Название: Der FC Bayern, seine Juden und die Nazis
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730703946
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Für den Antisemitismus-Forscher Peter Pulzer trug »kein anderer Akt des Krieges mehr dazu bei, die Juden zu entfremden und an ihren Status als Stiefkinder zu erinnern«. Der Militärhistoriker Wolfram Wette sieht in der Zählung eine neue Stufe des Antisemitismus im deutschen Offi-zierskorps, der sich von der Kaiserzeit bis zur Zeit des Nationalsozialismus gehalten und die Verbrechen der Wehrmacht im Osten, besonders ihre Beteiligung am Holocaust, ermöglicht habe.
Unter den deutschen Soldaten, die am Krieg beteiligt waren, befanden sich rund 100.000 Juden, von denen 78 Prozent »Frontdienst« leisteten und etwa 12.000 ums Leben kamen. Mehr als 10.000 waren Freiwillige, fast 30.000 wurden ausgezeichnet, über 19.000 befördert und über 2.000 zu Offizieren ernannt.
Doch die Antisemiten lassen sich durch diese Zahlen nicht beeindrucken. In Schmähschriften wird behauptet, die Juden seien »Drückeberger« gewesen und das »jüdische Blutopfer« habe nicht seinen »pflichtgemäßen Anteil« erreicht. Gordon Craig: »Es war das tragische Dilemma der deutschen Juden, dass sie (…) die Feindseligkeit ihrer Mitbürger umso mehr entfachten, je ähnlicher sie ihnen wurden. (…) Ihre Leistungen und ihre Hingabe (brachten) ihnen nicht die erstrebte Anerkennung ein; und Wohlhabenheit und Bildung, die die Aufklärung als Schlüssel zur Integration betrachtete, nützten ihnen nichts.«
Walther Rathenau hatte bereits 1911 erkannt: »In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Mal voll bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist, und dass keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien können.«
Nach dem Ersten Weltkrieg nimmt der Antisemitismus erst richtig an Fahrt auf – auch und gerade in München. Die Politik des FC Bayern wird dadurch kaum beeinflusst. Der Klub wird sich in den Weimarer Jahren nicht nur einen jüdischen Präsidenten, sondern auch gleich vier jüdische Trainer leisten.
Kapitel 3
Antisemiten und »Pioniere der Moderne«
Wenige Monate nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kehrt William J. Townley nach München und zum FC Bayern zurück. Der Trainer-Pionier aus England findet ein Land und eine Stadt vor, die sich seit seinem kriegsbedingten Fortgang im August 1914 grundlegend verändert haben.
Am 9. November 1918 gibt Reichskanzler Max von Baden eigenmächtig bekannt, Kaiser Wilhelm II. habe abgedankt. Der Adelige will die Monarchie retten, aber noch am selben Tag proklamiert der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann von einem Fenster des Berliner Reichstagsgebäudes aus die Republik. Am 11. November wird der Erste Weltkrieg mit der Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens beendet. Wenige Stunden später schweigen an allen Fronten die Waffen – nach über vier Jahren des blutigen Kampfes, den fast zehn Millionen Menschen mit ihrem Leben bezahlten.
Aus den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 gehen die Mehrheits-Sozialdemokraten von der SPD mit 37,9 Prozent als stärkste Partei hervor. Die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) kommt auf 18,5 Prozent. Das katholische Zentrum wird von 19,7 Prozent gewählt, der sozialistischen USPD, einer Linksabspaltung von der SPD, geben 7,7 Prozent ihre Stimme. Die großen Verlierer sind die dezidiert republikfeindliche Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die auf nur 10,3 Prozent kommt, und die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP), für die sich lediglich 4,4 Prozent erwärmen.
SPD, DDP und Zentrum bilden die »Weimarer Koalition«. Erster Reichspräsident wird der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, erster Reichsministerpräsident sein Parteikollege Philipp Scheidemann.
