Название: Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman
Автор: Peik Volmer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Dr. Sonntag
isbn: 9783740972318
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*
Frau Fürstenrieder betrachtete ihren Chef mit Sorge.
»Sie gefallen mir gar nicht, Herr Professor!«, bemerkte sie.
»Wir könnten Sie ins Sekretariat von Professor Tauber versetzen«, entgegnete Egidius. »Seine Sekretärin hört zum Oktober auf!«
»Herr Professor!«, rief die Dame vorwurfsvoll. »Sie wissen doch, wie ich es meine, oder?«
»Ja, natürlich. Nicht böse sein. Meine Mutter liegt mir wie ein Stein auf der Seele. Das tat sie zwar früher schon, aber aus anderen Gründen. Wie sagt man seiner Mutter, dass ihr Leben zu Ende geht?«
»Ich weiß nur eins, Herr Professor: Wenn mein Leben zu Ende ginge, würde ich es ertragen, wenn Sie es mir sagten. Sie finden immer die richtigen Worte.«
»Wissen Sie, Frau Fürstenrieder – müsste ich Ihnen diese Neuigkeit verkünden, hätte ich vermutlich ebenso große Schwierigkeiten. Wir kennen und so viele Jahre, und ich glaube, Sie wissen Dinge von mir, die ich noch nicht einmal meiner Frau erzählt habe. Sie stehen meinem Herzen ganz außerordentlich nahe. Aber die eigene Mutter? Das beinhaltet noch einmal ganz andere Schwierigkeitsgrade. Ach, verflixt! Warum konnte ich sie nicht nach München schicken? Warum musste ich mich mal wieder in den Vordergrund drängen?«
Frau Fürstenrieder kniff die Augen zusammen. Ihr freundliches Gesicht wurde ernst.
»Wissen Sie, Herr Professor, wovor ich am meisten Angst habe?«
»Sie und Angst? Das ist völlig undenkbar für mich!«
»Ich habe Angst, dass ich einsam und allein, ohne irgendeinen Beistand, in meiner Wohnung entschlafe, und die Nachbarn bemerken es erst, weil der Briefkasten überquillt. Man liest doch immer wieder von solchen Fällen!«
»Aber Frau Fürstenrieder! Glauben Sie nicht, dass mir auffallen würde, wenn Sie nicht zum Dienst erschienen?«
»Natürlich. Aber irgendwann werde ich in den Ruhestand gehen. Und was ist dann? Mein Mann starb früh, und die kurze Episode mit Herrn Kreuzeder hat mich nicht nachhaltig glücklich gemacht.«
»Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, aber – mir wurde zugetragen, dass Sie an der Seite eines uns nicht ganz unbekannten Kriminalkommissars gesehen wurden!«
»So! Zugetragen wurde es Ihnen, Herr Professor! Ja, er scheint sich für mich zu interessieren. Vermutlich ist er meine letzte Chance!«
»Ich habe es Ihnen schon oft gesagt. Sie sind eine wunderbare, warmherzige, attraktive Frau. Und meine Abteilung läuft unter anderem so gut, weil Sie hier das Sekretariat in der Hand haben. Erst neulich sagte ein Patient, dass der Klang ihrer Stimme schon so beruhigend auf ihn wirkte, dass er vor seiner Prostatapunktion keine Angst mehr hatte!«
»Sehen Sie? Darauf wollte ich hinaus. Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich habe Angst, dass ich allein und vereinsamt irgendwo vergessen werde. Ich bin sicher, dass Ihre Mutter das ganz ähnlich sieht. Wenn Sie ihr beistehen, sie nicht allein lassen, ihr die Schmerzen nehmen, dann wird sie diesen Weg gehen können. Er gehört ja nun mal zum Leben dazu.«
Egidius packte seine Sekretärin an den Armen, zog sie zu sich heran, und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Was haben Sie da eben gesagt? Ruhestand? Das denken Sie! Ich lasse Sie hier gar nicht weg! Was sollte ich ohne Ihre Weisheit anfangen?«
*
Der Weg zum Aufwachraum erschien heute besonders lang zu sein. Egidius versuchte, würdig und beherzt voranzuschreiten, wie er es immer tat. Heute jedoch war sein Gang unsicher. Der Boden der Flure schien gummiartig seinem Schritt nachzugeben. So musste es sich anfühlen, durch ein Moor zu waten, dachte er, als er an die Tür klopfte.
Seine Mutter lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett. Ihre Gesichtshaut war gelblich. Sie wirkte seltsam transparent wie die Gesichter der Wachsfiguren bei Madame Tussaud. War ihre Nase schon immer so spitz gewesen? Ihre Lippen so blass?
»Mama?« Keine Reaktion.
»Mama!«, rief er lauter. Aber sie erwachte nicht.
Sie war doch nicht … Um des Himmels willen!
»Hallo! Mama! Mama!«, rief er laut.
Sie schreckte hoch.
»Junge! Was schreist du denn so? Ich bin doch nicht taub!«
»Ich dachte …«
»Was dachtest du?«
»Du bist nicht aufgewacht, und ich habe einfach einen Schreck bekommen!«
Theres Sonntag sah ihren Sohn prüfend an. Sie begriff.
»So schlimm steht es um mich?«
»Nun, ich muss selbstverständlich noch auf die feingewerbliche Untersuchung warten, aber …«
»Rede nicht mit mir, als wäre ich eine Patientin, Egidius. Ich bin deine Mutter. Wir haben uns immer die Wahrheit gesagt, von kleineren Notlügen mal abgesehen. Was ist los?«
»Du hast einen Tumor im Magen, der ihn zur Hälfte ausfüllt. Es sieht nicht gut aus.«
»Du willst mir sagen, dass – dass man nichts mehr tun kann?«
Egidius senkte den Kopf.
Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante.
»Es sieht sehr ernst aus. Aber, wie gesagt: Ich warte auf die Histologie. Wenn es nur den Schatten einer Hoffnung gibt, dann operiere ich.«
Die Mutter ergriff die Hand des Sohnes.
»Wieviel Zeit bleibt mir, wenn ich mich nicht operieren lasse, oder wenn eine Operation keinen Sinn mehr hat?«
»Das kann man nicht wissen, Mama. Ein halbes Jahr? Ein Vierteljahr? Ein Jahr? Du warst immer eine starke Frau!«
Theres hielt Egidius’ Hand fest, wie ein Ertrinkender den Rettungsring.
»Ich habe eine Bitte an dich, mein Sohn. Ich möchte nicht im Ruperti-Stift sterben, bei fremden Leuten. Könnte ich nicht hier, in deiner Klinik …«
»In der Klinik? Das ist ja wohl ein Scherz! Du kommst zu uns! Max und Lukas ziehen unters Dach, und du wohnst im Anbau!«
»Nein, Egidius. Corinna hat das Baby, und du siehst den ganzen Tag Krankheit und Leid. Wenn du dann heimkommst, sollst du nicht mit deiner alten, nutzlosen Mutter konfrontiert werden! Ich möchte nur, dass wir den richtigen Zeitpunkt nicht versäumen!«
»Den richtigen Zeitpunkt?«
»Den zum Verabschieden, Egidius. Unsere Wege werden sich bald trennen. Und wenn es so weit ist, möchte ich dir noch einige Verhaltensregeln mit auf den Weg geben!« Sie lachte.
Er schüttelte lächelnd den Kopf.
»Glaubst du nicht, dass du damit etwas zu spät kommst? Deine Fehler in СКАЧАТЬ