Cardiff am Meer. Joyce Carol Oates
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Название: Cardiff am Meer

Автор: Joyce Carol Oates

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102487

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СКАЧАТЬ das Beste für ein verwaistes Kind, das man nie zuvor gesehen hat.

      Clare merkt, dass sie das Gespräch besser beenden sollte. Sie bringt Hannah gerade vollkommen aus der Fassung. Doch sie ist nicht in der Lage, das Gespräch zu beenden. Ihre Neugier ist wie ein Wahnsinnsdurst, der ihren Mund austrocknet. »In welchem Teil der USA haben sie denn gelebt, weißt du das? Meine Eltern.«

      Meine Eltern. Das war ein Fehler, Clare hat sich versprochen.

      Hannah antwortet barsch, dass sie das nicht wisse. Und wenn sie es je gewusst haben sollte, dann kann sie sich nicht mehr daran erinnern.

      Dann wird ihre Stimme wieder weicher: »Also, es könnte sein – ich habe so eine Ahnung, dass sie in New England gelebt haben.«

      »Nicht im Mittleren Westen?«

      »Warum ist es denn so wichtig, wo sie herkommen? Hat etwa jemand versucht, mit dir Kontakt aufzunehmen?«

      »Nein!« Clare antwortet wie aus der Pistole geschossen. »Aber kannst du mir vielleicht eine Kopie meiner Geburtsurkunde schicken, Mom? – Das wäre sehr lieb.«

      In Clares Alter klingt Mom als Kosename recht merkwürdig. Schon als kleines Mädchen hatte Clare Schwierigkeiten gehabt, Mom klar und deutlich auszusprechen.

      Dad, wie sie ihren Vater nannte, war nicht so schwierig. Auch wenn sie von Kindesbeinen an, bestärkt durch (das Lächeln) ihrer (Stief-)Eltern diese Kosewörter benutzen sollte, waren sie ihr eher unangenehm.

      Auch ihren Liebhabern hat sie niemals Kosenamen gegeben. Darling, Liebling. Mein Liebes.

      »Du besitzt keine Kopie deiner Geburtsurkunde? Wie merkwürdig.«

      Die offiziellen Dokumente bewahrt Clares Vater im Aktenschrank seines häuslichen Arbeitszimmers auf, gesammelt in fein säuberlich markierten Ordnern. Clare hat von ihrem (Stief-) Vater diesen gewissen Fanatismus in Sachen Ordnung, Klarheit, Eingrenzung geerbt. Im Zweifelsfall, abheften. Wegheften.

      Clare überkommt urplötzlich ein Schamgefühl. Sie hat ihr Elternhaus nie richtig verlassen und ihre persönlichen Dinge, Dokumente an sich genommen – nie ihr eigenes Heim errichtet, in ihrem unsteten Leben.

      Ein Vagabundenleben im Kopf. Ein undefiniertes Leben, wie ein Polaroidabzug, der nur teilweise ausgefüllt ist.

      »Vielen Dank, Mom! Die brauche ich für – die Krankenversicherung …«

      Keine offensichtliche Lüge, denkt sich Clare. Hannah wird niemals darauf kommen: dass Clare die Geburtsurkunde dem Nachlassgericht in Cardiff, Maine, vorlegen muss.

      Direkt vor ihrer Fensterscheibe hat sie die ganze Zeit über ein monströses Spinnennetz betrachtet. Ein Meisterwerk aus minutiös verbundenen Fäden von unterschiedlicher Länge, feuchtnass, bebend auf Beute wartend. In seiner Mitte hockt eine fette schwarze Spinne, bewegungslos, als wäre ihr Körper vom prachtvollen Weben vollkommen erschöpft.

      Dann endet die Konversation. Hannah wird abrupt auf Wiedersehen sagen, mit einem letzten Seufzer Also gut! – liebe dich, und Clare wird antworten, wie wenn jemand sie mit dem Zeigefinger an die Brust stupst: liebe dich.

      Niemals bringen es Mutter und Tochter fertig, tatsächlich zu sagen Ich liebe dich.

      Erschöpft legt Clare auf. Braucht dringend noch einen Drink.

      Das Problem Adoptivkind zu sein, ist, sich wie auf Abruf zu fühlen. Egal, wie alt man ist, immer besteht das Risiko, dass man zurückgeschickt wird.

      Clare macht sich bereit für die nächste Herausforderung: die »Verwandten« in Cardiff anrufen, deren Nummer Fischer ihr gegeben hat.