Die bürgerlichen deutschen Juden votieren zunächst vor allem für die DDP, der u. a. Albert Einstein, Walther Rathenau, Rudolf Mosse, Theodor Wolff und Hugo Preuß, der »Schöpfer« der Weimarer Verfassung, angehören. Zu Beginn des kurzlebigen Aufstiegs der linksliberalen Sammelpartei geben »mindestens die Hälfte, wenn nicht sogar zwei Drittel (…) der jüdischen Wähler« (Hans-Ulrich Wehler) der DDP ihre Stimme. Die »linken« deutschen Juden bevorzugen die SPD, zugleich die prowestlichste Partei in Weimar, die bis zum Ende der Republik am durchgängigsten und – vergleichsweise – unmissverständlichsten Position gegen den Antisemitismus bezieht. Mit Eduard Bernstein und Rudolf Hilferding haben die Sozialdemokraten prominente jüdische Politiker in ihren Reihen. Als die DDP 1930 mit völkischen Nationalisten und anderen Kräften fusioniert und in der Deutschen Staatspartei aufgeht, suspendiert sie ihre Kritik am Antisemitismus, ist für die deutschen Juden nicht mehr wählbar und verschwindet in der Bedeutungslosigkeit.
In Teilen der katholischen Zentrumspartei lebt der christliche Antijudaismus weiter. Bei aller Abgrenzung zum antisemitischen Radikalismus werden Juden hier vielfach als Urheber der zerstörerischen Tendenzen der Moderne betrachtet.
Die DVP verfolgt in Sachen Antisemitismus zunächst einen »Mittelweg«. Die Führung bezieht zwar dagegen Stellung, will aber gleichzeitig keine völkisch geprägten Mittelstandswähler verprellen. Nach dem Tod von Gustav Stresemann schwenken die Nationalliberalen ins Lager der offenen Antisemiten über. Die DNVP ruft bereits in ihrem Programm von 1920 zum Kampf gegen die »jüdische Vorherrschaft« auf und schließt Juden von einer Mitgliedschaft aus.
Die Republik ist von Beginn an eine fragile Angelegenheit, denn es mangelt ihr an überzeugten Demokraten und Republikanern. Für die deutschen Juden bedeutet Weimar zunächst einen hoffnungsvollen Neubeginn, doch der Antisemitismus ist von Anfang an Dorn im Fleische und ständiger Begleiter der ersten deutschen Demokratie.
»Judenrepublik«
Die Weimarer Verfassung wird vom liberalen Juristen und DDP-Politiker Hugo Preuß ausgearbeitet, einem profilierten Kritiker des Obrigkeitsstaates. Preuß wird anschließend auch erster Reichsinnenminister der Republik. Seine Gegner beschimpfen den in Berlin geborenen Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie als »Hugo Preuß aus Jerusalem«.
Bei der nationalistischen Rechten gelten die demokratischen Ideen der Französischen Revolution als »dem deutschen Wesen« fremd. Und dass ein Jude bei der Formulierung der Verfassung die Feder geführt hat, bestärkt sie nur in ihrer Meinung, dass es sich bei der Demokratie um eine »undeutsche« Angelegenheit handelt. Die neue Ordnung wird als »Judenrepublik« denunziert.
In München wird die »Republik-Werdung« von einer ersten antisemitischen Gewaltorgie begleitet. Im November 1918 wird auch die bayerische Metropole von revolutionären Wirren heimgesucht. Am 7. November 1918 erklärt der USPD-Politiker Kurt Eisner, ein aus Berlin stammender Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten und Intellektueller – insbesondere seine geschliffenen Nietzsche-Kritiken genießen hohe Anerkennung –, auf einer Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte im Mathäserbräu die Dynastie Wittelsbach für abgesetzt und ruft die Republik Bayern als Freistaat aus.
Die Räte wählen Eisner zum ersten Ministerpräsidenten der bayerischen Republik, der kurz darauf ein Regierungskabinett aus Mitgliedern der SPD und USPD bildet, in dem die Mehrheitssozialdemokraten die wichtigsten Ressorts besetzen. Eisners Programm ist moderat, besteht in seinem Kern aus bürgerlich-demokratischen und sozialen Zielen.
Erster Kultusminister des Freistaats wird Gustav Landauer, Vertreter eines undogmatischen Sozialismus und Anarchismus und wie sein Ministerpräsident Jude.
Die führende Rolle einiger Juden reicht vielen Münchnern, um die Revolution als »jüdisches Projekt« zu betrachten. So auch Thomas Mann, der am Tag der Revolution in seinem Tagebuch notiert: »München, СКАЧАТЬ