik war schon immer bei ihnen. Nun kam zu ihnen auch noch die gehobene, die artifizielle, die »Kunstmusik«. (Um das schreckliche Wort auch einmal gesagt zu haben.)
Und folgerichtig bahnte sich mit dieser Vereinigung die nächste Trennung an: E-Musik und U-Musik. Aber das ist eine andere Geschichte.
2 TOCCATE DI DUREZZE E LIGATURE
MUSIK FÜR TASTENINSTRUMENTE
Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte mussten Töne aus eigener Kraft und mit eigener Geschicklichkeit erzeugt werden: durch Schlagen und Streichen, durch Blasen und Trommeln, durch Singen und Brüllen. Was man nicht mit der Kraft seiner Arme oder seiner Lungen zum Klingen brachte, gab es nicht. Das galt nur bis zu dem Zeitpunkt, als der Mensch Geräte, Apparaturen und Maschinen erfand, die seine mangelnde Geschicklichkeit oder Kraft ausgleichen konnten. Man kann durchaus sagen, dass hier die Musik zum ersten Mal ihre Unschuld verlor. Ein zweites Mal, als im 20. Jahrhundert elektromechanische und elektronische Musikinstrumente auf den Markt kamen – und zum dritten Mal, als die digitale Ton- und Musikerzeugung und die technische Musikwiedergabe den Griff zum Instrument durch den Griff zum Schaltknopf ersetzten.
Zwei dieser Maschinen haben schon früh eine kräftige Spur durch die Musikgeschichte gezogen: die erste, indem sie Blasinstrumente mechanisch anblasen ließ, die zweite, indem sie Saiten durch eine Apparatur zum Schwingen brachte. Die erste Musikmaschine überhaupt ist die Orgel, bei der Blasebälge – von kräftigen Kalkanten getreten – über ein System von Hebeln und Windkanälen Pfeifen mit jenem Wind versorgt, der weit mehr und lautere Töne erzeugen kann, als es ein einzelner Mensch aus eigener Kraft je vermocht hätte. Die zweite und jüngere Apparatur verband eine Reihe von Tasten mit einer Mechanik, mit der verschieden lange Saiten angerissen (Cembalo) und später angeschlagen (Klavier) werden konnten. Das frühe Cembalo war zwar nicht lauter als eine menschliche Stimme, ließ aber mehr Töne gleichzeitig erklingen, als man mit einer Harfe oder einer Laute hätte anreißen können. Während das Cembalo in gleichbleibender – eher geringer – Lautstärke erklang, konnte das Klavier auch viele Schattierungen zwischen laut und leise hervorrufen.
Die Orgel war durch die Zahl ihrer Pfeifen schon von Anfang an ein großes und sperriges Gerät. Abgesehen von ganz kleinen Instrumenten (Portativ und Positiv) kann die Orgel nicht transportiert werden und wird in ihrer Klanglichkeit grundsätzlich auf den Raum eingerichtet (intoniert), in dem sie erklingen soll. Der Spieler nimmt sich gegenüber dem Instrument immer klein aus, auch weil die Klänge mächtig und manchmal geradezu übermenschlich erscheinen mögen. Die frühen Orgeln unserer Musikkultur – im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit – waren übrigens nicht dafür gedacht, den Gesang zu begleiten. Sie konnten oft auch gar nicht leise spielen, weil sie als Blockwerk, in dem gleich mehrere Register gleichzeitig erklangen, konzipiert waren. Dieser früheste Gebrauch der Orgel war sozusagen ein billiger Ersatz für eine größere Bläsergruppe, weil nur ein Musiker notwendig und zu bezahlen war, was die Errichtung der Musikmaschine mit der Zeit amortisierte.
Wenn man sich heute über technikbeflissene Geistliche lustig macht, die den Organisten mit eingespielten Musikkonserven ersetzen, dann möge man nicht vergessen, dass die Orgel in gerade dieser Funktion – und natürlich auch durch den strahlenden Klang – vor Jahrhunderten ihren Einzug in die Kirchen schaffte. Die Orgel hatte also ursprünglich die festliche, aber auch teure Bläsermusik zu ersetzen – sie war ja auch selbst ein mechanisch gesteuertes großes Blasinstrument, ein üppig orgelnder Musikautomat. Ihre Bedienung besorgte zwar ein Musiker, doch das Ergebnis ersetzte ein ganzes Ensemble. Und sie spielte abwechselnd mit den unbegleitet gesungenen Strophen des Volksgesanges. Der Einsatz der Orgel zur Begleitung des Gemeindegesanges und in der mehrstimmigen Musik mit Sängern und Instrumenten kam erst viel später. Die Orgel war durchaus umstritten und wurde vor allem in calvinistischen Gemeinden immer wieder verboten.
Die Anfänge der Orgelmusik sind deshalb so wichtig, weil sie weithin von derselben Musik lebte wie die Vokalmusik. Die Organisten spielten nach Tabulaturen, erfanden Varianten und Verzierungen und pflegten die Improvisation. Viele der frühesten Orgelwerke sind intabulierte Vokalmusik. Außerdem waren die Grenzen zwischen Cembalo- und Orgelmusik noch lange Zeit fließend. Man spielte oft dieselben Werke daheim am Clavicord oder am Cembalo und in der Kirche an der Orgel. Es gab sogar Cembali, die genauso wie die Orgel ein mit Füßen zu spielendes Tastenpedal hatten. Das drückt sich auch im alten Ausdruck »Clavier« aus: ein mit Tasten, einer Klaviatur, zu bedienendes Instrument. Bach schrieb noch eine (vierteilige) »Clavierübung«, die sowohl Orgel- als auch Klavierwerke enthält. Ähnliches tat sein СКАЧАТЬ