      Elspeth, Morag – die beiden noch lebenden Schwestern von Maude Donegal, der geisterhaften Großmutter. Fischer hatte sie als die »jüngeren Schwestern« beschrieben, doch auch sie müssten jetzt älter sein, auf jeden Fall über achtzig.

      Dafür braucht sie aber jetzt noch ein halbes Glas Wein.

      Noch vor ein paar Tagen hatte Clare keinen einzigen Blutsverwandten gekannt. Und jetzt hat sie auf einmal zwei Großtanten.

      Nach dem ersten Klingeln wird der Anruf schon entgegengenommen.

      Als ob die wachsame Großtante atemlos diesen Anruf erwartet hätte. Clare denkt – Mein neues Leben!

      Die (weibliche) Stimme am anderen Ende heißt – Elspeth? Zu Anfang kann Clare sie kaum verstehen: die Frau spricht mit einem starken Maine-Akzent und unterbricht ihre Worte mit eigentümlichen kleinen Silben – ähm, hä? Sie scheint Wert auf förmliche Umgangsformen zu legen und ist (anscheinend) etwas schwerhörig, aber für eine Einwohnerin vom Bundesstaat Maine erstaunlich freundlich, denkt sich Clare; die Großtante ist sehr neugierig auf Clare, hört aber anscheinend gar nicht zu, was Clare ihr erzählt, denn sie fragt Clare mehr als einmal, wann sie denn nach Cardiff komme und bricht dann ganz unvermittelt das Gespräch ab, so als ob sie jemand gerufen hätte. »Also gut dann! Ausgemacht. Du wohnst bei uns, Cla-re. So lange du willst.«

      »Du wirst sehen, meine Liebe – es ist sehr viel Platz in dem wunderschönen alten Haus deiner Großmutter Donegal.«

      5.

      Drei Tage später kommt Clare in Cardiff, Maine, an.

      Betätigt die Türklingel des schon etwas heruntergekommenen, ehrwürdigen alten Steinhauses in der Acton Avenue 59, aus dem nur spärliches Licht dringt.

      Ein Haus wie aus dem Märchenbuch. Ein Relikt viktorianischer Zeiten, in einer Straße mit vielen ähnlich großen, massiven, mächtigen Wohnhäusern, zurückgesetzt von der Straße, zwischen hohen Hemlocktannen und wuchernden Ligusterhecken.

      Die Donegals müssen sehr wohlhabend sein, denkt Clare. Oder waren in vergangenen Zeiten auf jeden Fall sehr wohlhabend.

      Cardiff, Maine, ist eine verfallende Textilstadt aus dem neunzehnten Jahrhundert, die es noch nicht ganz geschafft hat, sich für den Tourismus zu öffnen, so wie andere Städte in diesem Teil des Staates. Noch immer ein malerisches Städtchen an der Küste, selbst im Verfall. Mühlen und Fabriken sind lang verlassen, bunt verstreut Outlets und »Antik«-Läden, Boutiquen, die Kunsthandwerk verkaufen.

      Acton Avenue ist eindeutig eine der repräsentativsten Straßen Cardiffs, oder war es zumindest, auch wenn viele Häuser nahe dem Stadtkern nun für gewerbliche Zwecke genutzt werden. Teils Apartments, teils Büroräume. Eine würdevolle altrosa Backsteinvilla wurde ins Ashford County Historical Museum umgewandelt; ein anderes weitläufiges viktorianisches Anwesen trägt das bescheidene Schild CARDIFF COUNTY FAMILY PLANNING & SERVICES.

      Clare klingelt ein zweites Mal. Erinnerung an die Halloweenabende in St. Paul, als sie inmitten einer Gruppe von Kindern in Masken und Kostümen aufgeregt und in ängstlicher Erwartung an Häusern wie diesem zu klingeln gewagt hatten, während ihre Eltern in den Autos am Straßenrand warteten; wie erleichtert sie waren, wenn niemand öffnete. Obwohl im Haus Licht brennt, fragt Clare sich, ob jemand zu Hause ist. Immergrüne Zweige wuchern an den Seiten des Hauses und verdunkeln die Fenster im Erdgeschoss. Das Schieferdach ist in großen Teilen mit Moos bewachsen und kleine Bäumchen schlagen in den verstopften Regenrinnen Wurzeln. Clare riecht verrottendes Laub, feuchte dunkle Erde, ein Hauch organischer Fäulnis steigt von der Veranda herauf, auf der sie steht. Dann plötzlich, so sanft wie СКАЧАТЬ